Von Jeremy Lawson, Chief Economist & Amanda Young, Global Head of Responsible Investment, Aberdeen Standard Investments
Die gegenwärtige Rezession führt auf kurze Sicht zwar zu einer deutlichen Reduzierung der Treibhausgasemissionen, doch wenn die Pandemie abebbt und sich die Volkswirtschaften wieder erholen, ist ein sprunghafter Wiederanstieg unabwendbar. Mit der Ausbreitung der Pandemie sind indes andere Umweltrisiken wieder virulent geworden.
Allerdings könnte die Covid-19-Pandemie langfristig für einen umweltpolitischen Hoffnungsschimmer sorgen. Die niedrigen Zinsen und weiter stark rückläufigen Kosten erneuerbarer Energien könnten genutzt werden, um die Erholung umweltfreundlich zu gestalten. Investoren, die sich auf ökologische, soziale und Governance-Belange (ESG-Belange) fokussieren, spielen bei der Allokation von Kapital eine entscheidende Rolle, die sie nutzen können, um einen schnelleren Übergang zu einer emissionsarmen und nachhaltigen Wirtschaft zu fördern.
Saubere Luft – aber wie lange noch?
Da große Teile der Weltwirtschaft stillstehen, gehörte die bessere Luftqualität zu den wenigen positiven Folgen der Covid-19-Krise.
In Großbritannien sanken die täglichen Kohlendioxid-Emissionen seit dem Beginn des Lockdowns um etwa ein Drittel. In chinesischen Städten verringerten sich die Stickstoffdioxid-Emissionen um 25%. Und in New York gingen die Kohlenmonoxid-Emissionen um nahezu 50% zurück. Laut Schätzungen von Goldman Sachs dürften die energiebezogenen CO2-Emissionen 2020 auf absoluter Basis um mindestens 5,4% (1,8 GtCO2) sinken. Dies wäre der größte jemals verzeichnete Rückgang.
Ein Teil dieses Rückgangs dürfte leider nur vorübergehender Natur sein. Wenn die Volkswirtschaften wieder wachsen, werden die Emissionen zweifellos schnell wieder steigen, zumindest einige Jahre lang. Die zentrale Frage lautet: Stellt dieser Anstieg eine Rückkehr zur Normalität dar oder wird er durch gemeinsame Anstrengungen abgelöst, um die Wechselbeziehung zwischen Wachstum und Emissionen zu entkoppeln?
Chance zur Einleitung einer klimafreundlichen Erholung
Die gute Nachricht ist, dass die Rezession eine enorme Chance darstellt, den Politikwechsel voranzutreiben.
Die gute Nachricht ist, dass die Rezession eine enorme Chance darstellt, den Politikwechsel voranzutreiben. Immer mehr Indizien deuten darauf hin, dass fiskalpolitische Stimulierungsmaßnahmen, die auf Projekte im Bereich saubere Energie ausgerichtet sind, höhere wirtschaftliche und beschäftigungspolitische Multiplikationseffekte aufweisen als andere Konjunkturprogramme. Es gibt bereits Anzeichen, dass die Regierungen in Europa und einigen asiatischen Ländern die Initiative ergreifen und ihre Klimaziele und -politik verschärfen.
Staatliche Maßnahmen dürften auch durch andauernde Verhaltensänderungen Rückenwind erhalten. Unternehmen könnten internationale Geschäftsreisen reduzieren, da Videokonferenzen eine geeignetere Kommunikationsform darstellen. Darüber hinaus könnten agilere Arbeitsformen mit geringerem Pendlerverkehr die verkehrsbedingten Emissionen verringern.
Aber kein Anlass zur Sorglosigkeit
Der anhaltende Fortschritt ist jedoch kein Selbstläufer. In den USA ergreift die Bundesregierung derzeit Schritte zur Verschlechterung der Abgasnormen für Automobile und erkennt Kalifornien sogar das Recht ab, von nationalen Standards abzuweichen.
Außerdem haben Energieunternehmen mit Schwerpunkt auf fossilen Brennstoffen stärker als Unternehmen aus dem Bereich erneuerbare Energien von den Hilfskrediten profitiert. Selbst in Europa fordert der größte Luftfahrtverband eine Rücknahme oder zumindest eine Verschiebung der neuen Vorschriften, die eine Beschränkung künftiger Emissionen vorsehen. Und da die Ölpreise auf das niedrigste Niveau seit nahezu zwei Jahrzehnten gefallen sind, stellen ein wieder steigender Autoverkehr und der Kauf emissionslastiger Fahrzeuge eine sehr reale Gefahr dar.
Internationale Bemühungen in Gefahr
Ganz allgemein besteht das Risiko, dass einige Regierungen eine Erhöhung ihrer Ziele und Verschärfung ihrer Politiken verschieben, da sie einem kurzfristigen Wachstum Vorrang vor langfristiger Nachhaltigkeit einräumen.
Der COP26-Klimagipfel, der ursprünglich Ende des Jahres in Glasgow stattfinden sollte, wurde bereits auf 2021 verschoben. Aufgrund der Erwartung, dass die meisten Länder bei diesem Gipfel ihre Zusagen zur Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen ausweiten würden, sollte das die wichtigste UN-Klimakonferenz seit Unterzeichnung des Übereinkommens von Paris im Jahr 2015 beim COP21-Gipfel werden.
Die Verschiebung muss kein schlechtes Zeichen sein, da die politisch Verantwortlichen weniger reisen, sich stärker auf die akute Krise konzentrieren und sich für eine sorgfältige Prüfung ihrer Klimaziele Zeit nehmen wollen. Doch angesichts der Bedeutung, die der Ausweitung der ursprünglichen Pariser Ziele zukommt, wird das nächstjährige Gipfeltreffen eine entscheidende Bewährungsprobe für die Ambitionen der Regierung sein, auch in Bezug auf einen gerechten Übergang, der anfällige Kommunen vor allem in Entwicklungsländern schützt.
Rückkehr anderer Umweltrisiken
Nach den erfreulichen Fortschritten der letzten zwei Jahre ist die mit dem Gebrauch von Plastik einhergehende Umweltverschmutzung während der Krise wieder gestiegen. Aufgrund der Pandemie war eine Wiedereinführung von Einweg-Plastikprodukten erforderlich. Beispiele reichen von Plastikbechern bis hin zu Schutzmasken, wobei die zunehmende Nachfrage durch staatliche Maßnahmen wie die Rücknahme der Gebührenpflicht für Supermarkt-Einkaufstüten gefördert wurde. Da viele Geschäfte geschlossen sind, steigen die Online-Bestellungen im Einzelhandel, deren Auslieferung ebenfalls erhebliche Mengen an Plastikverpackungen mit sich bringt.
Dieser Anstieg des Plastikgebrauchs könnte einige Zeit andauern und hat zwei negative Auswirkungen: Erstens, und das ist am offensichtlichsten, entsteht dadurch mehr Plastikmüll. Zweitens könnte sich dadurch die breitere Entwicklung in Richtung Kreislaufwirtschaft verzögern.
Diese Krise hat auch den Mangel an Systemen verdeutlicht, die den Übergang zu einem abfallfreien Lebensstil erleichtern. Für Investoren ist es unabdingbar, die Krise zu nutzen, um die strukturellen Hemmnisse aufzuzeigen, die der Reduzierung von Plastikmüll entgegenstehen, und innovativere Lösungen zu fördern. Investoren sollten von ihrem Mitspracherecht Gebrauch machen, vor allem in exponierten Sektoren wie dem Einzelhandel, um neue Betriebsmodelle zu fördern, die diese strukturellen Herausforderungen angehen.
Positive Auswirkungen auf die Umwelt
Alles in allem dürfte die stärkere Verbreitung der Arbeit im Homeoffice und der digitalen Kundenkommunikation die Treibhausgasemissionen verringern. Einige Nebenwirkungen des agileren Arbeitens werden jedoch die Umwelt belasten.
So zum Beispiel der weitere Anstieg der Internetnutzung, der wiederum einen stärkeren Support von Datenzentren erfordert. Schätzungen zufolge ist der Internetverkehr in diesem Jahr bereits um 70% gestiegen, wobei der Bereich Streaming einen Zuwachs von 12% verzeichnete. Zwar machen Datenzentren derzeit nur 2% des weltweiten Energieverbrauchs aus, doch bis 2030 könnte dieser Anteil auf 8% steigen.
Der Effekt für die Umwelt hängt natürlich letztlich von der Energiequelle ab, aus der diese Zentren ihren Strom beziehen. Heute wird der Strom meist aus fossilen Brennstoffen erzeugt. In China werden 73% der Datenzentren z. B. mit Strom aus Kohlekraftwerken versorgt. Und nur 4% der Datenzentren von Google arbeiten mit Strom aus erneuerbaren Energien, obwohl sich das Unternehmen verpflichtet hat, seine Stromversorgung zu 100% auf saubere Energie umzustellen.
Auf Unternehmensebene sind einige der größten Wegbereiter eines Wandels zu mehr Telearbeit und Online-Shopping keine große Hilfe. Amazon, Facebook und Microsoft stehen allesamt in der Kritik, weil sie bei der Ausweitung ihrer Datenzentren nicht auf den Einsatz sauberer Energien geachtet haben. Anleger, die in diese Technologieunternehmen investieren, müssen daher auf eine raschere Umstellung auf saubere Energiequellen dringen, um Umweltbelastungen zu verhindern.
Wie reagiert der Privatsektor auf die Krise?
Für viele Branchen waren die zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie erlassenen Beschränkungen und der daraus resultierende Nachfrageeinbruch ein harter Schlag. Besonders stark betroffen waren Luftfahrt, Einzelhandel, Gastgewerbe sowie Öl und Gas.
Der Luftfahrtsektor stellt in vielerlei Hinsicht das Epizentrum der Krise dar. Nachdem die Reisevolumen auf kurze Sicht eingebrochen sind, wird die Branche zu den letzten Sektoren gehören, die von einer Lockerung profitieren, und selbst dann wird weiterhin eine gewisse soziale Distanz einzuhalten sein, sodass die Nachfrage gedämpft bleiben wird.
Die Öl- und Gasindustrie ist ebenfalls stark unter Druck geraten, denn die einbrechende Nachfrage und das Überangebot haben die Preise auf Talfahrt gesandt. Die Unternehmen kürzen zwar ihre Investitionspläne, um den Margendruck abzufedern, die Ausfallquoten dürften in den kommenden Monaten jedoch steigen, vor allem bei hoch verschuldeten Akteuren.
Die Unternehmen fordern verständlicherweise staatliche Unterstützung und eine Lockerung der Regulierung, um die schwierige Zeit zu überstehen. Easyjet hat bereits einen Kredit von 600 Mio. GBP erhalten. Der europäische Luftfahrtverband verlangt eine Befreiung von den neuen Emissionsstandards. Und der kanadische Verband der Erdölproduzenten soll eine Aussetzung von über 30 Umweltvorschriften gefordert haben.
Derartige Ansätze sind unseres Erachtens extrem kurzsichtig. Sie zielen darauf ab, kurzfristige Belastungen auf Kosten einer längerfristigen Klimakatastrophe abzufedern. Eine gewisse finanzielle Unterstützung mag zwar nötig sein, sie muss jedoch an strenge Emissionsminderungsziele gekoppelt werden.
Unter Druck (nach wie vor)
Im weiteren Sinne vermittelt uns die Covid-19-Krise eine Vorstellung davon, was geschehen kann, wenn ein seit Langem bestehendes Risiko eintritt, auf das sich die Staaten nicht vorbereitet haben. Das darf sich beim Klimawandel nicht wiederholen.
Schon jetzt reichen die Ziele der Regierungen und Unternehmen nicht aus, um die Erderwärmung auf weniger als 2 Grad Celsius bezogen auf das vorindustrielle Niveau zu begrenzen. Noch haben wir zum Glück Zeit, strengere Maßnahmen zu ergreifen.
Alles in allem erwarten wir daher, dass an den langfristigen Zielen für eine Emissionsreduktion der Unternehmen nicht gerüttelt und sogar noch ambitioniertere Ziele aufgestellt werden. Shell ist ein gutes Beispiel für ein Unternehmen, das Schritte in die richtige Richtung unternimmt. Das Unternehmen hat seine Ambitionen trotz der Krise jüngst ausgeweitet und ist bestrebt, sein Geschäftsmodell auf kohlenstoffarme Energiequellen umzustellen.
Fragen, die wir stellen
Für Investoren, die vor allem Wert auf die Einhaltung von ESG-Kriterien legen, besteht die Herausforderung darin, mit Unternehmen und politisch Verantwortlichen in einen Dialog zu treten, um sicherstellen, dass die Erholung für eine Stärkung der Bemühungen zur Erreichung von Klimazielen sorgt, statt sie zu schwächen.
Als institutionelle Investoren mit starkem Fokus auf ESG-Belangen kommt uns eine entscheidende Rolle zu, indem wir auf Regierungen, Unternehmen und die Öffentlichkeit einwirken, damit sie die richtige Richtung einschlagen: Längerfristiger Fokus und Sicherstellung, dass die Klimaziele nicht der künftigen Wachstumsplanung zum Opfer fallen.
Dies sind einige der Fragen, die wir Unternehmen gestellt haben:
- Gibt es Bereiche in Ihrem Unternehmen, die infolge der Covid-19-Pandemie erhöhten Umweltrisiken ausgesetzt sind?
- Welche Auswirkungen hat Covid-19 auf die Zusagen Ihres Unternehmens in Bezug auf seine mittel-/langfristigen Umweltziele?
- Wie wollen Sie die Emissionsziele für 2020 erreichen und die durch Covid-19 erreichten Reduzierungen bewahren?
- Fragen an Internet- und Technologieunternehmen: Welche Strategie verfolgen Sie, um Ihre Datenzentren mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu versorgen? Wie wirkt sich das zunehmende Internet-Streaming auf die Emissionen aus? Gibt es Kostenimplikationen für Ihr Unternehmen?
- Wie integrieren Sie die „Kreislaufwirtschaft“ in Ihre Strategie, Produkte und Dienstleistungen? Hat sich Ihr Ansatz angesichts der Herausforderungen geändert, mit denen die Welt derzeit konfrontiert ist?
Engagement unter der Lupe: Air Liquide
Das Unternehmen ist auf Industriegase spezialisiert. Wir haben mit der Geschäftsleitung gesprochen, um ein besseres Verständnis des ESG-Engagements des Unternehmens und darüber zu erlangen, wie die ESG-Risiken und -Chancen gesteuert werden. Angesichts der kohlenstoffintensiven Natur seines Geschäfts stellt der Klimawandel für das Unternehmen das größte Risiko dar. Air Liquide bemüht sich aktiv, die Intensität seiner Emissionen zu reduzieren und kohlenstoffarme Lösungen zu finden. In der Coronakrise hat das Unternehmen zudem Beatmungsgeräte und Sauerstoff an Kliniken geliefert.
Engagement unter der Lupe: RWE
RWE ist ein deutscher Stromversorger. Unser Engagement bei RWE konzentrierte sich auf den Nachhaltigkeitsansatz des Unternehmens, insbesondere die Strategie in Bezug auf die Energiewende und die Ziele für die Kohlenstoff-Emissionen. Wir haben die Einführung des Ziels unterstützt, bis 2040 Klimaneutralität zu erreichen. Außerdem haben wir uns aktiv für die fortlaufende Verbesserung der Klimapolitik des Unternehmens eingesetzt.
Dazu gehörten die Einbeziehung der indirekten Emissionen entlang der Lieferkette (Scope 2 und 3) in die Unternehmensziele, die Einführung kurz- und mittelfristiger Ziele sowie die Veröffentlichung eines klaren Plans, wie das für 2040 gesteckte Ziel erreicht werden soll. Wir haben auch darauf hingewirkt, dass die Kohleproduktion von RWE und die Machbarkeit eines schrittweisen Kohleausstiegs in Anbetracht der Auswirkungen auf die Energieversorgung und die Arbeitsplätze fortlaufend neu bewertet wird.
Angesichts der Corona-Pandemie bekräftigte RWE sein Bestreben, das Kohlegeschäft zurückzufahren und in die Erzeugung erneuerbarer Energien zu investieren. Bei unserem Gespräch erklärten die Unternehmensvertreter, dass sich an der langfristigen europäischen Dynamik in Bezug auf den Klimawandel ihres Erachtens nichts geändert habe.