„Der Ausgang der US-Wahlen könnte große Auswirkungen auf Wachstum, Inflation und Zinssätze haben. Dies spiegelt die erheblichen Unterschiede in den Ausgabenplänen der Demokraten und Republikaner wider. Am entscheidendsten ist, dass sie in der Lage sind, Gesetze zu erlassen, was von der Zusammensetzung des Weißen Hauses und des Kongresses abhängt.
Gegenwärtig haben die Demokraten die Kontrolle über das Repräsentantenhaus, während die Republikaner die Kontrolle über den Senat haben. Ohne die Kontrolle über beide Häuser kann es für einen US-Präsidenten schwierig sein, politische Entscheidungen zu treffen, abhängig davon, ob er in der Lage ist, parteiübergreifende Kompromisse zu finden. Dies wurde durch die vielen Fälle von legislativen Pattsituationen in der politischen Geschichte der USA verdeutlicht.
Hier die wahrscheinlichsten drei Wahlergebnisse verbunden mit unserer Einschätzung zur jeweiligen Auswirkung auf Wirtschaft und Geldpolitik.
Szenario 1: Sauberer Durchmarsch für die Demokraten
Sollte Biden gewinnen und die Demokraten sich sowohl die Kontrolle über das Repräsentantenhaus als auch den Senat sichern, würden wir erwarten, dass sie kurzfristig ein großzügiges Covid-Unterstützungspaket verabschieden, das rund 2,3 Milliarden Dollar kostet. Darauf würde ein Gesetz zur Erhöhung der Steuern folgen, um teilweise zusätzliche Erhöhungen der Ausgaben für Infrastruktur und eine Reihe von Ansprüchen zu finanzieren. Insgesamt würden diese Initiativen der US-Wirtschaft einen Nettoschub von über 3 Milliarden Dollar oder 15% der US-Wirtschaftsleistung bringen.
Wir würden erwarten, dass die Kombination aus unterstützenden Maßnahmen der Zentralbank und großzügigen Regierungsausgaben zu einer viel stärkeren wirtschaftlichen Erholung führen würde. Dies wiederum würde zu einem schnelleren Preisanstieg führen und der US-Notenbank helfen, ihr Inflationsziel früher als prognostiziert zu erreichen, wodurch die erwartete erste Zinserhöhung auf 2023 vorgezogen würde.
Szenario 2: Biden gewinnt, aber den Demokraten gelingt es nicht, die Kontrolle über den Senat zu sichern
Die legislative Agenda der Demokraten wird unmöglich, wenn die Republikaner die Kontrolle über den Senat behalten. In diesem Fall dürfte der politische Stillstand zumindest bis zu den Zwischenwahlen (November 2022) andauern, bei denen viele Sitze in beiden Kammern zur Neuwahl stehen werden. Dieses Szenario würde das Einfrieren mehrerer Covid-Programme zur wirtschaftlichen Unterstützung von Unternehmen und Haushalten verlängern und damit das Wirtschaftswachstum bremsen.
Die gleiche Entwicklung führte nach der Finanzkrise von 2008 zu einer schwachen Erholung und einer niedrigen Inflation. Dadurch blieb die Fed an der unteren Grenze ihrer Zinsbandbreite gefangen, so dass sie wenig Mittel hatte, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Wir würden erwarten, dass die Fed ähnlich gefangen wäre, wenn sich dies wiederholen würde.
Szenario 3: Eine zweite Amtszeit für Präsident Trump
Sollte Präsident Trump die Wahl gewinnen, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit einem gespaltenen Kongress gegenüberstehen. Die jüngste Geschichte hat gezeigt, dass diese Machtkonstellation zu einer Kompromissgesetzgebung führen kann. Wir würden also einen kleineren kurzfristigen Entlastungsplan für Covid in Höhe von etwa 1,2 Mio. Dollar erwarten. Wir bezweifeln jedoch, dass der Präsident in der Lage wäre, über ein von den Demokraten kontrolliertes Repräsentantenhaus Zustimmung für Teile seiner umfassenderen politischen Agenda - wie weitere Steuersenkungen oder Infrastrukturausgaben - zu erhalten.
Das Szenario einer Trump-Präsidentschaft mit einem gespaltenen Kongress befindet sich in der Mitte der beiden anderen Szenarien. Sicherlich würde das erwartete kurzfristige Covid-Unterstützungspaket der wirtschaftlichen Erholung im Jahr 2021 einen Aufschwung bringen. Der geringere Umfang dieser Maßnahmen und das Unvermögen, die Zustimmung für weitere politische Maßnahmen zu gewinnen, bedeuten jedoch, dass die Auswirkungen auf Wachstum, Inflation und politische Erwartungen gedämpfter ausfallen als bei einem Sieg der Demokraten.“
James McCann, Senior Global Economist bei Aberdeen Standard Investments