Regierungen und im Grunde auch die Gesellschaft als Ganzes messen ökologischen, sozialen und Governance-Faktoren in den letzten Jahren weltweit immer mehr Bedeutung bei.
Wir können schon nicht mehr zählen, wie oft man uns um eine Erklärung des ESG-Konzepts gebeten hat. Fakt ist jedoch, dass sich ESG ganz unterschiedlich definieren lässt. Daher sollten wir zunächst darlegen, was wir darunter verstehen.
Der Buchstabe „E“ in diesem Kürzel umschreibt, wie Unternehmen mit der Umwelt interagieren: was sie verbrauchen, ausstoßen, aus der Erde holen oder hinterlassen.
Die soziale Komponente („S“) steht für den Umgang von Unternehmen mit Mitarbeitern und Behörden, der Gesellschaft und ihren Zulieferern. Indes bezieht sich „G“ auf die Führung eines Unternehmens und deren Qualität.
Bei den drei vorgenannten Elementen gibt es gewisse Überschneidungen. Aus unserer Sicht ist die Governance der wichtigste Faktor, bestimmt er doch, wie mit ökologischen und sozialen Belangen umgegangen wird.
Als Fondsanbieter integrieren wir die ESG-Analyse in unseren Anlageprozess. Mit anderen Worten untersuchen wir Risiken und Chancen in Zusammenhang mit ESG-Faktoren, wenn wir Unternehmen einer Due-Diligence-Prüfung unterziehen.
Ein Beispiel: Ein Unternehmen mag günstig bewertet erscheinen, doch wenn es immer wieder Flüsse verschmutzt, wird es wahrscheinlich irgendwann mit einem staatlichen Bußgeld belegt, möglicherweise einen Imageschaden erleiden oder sogar geschlossen werden.
Auch bei einem äußerst profitablen Unternehmen, das sich aber als schlechter Arbeitgeber entpuppt, etwa weil es seinen Beschäftigten 16-Stunden-Tage zumutet oder den Lohn vorenthält, würde man wohl bezweifeln, dass es seine Mitarbeiter dauerhaft binden kann.
Die Berücksichtigung von ESG-Faktoren bei der Unternehmensanalyse heißt, die gesamte Bandbreite der Informationen einzubeziehen, die uns als Anlegern vorliegen. Konkret wird angestrebt, die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells eines Unternehmens und dessen Fähigkeit zu bewerten, sich an ein verändertes Geschäftsumfeld anzupassen, zu bestehen und zu florieren.
ESG-Analysen zeigen uns, wie ein Unternehmen arbeitet und Risiken bewertet. So gelangen wir zu einem ganzheitlicheren Verständnis eines Unternehmens und seines Managements. In der Folge können wir besser einschätzen, ob sich das Risiko einer Anlage angemessen im Preis widerspiegelt.
Letztlich sind wir davon überzeugt, dass unsere Chancen, in langfristige Gewinner zu investieren, steigen, wenn wir Unternehmen mit strengen ESG-Standards auswählen und um verlustbringende Unternehmenspleiten und Skandale einen Bogen machen.
Aktives Engagement
Globale Anleger, die am Wirtschaftswachstum Chinas partizipieren wollten, hatten jahrelang mit in Hongkong börsennotierten Titeln vorlieb zu nehmen, weil der Markt für A-Aktien inländischen Anlegern vorbehalten war.
Doch China hat seine Börsen nach und nach für ausländische Akteure geöffnet. Den Anfang machte das sogenannte Qualified Foreign Institutional Investor (QFII) Scheme im Jahr 2003. In der Folge, d. h. 2011, verabschiedeten die Behörden das Renminbi-QFII-Programm sowie 2014 und 2016 die Stock Connect Initiatives. A-Aktien halten inzwischen verstärkt Einzug in die wichtigsten Referenzindizes. Diese Deregulierungen haben unsere Wandlung vom Beobachter zum Investor erheblich erleichtert.
Der chinesische Markt für A-Aktien ist wesentlich weitreichender und liquider als sein Hongkong-Pendant und weist ein breiteres Spektrum von Unternehmen und Sektoren auf.
Wie an jedem anderen Markt besteht unsere Herausforderung auch hier darin, Unternehmen herauszufiltern, die unsere strengen Qualitätskriterien erfüllen. Von einem Qualitätsunternehmen sprechen wir dann, wenn eine starke Bilanz, ein nachhaltiges Gewinnwachstum, ein fortschrittliches Management und eine gute Führung gegeben sind.
Bevor wir 2011 unser erstes Investment tätigten, hatten wir das Universum mehr als ein Jahrzehnt lang durchleuchtet. Schon recht früh fiel uns dabei auf, dass die Interessen von Minderheitsaktionären in Chinas Rechtssystem nicht ausreichend geschützt waren.
Aktienbesitz in China kann genauso konzentriert wie komplex sein und Partnerschaftsstrukturen und Überkreuz- bzw. wechselseitige Kapitalbeteiligungen einschließen. Das wirft Fragen nach Interessenkonflikten auf.
Ohne Frage mangelte es China an einem förderlichen inländischen Ökosystem - wie einem formalen Regulierungsrahmen-, um Investoren und Institutionen über die praktischen Aspekte von ESG-Fragen aufzuklären.
Auch heute noch betrachten einige Unternehmen die ESG-Berichterstattung lediglich als Pflichtübung. Wie ein solches Reporting die Due Diligence beim Risikomanagement beträchtlich verbessern oder die Unternehmensleistung langfristig beflügeln kann, geht dabei fast völlig unter.
Wir haben seit unserem Einstieg im Jahr 2011 unzählige Unternehmensbesuche durchgeführt und uns mit hunderten von Managementteams ausgetauscht. Manager müssen konstruktiv befragt werden.
Aktives Engagement ist das, was wir als Eigner von Unternehmen nach der Übernahme betreiben. Dabei muss sichergestellt sein, dass gute Unternehmen auch gute Unternehmen bleiben.
In diesem Zeitraum haben wir uns für eine Verbesserung von Kapitalallokation, Offenlegung und Unternehmenspraktiken eingesetzt. Nach unserer Erfahrung stellen gut geführte Unternehmen mit solidem Kapitalmanagement auf lange Sicht bessere Anlagen dar.
Unser Ausgangspunkt ist dabei stets der Mehrheitsaktionär. Wir wollen sichergehen, dass dessen Interessen mit unseren Interessen als Minderheitsaktionär im Einklang stehen.
Zudem überprüfen wir anhand eines „Background-Checks“, wo die jeweiligen Beteiligten zuvor tätig waren, wie sie die Karriereleiter erklommen haben und ob sie in Unternehmensskandale verwickelt waren.
Ebenso wollen wir herausfinden, welche Beziehungen sie zu privat gehaltenen Vehikeln unterhalten, und prüfen, ob Transaktionen mit verbundenen Parteien erfolgt sind. Das schließt auch einen genauen Blick auf Verwaltungsrat und Führungsriege mit Prüfung von Kompetenzen, Charakter und Engagement ein.
Nach unserem Investment streben wir durch Besuche und regelmäßigen Austausch eine enge Arbeitsbeziehung mit dem Management und dessen internem Team an.
Wir betrachten uns dabei als Eigenkapitalpartner und nicht nur als Aktionäre. Letztlich wollen wir zu den Managern selbst ein harmonisches und vertrauensgeprägtes Verhältnis aufbauen. Die Nähe zu Entscheidungsträgern hilft uns, besser auf sie einwirken zu können.
Ebenso können wir dadurch eher einschätzen, welche Managementteams ihrer Aufgabe am besten gerecht werden. Derartige Interaktionen entkräften unsere Vorbehalte oder schärfen unser Bewusstsein für weitere Risiken.
Chancen im Umweltbereich
Ein Bereich, zu dem wir in China konsequent Daten sammeln können, betrifft die Umwelt. Insbesondere große chinesische Unternehmen wissen um ihren CO2-Fußabdruck.
Die Zerstörung der Umwelt stellt einen Hemmschuh für das Wirtschaftswachstum Chinas dar und bedroht die öffentliche Gesundheit und den sozialen Zusammenhalt.
Die Verringerung der Abhängigkeit von Kohle als Energieträger wurde von der Regierung inzwischen zur Chefsache erklärt. Dies erklärt, warum Offenlegungen in Bezug auf die Umwelt an diesem Markt vergleichsweise verbreitet sind.
Als Investor machen wir Risiken und Chancen in verschiedenen Segmenten aus, wie Energieverbrauch, Abfallentsorgung, Erschließung von Bauland, Kohlenstoffemissionen, erneuerbare Energien und saubere Technologien.
Da das Umweltbewusstsein relativ hoch ist, konzentrieren wir uns stärker auf Chancen als auf Risiken. Die Umsetzung nachhaltiger Praktiken kann das Markenimage und die Kundentreue verbessern und vor Katastrophen mit potenziellen rechtlichen Folgen schützen.
Aus strategischer Sicht steht die Regierung uneingeschränkt hinter einer erhöhten Nutzung erneuerbarer Energien. China ist mit einigem Abstand der weltweit führende Investor in erneuerbare Energien und die Elektrifizierung des Straßenverkehrs.
Wir haben bei Unternehmen, die Solarenergie anbieten oder sich mit Elektrofahrzeugen befassen, ein Wachstum beobachtet. Weiteres Anlagepotenzial machen wir bei Komponentenherstellern, Versorgern sowie Unternehmen für Energieübertragung und -speicherung aus.
Soziale Aspekte
Vorgaben zu sozialen Faktoren wie zur Interaktion von Unternehmen mit ihren Beschäftigten, Zulieferern und im weiteren Sinne der Gesellschaft sind in China weniger ausgeprägt. Und das kann Grund zur Sorge sein, weil soziale Belange das Geschäft gefährden können. Abermals machen wir in puncto ESG Risiken, aber auch Chancen aus.
Wir halten Unternehmen dazu an, Werte aufzubauen und zu bewahren. Das Wohlergehen der Beschäftigten zu fördern und faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, kann die Produktivität der Belegschaft erhöhen und wirkt sich langfristig wertsteigernd aus. Arbeitsrichtlinien sind eng mit der Unternehmensstrategie verzahnt.
Ein vorrangiges Anliegen, das wir mit den Managementteams angehen, betrifft die Einstellungspolitik. In China findet derzeit ein Wettlauf um IT-Expertise statt, zumal Unternehmen in fortschrittliche Technologiebranchen und die Digitalisierung vorstoßen. Wir untersuchen dabei, wie Unternehmen solche Kompetenzen finden und binden.
Weitere soziale Fragen betreffen das Lieferkettenmanagement und die Ausarbeitung eines Verhaltenskodex für Zulieferer. Um zu verstehen, wie sich Unternehmen vor Produktivitätseinbußen schützen, analysieren wir ebenfalls die Richtlinien für Gesundheit und Sicherheit.
Da China seine Märkte stärker öffnet, muss die Regulierung verstärkt auf diese erweiterte Zielgruppe abgestimmt werden – samt strengeren Vorgaben für die Praktiken der Unternehmen. Wir sensibilisieren Unternehmen zu diesen Sachverhalten – unter Einbezug potenzieller künftiger Änderungen.
Positive Fortschritte
Erfreulicherweise zeichnet sich allmählich eine Veränderung ab. So hat die China Securities Regulatory Commission die Regelungen für Dividenden, die Offenlegung von Informationen und den Schutz für Minderheitsaktionäre verschärft und die Mandate in Verwaltungsräten stärker formalisiert.
Überdies machen wir Verbesserungen bei der Corporate Governance aus, wie erweiterte Verwaltungsräte und Unternehmensleitungen, aber auch (bislang nicht vorhandene) formale Richtlinien für Dividendenausschüttungen, neben einer transparenteren Berichterstattung und Maßnahmen für eine Diversifizierung des Aktienbesitzes.
Ebenso haben mehr Unternehmen Mitarbeiterbeteiligungspläne eingeführt, durch welche die Interessen von Management und Minderheitsaktionären besser aufeinander abgestimmt sind.
Hunderte chinesische Unternehmen veröffentlichen inzwischen Nachhaltigkeitsberichte (CSR), in denen sie ihre Auffassungen zu Nachhaltigkeit, ihre Ziele zur Senkung ihres CO2-Fußabdrucks sowie ihre Rahmenstrukturen für die Ausmerzung ESG-bezogener Risiken darlegen.
Als Investor würden wir uns wünschen, dass Nachhaltigkeitsaspekte – wie Emissionsdaten und -ziele nebst einer Strategie zur Emissionssenkung – nuancierter und nicht nur in einem schlichten CSR-Bericht offengelegt werden.
Doch Unternehmen sind mittlerweile eher gewillt, die Initiative zu ergreifen und unsere Interessen als Minderheitsaktionär ernst zu nehmen. Als Reaktion auf unsere Auskunftsersuchen veranstaltete eine Gruppe für private Finanzdienstleistungen einen Investor Day, um uns Einblicke in ihre Geschäftstätigkeit und Zugang zu Entscheidungsträgern zu verschaffen.
Nach diesem Tag verstanden wir besser, wie das Unternehmen mit seinem Humankapital und Cybersicherheit umgeht und Bestechungs- und Korruptionsrisiken bekämpft. Zudem erhielten wir einen Eindruck davon, auf welche sozioökonomischen Gruppen sich dessen Produkte und Dienstleistungen erstrecken. Auch das Thema Nachfolgeplanung schnitten wir an und stellten zu unserer Zufriedenheit fest, dass seitdem Maßnahmen umgesetzt wurden.
Schließlich gingen wir auch auf einen führenden Immobilienentwickler mit Schwerpunkt auf Tier-1- und Tier-2-Städten zu. Konkret erörterten wir Möglichkeiten, um Chancen im Bereich der umweltfreundlichen Gebäudegestaltung zu nutzen. Das Unternehmen misst seinen Prozessen für Umweltzertifizierung inzwischen mehr Bedeutung bei.
Vielversprechendes Potenzial
Dass A-Aktien-Unternehmen uns gegenüber heutzutage offener sind, ist Beweis für die positiven Marktfortschritte, die wir seit unserem ersten Investment vor fast einem Jahrzehnt beobachten.
Darüber hinaus findet die Tatsache, dass unser China-Engagement nicht von kurzer Dauer ist, immer mehr Wertschätzung. Das hilft uns im Gegenzug, den Dialog mit den Empfängern unserer Investitionen zu verbessern.
Beispielsweise gingen wir vor Kurzem auf ein Unternehmen zu, um unsere Vorbehalte hinsichtlich einer Transaktion mit verbundenen Parteien zu adressieren.
Während wir uns zunächst über die Investor Relations annäherten, ermutigten uns langsame Fortschritte, direkt auf das Management zuzugehen. Es gelang uns, den CEO an einem Sonntagnachmittag zum Tee in der Lobby eines Pekinger Hotels zu treffen.
Allerdings benötigten wir vorab einen „Schlachtplan“, denn schließlich konnten wir dem CEO nicht einfach ins Gesicht sagen, dass wir Transaktionen mit verbundenen Parteien als verwerflich betrachten. Als Unternehmensgründer ist er vorrangig daran interessiert, das Unternehmen zu vergrößern, den Aktienkurs zu erhöhen und Geld zu verdienen.
Wir mussten dabei die optimale Strategie finden, um ihm klarzumachen, wie Transaktionen mit verbundenen Parteien das Wachstum seines Unternehmens beeinflussen können, während ihre Minimierung potenzielle Vorteile hätte.
Mit anderen Worten hatten wir uns in die Haut eines Unternehmenseigners zu versetzen. Dieses Beispiel zeigt, dass sich ESG für uns immer weiterentwickelt. Nachhaltiges Alpha wird im Rahmen von ESG über einen anderen Ansatz generiert.
Übrigens verbrachten wir mit dem CEO letztlich zwei Stunden in der Lobby. Wir präsentierten ihm dabei eine langfristige Vision und machten deutlich, dass wir als Eigenkapitalpartner mit ihm zusammenarbeiten wollten.
Er akzeptierte unsere Vorschläge und wollte intern klären, wie die Zusammenarbeit mit uns aussehen könnte. Allerdings sprach er nicht davon, alles zu ändern, sondern lediglich, dass wir einige stichhaltige Argumente vorgebracht hätten und er versuchen werde, sein Unternehmen neu zu ordnen.
Wäre der Dialog gescheitert, hätten wir uns nicht engagiert. Zwar hätten wir so kein Geld verloren, aber eben auch kein Geld verdient.
Kapitalbeteiligungen sind immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Nach unserer Einschätzung ist das zunehmende Bewusstsein für ESG am A-Aktien-Markt vielversprechend.
Zahlreiche chinesische Unternehmen erkennen langsam, was ESG für sie bedeuten könnte. Die Türen von Unternehmen sind inzwischen so weit offen, dass einige Unternehmen unseren Rat suchen.
Wir haben die Entwicklung am Markt für A-Aktien von unseren ersten Investments bis heute verfolgt. Die Fortschritte sind gewaltig, und das Entwicklungspotenzial ist noch nicht ausgeschöpft.