„Es wäre gefährlich für die Zentralbanken, wenn sie ihre mittelfristigen Inflationsziele aufgeben. Dies würde die niedrige Inflation sowie die niedrigen Zinsen länger fixieren und die Inflationserwartungen weiterhin dämpfen. Außerdem würde es die Fähigkeit der Zentralbanken untergraben, zukünftige Rezessionen und deflationäre Schocks zu bekämpfen. Denn es gäbe geringere Spielräume zur Anpassung von Realinflation und Reallöhnen und würde lediglich dazu dienen, den Output und die Finanzmarktvolatilität zu erhöhen.
Erfreulicherweise haben die Zentralbanken ihre Inflationsziele noch nicht aufgegeben, sodass sich ihr Handeln in nächster Zeit nicht ändern dürfte. Die Herausforderung allerdings, Geldpolitik in Zeiten weniger responsiver Inflation, geringeren Durchschnittswachstums und niedrigerer Zinsen zu gestalten, wird sich nicht in Luft auflösen.
Entsprechend sind Experimente mit weiteren geldpolitischen Instrumenten unumgänglich, besonders wenn sich die nächste Rezession abzeichnet. Eine der diskutierten Optionen: Zentralbanken könnten reale und nicht nur finanzielle Vermögenswerte ankaufen und dieses Vorgehen mit den Regierungen abstimmen, wenn unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen erforderlich sind. Ben Bernanke, ehemaliger Vorsitzender der US-Notenbank, schlug kürzlich vor, dass die Zentralbanken sich einer zeitweisen Zielsetzung des Preisniveaus widmen sollten – wobei sie einen Ausgleich von Phasen unterhalb und oberhalb der Zielinflation anstreben würden, sobald geldpolitische Instrumente ihre Untergrenze erreicht hätten. Außerdem könnten die Zentralbanken Mechanismen erforschen, die Untergrenze selbst herabzusetzen, indem sie sicherere Wege finden, negative Zinsen zu erzeugen. Natürlich können Experimente immer unbeabsichtigte Konsequenzen mit sich bringen. Investoren könnten die Ansicht vertreten, dass die letzte Dekade schwierig zu meistern war, aber sie haben die wahren Herausforderungen noch gar nicht kennengelernt.“
Jeremy Lawson, Chefvolkswirt, Aberdeen Standard Investments