Vertical Farming – die Zukunft der Lebensmittelproduktion

Die Art und Weise, wie Lebensmittel heute hergestellt werden, ist nicht nachhaltig. Lesen Sie nachfolgend einen Kommentar von Eva Cairns, Senior ESG Investment Analyst, Aberdeen Standard Investments: abrdn | 18.08.2020 11:23 Uhr
Eva Cairns, Senior ESG Investment Analyst, Aberdeen Standard Investments / © Aberdeeen Standard Investments
Eva Cairns, Senior ESG Investment Analyst, Aberdeen Standard Investments / © Aberdeeen Standard Investments
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Die Art und Weise, wie Lebensmittel heute hergestellt werden, ist nicht nachhaltig. Die Erschöpfung der Ressourcen unseres Planeten schreitet mit rasanter Geschwindigkeit voran und die Versorgung einer ständig wachsenden Bevölkerung ist gefährdet. Eine effiziente Nutzung der begrenzten Anbauflächen stellt eine der größten Herausforderungen unsere Zeit dar. Es gibt einen Ansatz, der unseres Erachtens zu einer nachhaltigeren und ressourceneffizienteren Lösung dieser existenziellen Aufgabe beitragen kann – Vertical Farming oder auch vertikale Landwirtschaft. 

Die heutige Lebensmittelherstellung – worin besteht das Problem?

Die Herstellung von Lebensmitteln ist ressourcenintensiv und benötigt Unmengen an Wasser, Energie und Land. Dabei werden natürliche Ressourcen schneller erschöpft, als der Planet diese regenerieren kann. Der letzte Earth Overshoot Day („Erdüberlastungstag“) – d.h. der Tag, an dem die Nachfrage nach nachwachsenden Ressourcen das Angebot daran im laufenden Jahr übersteigt – war am 29. Juli 2019. Noch nie zuvor lag dieser Tag so früh im Jahresverlauf. Darüber hinaus wirkt sich der Einsatz von Pestiziden abträglich auf die Biodiversität und die Gesundheit aus. 

Beeinträchtigt wird die Lebensmittelproduktion überdies von den zunehmenden physischen Folgen des Klimawandels. Die Erderwärmung hat heftigere Regenfälle zur Folge, was wiederum zu Landdegradation, Wasserverknappung und Bodenerosion führt. Dies wirkt sich auf die Ernten aus und verringert die Ernteerträge. 

Vertical Farming – eine potenzielle Lösung

Hier kommt das Vertical Farming ins Spiel. Wie der Begriff schon nahelegt, geht es beim Vertical Farming um den Anbau von Nutzpflanzen in vertikal übereinander liegenden Schichten – und zwar in Innenräumen. Mit dem neuen Verfahren werden optimale Wachstumsbedingungen für jede einzelne Pflanze angestrebt. Diese sollen dann in einer kontrollierten und vollständig automatisierten Umgebung zur Anwendung kommen. Dadurch werden die Ernteerträge maximiert und die Umweltfolgen minimiert. Vertikale Farmen eignen sich am besten für Kräuter und Blattgemüse, die nicht zu hoch oder nicht zu tief in die Erde wachsen. Dies ermöglicht es, viele Pflanzenschichten in einem einzigen Gebäude übereinander zu platzieren, was das Vertical Farming zu einer im Vergleich zur traditionellen Landwirtschaft kostengünstigeren Anbaumethode macht. 

Ein Blick auf die erste vertikale Farm in Schottland 

Wir bei Aberdeen Standard Investments sind der Ansicht, dass Research vor Ort und Engagementaktivitäten aus erster Hand maßgeblich zum Verständnis eines Unternehmens, Sektors oder Anlagetrends beitragen. 

Aus diesem Grund haben wir jüngst den ersten vertikalen Landwirtschaftsbetrieb in Schottland besucht, der von Intelligent Growth Solutions (IGS), einem 2013 gegründeten innovativen Unternehmen für Agrartechnologie, entwickelt wurde. 

2018 baute IGS seine erste Vorführanlage für die vertikale Landwirtschaft, dank derer das Team in der Lage war, seine bahnbrechende, durch das Internet der Dinge gestützte Power & Communications-Plattform zu entwickeln und zu patentieren. Diese Plattform ermittelt durch Einsatz künstlicher Intelligenz die optimalen Wachstumsbedingungen für Pflanzen. 

Die vertikale Farm besteht aus vier Türmen mit einer Grundfläche von 40,8m² in einem Industrieblock, der rund 250m² an Landfläche einnimmt. Dies wird überdies durch einen zusätzlichen Service-Bereich ergänzt. Jeder Turm kann schätzungsweise 50 Pflanzenschalen aufnehmen. Diese Anordnung ähnelt einem weit verbreiteten automatisierten Lagersystem und lässt sich leicht aufbauen und ersetzen.

IGS hat ein System entwickelt, mit dem die Bedingungen in jeder Pflanzenschicht individuell gesteuert werden. Das Wachstum jeder einzelnen Pflanze wird durch einen Optimierungsalgorithmus unterstützt, und alles wird über eine mobile Anwendung gesteuert. Diese gibt den genauen Bedarf an Wasser, Licht, Temperatur und Luftfeuchtigkeit pro Minute für den gesamten Wachstumszyklus der Pflanze an.

Diese-hochmoderne-Anlage befindet sich am James Hutton Institute, einem weltweit führenden Institut für Pflanzen-, Nutzpflanzen-, Boden-, Landnutzungs- und Umweltforschung. Dank des Standorts am Institut erhält IGS Zugang zu Know-how im Bereich Pflanzenwissenschaft. Darüber hinaus ist es IGS dadurch möglich, an Projekten mitzuwirken, welche die Entwicklung von Technologie für Vertical Farming fördern und dessen Skalierbarkeit demonstrieren, sodass diese Methode irgendwann weltweit eingesetzt werden kann. 

Welche Vorteile bietet die vertikale Landwirtschaft?

Wie nachfolgend dargelegt, zeichnet sich Vertical Farming durch zahlreiche Vorteile gegenüber der traditionellen Landwirtschaft aus.

  • Landnutzung. Vertical Farming benötigt deutlich weniger Landfläche als die traditionelle Landwirtschaft. Bei der vertikalen Farm von IGS benötigt jeder Turm nur rund 12% der Fläche, die für einen Anbau derselben Menge an Nutzpflanzen im Freien erforderlich wäre. Es besteht zudem die Möglichkeit, leer stehende Gebäude für urbane Anbauprojekte zu nutzen (z.B. unterirdischer Anbau in London). 
  • Wasser. Der Wasserverbrauch fällt beim Vertical Farming ebenfalls deutlich geringer aus als in der traditionellen Landwirtschaft, da weniger Wasser verdunstet und es leicht recycelt werden kann. Die IGS-Farm verfügt über ein geschlossenes Bewässerungssystem, bei dem Regenwasser gesammelt, genutzt und recycelt wird, wodurch der Wasserverbrauch um 95% gesenkt werden kann.
  • Klimaresistenz. Vertical Farming trägt dazu bei, die lokale Lebensmittelproduktion klimaresistenter zu gestalten. Grund hierfür ist, dass die Pflanzen das ganze Jahr über angebaut werden können, unabhängig von immer häufiger auftretenden extremen Wetterereignissen, Dürren und Überschwemmungen. 
  • Anbau das ganze Jahr über. Da ein Anbau 365 Tage im Jahr möglich ist, liegt die Zahl der jährlichen Anbauzyklen beim Vertical Farming wesentlich höher als bei der Landwirtschaft im Freien. Dadurch lässt sich auch die Züchtung widerstandsfähigerer Pflanzen beschleunigen.
  • Energieverbrauch. Eine vertikale Farm würde sich sehr gut mit erneuerbarer Energie betreiben lassen, da sie nicht auf eine anhaltende Grundlastversorgung angewiesen ist und mit Unterbrechungen zurechtkommt. Der Turm kann dazu genutzt werden, Energie zu speichern und diese nur bei Bedarf aus dem Netz zu beziehen. 

Die Energieversorgung kann auch einen Sorgenpunkt darstellen, da zum Betrieb der vertikalen Anlage Energie erforderlich ist, die beim Anbau im Freien nicht benötigt wird. Bei IGS benötigt jede Schicht rund 1 Kilowatt an Energie für die Kühlung und Beleuchtung. Entscheidend ist die Maximierung der Energieeffizienz. Die vertikale Farm von IGS stellt das von den Pflanzen benötigte Licht nur zu bestimmten Zeiten zur Verfügung und ist daher energieeffizienter und kostengünstiger als andere Anbaumethoden in Innenräumen wie z.B. Treibhäuser.

Neben dem Energiebedarf sieht sich die vertikale Landwirtschaft auch anderen, zusätzlichen Herausforderungen gegenüber. Bislang eignet sich nur eine relativ kleine Zahl an Nutzpflanzen für Vertical Farming. Diese dürfte aber im Zuge des technologischen Fortschritts wachsen. Die Start-up- und die laufenden Kosten können hoch ausfallen. Überdies wird Vertical Farming mitunter als „unnatürlich“ angesehen. Auch hier gehen wir davon aus, dass diese Bedenken mit zunehmender Reife des Sektors, stärkerer Unterstützung von politischer Seite und sich deutlicher abzeichnenden Vorteilen nachlassen werden.

Wie gestaltet sich die Situation in der vertikalen Landschaft heute und mit welchem Wachstum ist zu rechnen?

Vertical Farming ist ein Sektor, der noch in seinen Kinderschuhen steckt, verfügt aber über das Potenzial, die Lebensmittelproduktion grundlegend zu verändern. Besonders relevant ist dies für Gebiete mit rasantem Bevölkerungswachstum, starker Urbanisierung, begrenzten Landflächen und hoher Anfälligkeit für Klimawandel und Wasserstress. Schätzungen von IGS zufolge dürfte der globale Markt für Vertical Farming in den nächsten drei Jahren ein Wachstum von 24% pro Jahr verzeichnen. 

Eine weitere Verbreitung würde vor allem von Dürren betroffenen Regionen wie einigen Gebieten im Nahen Osten und in Afrika zugutekommen. Es eignet sich auch für kleine und stark urbanisierte Länder wie Israel, Singapur, Japan, Taiwan und die Niederlande. Darüber hinaus stellt Vertical Farming eine attraktive Lösung für Länder dar, die mit starker Verschmutzung und Bodenverarmung zu kämpfen haben, in denen die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Lebensmittel aber gleichzeitig hoch ausfällt. Dazu zählen beispielsweise Teile Chinas. 

Um das volle Potenzial der vertikalen Landwirtschaft zu entfalten, ist staatliche Unterstützung vonnöten, einschließlich einer transparenten Strategie zur Berücksichtigung auf nationaler Ebene. Zusammenarbeit von Stakeholdern und Bildung stellen entscheidende Faktoren dar. Indes besteht ein Bedarf an und Gelegenheiten für private und öffentliche Investitionen. Angesichts des zur Verfügung stehenden Kapitals könnten entsprechende Investitionen deutlich zur Optimierung beitragen, die Skaleneffekte steigern und die Kosten senken.

Was bedeutet das für Anleger? 

Für Anleger ist die Kenntnis der Entwicklungen bei der vertikalen Landwirtschaft, der dahinter stehenden Technologie und der damit einhergehenden Vorteile im Hinblick auf Nachhaltigkeit in vielerlei Hinsicht von Belang. Im Zuge der durch das Vertical Farming ausgelösten Revolution wird es Gewinner wie auch Verlierer geben. Daher ist es wichtig, die Risiken und Chancen im Hinblick auf die weitere Entwicklung des Sektors zu verstehen. Diese Erkenntnisse können dann in Anlageentscheidungen einfließen und für fundierte Engagements genutzt werden.

Ein Dialog mit Unternehmen, die im Bereich Vertical Farming tätig sind oder Interesse daran zeigen, ermöglicht wertvolle Einblicke in das Wachstumspotenzial des Sektors. Dadurch können sich Anleger auch ein Bild davon machen, welche Chancen sich jenen börsennotierten Unternehmen eröffnen, die von einer nachhaltigeren Landwirtschaft profitieren dürften. 

Auch direkte Anlagen sind möglich. Beispielsweise bestehen Möglichkeiten zur Finanzierung innovativer Privatunternehmen, die Technologien und Algorithmen zur Optimierung des Pflanzenwachstums entwickeln. Anleger könnten überdies für die vertikale Landwirtschaft genutzte Gebäude als reale Vermögenswerte erwerben.

Abschließende Erwägungen…

Die Art und Weise, wie Lebensmittel heute hergestellt werden, ist im Hinblick auf Landnutzung sowie Wasser- und Energieverbrauch nicht nachhaltig. Vertical Farming stellt in dieser Hinsicht eine innovative Methode zur Herstellung qualitativ hochwertigerer Lebensmittel dar - und das auf effizientere und umweltfreundlichere Weise. Mit den richtigen Investitionen und dem richtigen Engagement könnte die vertikale Landwirtschaft letzten Endes zur Anbaumethode der Wahl künftiger Generationen werden. 

Eva Cairns, Senior ESG Investment Analyst, Aberdeen Standard Investments

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