Dies könnte eine Gelegenheit für Anleger darstellen, von fehlbewerteten Wertpapieren zu profitieren. Die Risikoaversion könnte indessen steigen, falls der Sieger nach dem Wahltag am 3. November nicht endgültig feststehen und sich die Stimmauszählung aufgrund der zahlreichen per Briefwahl abgegebenen Stimmen und etwaiger Diskrepanzen beim Endergebnis wochenlang hinziehen sollte.
Momentan versuchen die Anleger, die möglichen Auswirkungen gegeneinander abzuwägen, die eine zweite Amtszeit des derzeitigen Amtsinhabers Donald Trump und eine neue Regierung unter seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden hätte.
Unsere Ökonomen rechnen derzeit mit einem Sieg Bidens. Dafür sprechen seine starken Umfragewerte, der steigende Anteil nicht weißer Wähler seit 2016 angesichts der Rassenunruhen und die schwachen Zustimmungswerte für das Team von Trump.
Sollte Biden die Wahl gewinnen, gehen wir davon aus, dass er einen strategischeren, multilateralen Ansatz in Bezug auf die Handelspolitik verfolgen wird, der die Beziehungen zu Europa verbessern könnte. Die bestehenden Handelsbarrieren gegenüber China wird er jedoch angesichts der innenpolitischen Lage wohl nicht sonderlich stark abbauen. Er dürfte vielmehr eine strategische Überprüfung der Beziehung vornehmen.
Gleichwohl könnte dies helfen, die Volatilität insgesamt zu senken und die Sorgen vor einer weiteren Deglobalisierung zu mindern. Eine zweite Amtszeit Trumps würde indes eine Beibehaltung des Status quo bedeuten.
Für Anleger in Asien stellt China angesichts der zunehmenden Beschränkungen für chinesische Technologieunternehmen nach wie vor das dringendste Problem und einen möglichen Sorgenpunkt dar.
Ganz gleich, wer die anstehende Präsidentschaftswahl gewinnt, die Spannungen zwischen den USA und China dürften fortbestehen. Sie spiegeln die starke strategische Rivalität zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt wider.
Wenngleich sich die Beziehungen zu China unter Biden weniger konfrontativ gestalten könnten, besteht in den USA ein parteiübergreifender politischer Konsens, dass eine gewisse wirtschaftliche Entkopplung von China erforderlich ist. Die Anleger müssen womöglich noch viele Jahre lang diesen geopolitischen Faktoren Rechnung tragen.
Wichtig ist jedoch, die Anlagechancen unabhängig vom geopolitischen Hintergrund zu beurteilen. Die Anleger sollten sich vergegenwärtigen, dass Asien seine orthodoxe Wirtschaftspolitik zum Vorteil gereicht, da sie den Währungshütern in der Region mehr Spielraum für Zinssenkungen lässt als ihren Kollegen im Westen.
Zudem verfügen die meisten asiatischen Länder über stärkere Leistungsbilanzen und eine geringere Staatsverschuldung, und gleichzeitig weisen die Privathaushalte, Banken und Unternehmen eine solidere Finanzlage auf. Dies dürfte die Anleger beim Blick auf das künftige Umfeld zuversichtlich stimmen.
Asien wird zudem von strukturellen Trends begünstigt, allen voran von der Kaufkraft seiner immer wohlhabenderen Mittelschicht. Das gilt auf jeden Fall für China, wo wir davon ausgehen, dass das steigende verfügbare Einkommen die Nachfrage nach Gesundheitsprodukten, Finanzdienstleistungen, Versicherungen und Luxusgütern, also nach Dingen ankurbelt, die Menschen mit zunehmendem Wohlstand vermehrt nachfragen.
Was die Coronapandemie anbelangt, so dürfte China weniger schwer an den Folgen der Covid-19-Krise zu tragen haben als die meisten großen Wirtschaftsnationen, da das Land frühzeitig effektive Gegenmaßnahmen ergriffen hat. Die Wirtschaft zieht wieder an, was auch an der jüngsten Erholung des Inlandstourismus abzulesen ist. Für Anleger bedeutet dieser frühere konjunkturelle Neustart, dass sie den Ausblick für die Gewinne chinesischer Unternehmen besser einschätzen können als für Aktien in anderen Regionen.
Auch beim technologischen Wandel hat Asien eine Führungsrolle inne, so etwa beim Übergang zum neuen Mobilfunkstandard 5G, beim autonomen Fahren, bei künstlicher Intelligenz und bei der Automatisierung.
Angesichts der erhöhten Volatilität im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl bieten sich Chancen für Investoren, asiatische Qualitätstitel zu günstigen Kursen zu erwerben. Asien ist nach wie vor die Heimat einer Vielzahl von Qualitätsunternehmen, die klare Gewinntreiber, robuste Bilanzen und solide Barbestände vorweisen können.
Die Anleger könnten sich auf Unternehmen konzentrieren, die Marktführer in ihrer Branche sind und deren langfristige Wachstumsperspektiven intakt bleiben oder sich durch strukturelle Veränderungen in den Volkswirtschaften, Sektoren und Unternehmen verbessert haben, die infolge der Spannungen zwischen den USA und China und der Covid-19-Pandemie entstanden sind.
Angesichts der großen Bewertungsunterschiede in den einzelnen Segmenten dürfte es sich für Anleger lohnen, jenseits der kurzfristigen Turbulenzen langfristige Anlagechancen ins Visier zu nehmen. Besonders gut schätzen wir die Aussichten für asiatische Qualitätsaktien mit starken Fundamentaldaten ein, die vom strukturellen Wachstum der Region profitieren dürften. Asien ist schließlich die wachstumsstärkste Region weltweit und wird durch strukturelle Trends begünstigt, die in den nächsten Jahren zum Tragen kommen.
Interessante Bereiche sind unter anderem Premium-Produkte in Gesundheit, Vermögensverwaltung und Versicherung, aber auch die Verbreitung von Technologiediensten wie der Cloud, die Einführung des 5G-Mobilfunkstandards, Datenzentren und die digitale Vernetzung sowie die rasante Urbanisierung und der Infrastrukturbedarf in der Region.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Anleger weiterhin Disziplin walten lassen müssen, indem sie in Unternehmen investieren, die gut positioniert sind, um ihren Umsatz und ihre Rentabilität langfristig zu erhalten, unabhängig davon, wer letztlich die US-Präsidentschaftswahl gewinnt.
Flavia Cheong, Head of Equities, Asia Pacific, Aberdeen Standard Investments