„Anfang 2018 schien es wahrscheinlich, dass die Zinsen in ganz Europa steigen würden, was sowohl auf ein Ertragswachstum als auch auf das Ende der notwendigen Nachkrisenanpassung im Finanzsektor hindeutete. Wie so oft halten die Aussichten, welche die Märkte zu Beginn des Jahres bestimmen, jedoch nicht bis zum Ende des Jahres an. So hatten im Verlauf des Jahres die Finanzdienstleister Schwierigkeiten, die gestiegenen Kosten zu absorbieren oder an die Kunden durch Preiserhöhungen weiterzugeben. Gleichzeitig drückten die anhaltend niedrigen Zinssätze die Margen weiter. Vorerst hinkt Europa den USA immer noch hinterher, wenn es darum geht, der lockeren Geldpolitik ein Ende zu setzen.
Darüber hinaus gibt es auch politische Unsicherheit und damit auch Unsicherheit über die politischen Rahmenbedingungen. Spanien hat eine Minderheitsregierung, Deutschland kämpft mit Einwanderungsbedenken, Großbritannien befasst sich mit der Komplexität des Brexit und Italien hat einen Aufstieg des Populismus erlebt. All diese Entwicklungen spiegeln eine Unzufriedenheit mit dem Status quo wider, aber es gibt nur wenige klare Vorschläge für eine funktionierende Alternative.
Dieser Hintergrund hat den Anstieg des breiteren Aktienmarkts behindert. Nur wenige Titel bzw. Sektoren haben zugelegt. Unter den Sektoren waren Öl, Rüstung, Luxusgüter und Technologie die bemerkenswerten Outperformer. Die Gründe dafür sind ziemlich klar: Der Ölsektor hat von der Erholung des Ölpreises, anhaltenden Versorgungsengpässen und einer gewissen Dividendenunterstützung profitiert. Die Rüstungssaktien sind dagegen relativ klein und verfügen über starke Auftragsbücher, während Luxusgüterunternehmen Probleme in der Lieferkette gelöst, einige Fortschritte bei der Bewältigung von Online-Verkäufen gemacht und sich vom Absatzrückgang in China erholt haben. Der Technologiesektor war jedoch bisher der herausragendste Sektor, da der Markt das Wachstum angenommen und so ziemlich alles andere vermieden hat.
Obwohl Europa keinen großen Technologiesektor hat – es gibt hier keine Googles, Apples oder Amazons –, gibt es dennoch einige Nischenbereiche, die schnell wachsen und in denen Europa die Nase vorn hat. Dazu gehören Zahlungssysteme, Bankensoftware, Reiselogistik und entscheidende Aspekte bei Halbleitern. Auf niedrigerem Niveau schneiden auch Online-Disruptoren in Vertrieb und Verkauf gut ab, da sie den Vorteil des First Movers ausnutzen und schnell wachsen. Die Möglichkeit, dass solche Unternehmen von größeren Unternehmen übernommen werden könnten, hat ihren Aktienkurs gestützt. Unternehmen, die in einem bestimmten Bereich anhaltendes Wachstum aufweisen, sind bei den Anlegern beliebt, ohne Rücksicht auf Bewertungen.
Trotz der Popularität des Technologiesektors ist Aberdeen Standard Investments unverändert der Meinung, dass aufgrund der neuen Rechtsvorschriften in den Bereichen Datenschutz und Cybersicherheit eine gewisse Vorsicht geboten ist. Außerdem haben die Regulierungsbehörden ein großes Interesse an höheren Steuerzahlungen und dominanten Marktpositionen. Sowohl die Bewertung als auch die Dynamik müssen deshalb berücksichtigt werden. Und vorerst ignoriert der Markt die Bewertungen sowohl für diejenigen, die wachsen, als auch für diejenigen, die um Wachstum kämpfen.
Mit Blick auf die Entwicklung vieler europäischer Unternehmen ist die Zukunft vielversprechend, aber es müssen noch mehr Sektoren und Aktien hinzukommen, wenn der europäische Aktienmarkt insgesamt aus seiner derzeitigen engen Handelsspanne ausbrechen will.“
Stan Pearson, Head of European Equities, Aberdeen Standard Investments