Nachjustierung des Anlageumfelds
Aufgrund der Coronavirus-Pandemie leben, arbeiten und konsumieren wir anders als zuvor. Außerdem bringt sie uns dazu, innovativer zu sein. Einige bestehende Trends – zum Beispiel die Hinwendung zum Online-Shopping – haben sich beschleunigt. Andere neue Trends – so etwa die digitalisierte Gesundheitsversorgung und flexibles Wohndesign – entstehen und breiten sich aus.
Die Covid-19-Krise treibt darüber hinaus Veränderungen im Anlageumfeld an und dabei spricht wenig für eine baldige Rückkehr zum „alten Normalzustand“. So bedeutet speziell der wirtschaftliche Schaden, den die Pandemie angerichtet hat, dass die Zinssätze sehr viel länger niedrig bleiben werden als bislang erwartet. Die Renditen für Fixed-Income-Anleger sinken dadurch. Das ist auch insofern wichtig, als die Zinssätze für die Bewertung finanzieller Vermögenswerte herangezogen werden. Wenn die Zinssätze sinken, steigen die Bewertungen von Vermögenswerten; dies bedeutet wiederum, dass die zukünftigen Erträge, die Anleger erwarten können, sinken.
Abbildung 1 zeigt, wie stark die Renditen gesunken sind. Schuldtitel im Gesamtwert von über 16 Bio. USD weisen mittlerweile negative Renditen auf. Der Käufer einer Anleihe bezahlt den Emittenten also dafür, dass er sich Geld von ihm leiht.
Abbildung 1: Gesamtbetrag der globalen Schuldtitel mit negativer RenditeQuelle: Bloomberg, Stand: 22. Oktober 2020
Die Erträge dürften nicht nur niedriger ausfallen, sondern auch volatiler sein.
Darüber hinaus dürften die Erträge nicht nur niedriger ausfallen, sondern auch stärkeren Schwankungen unterliegen. Dies spiegelt die immense Unsicherheit in Bezug auf die globalen Wachstumsaussichten wider – und die Sorge über die extrem hohen Schulden, die Unternehmen und Staaten anhäufen. Wenn niedrigere Erträge erwartet werden, sind Anleger weniger bereit, Verluste zu tolerieren, weil es schwieriger wird, diese wieder auszugleichen.
Diese Veränderungen im Anlageumfeld machen eine grundlegende Überarbeitung unseres Anlageansatzes notwendig. Anleger müssen neue Wege finden, wie sie Risiken diversifizieren und zuverlässige Erträge erwirtschaften können.
Diversifizierung als Herausforderung
In einem extrem schwachen Marktumfeld, in dem mit niedrigen langfristigen Erträgen zu rechnen ist, ergibt es keinen Sinn, auf eine statische Asset-Allokation zu setzen – der gängige Ansatz zur Diversifizierung, der Anleihen und Aktien miteinander kombiniert, hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten zwar bewährt, dürfte die 2020er-Jahre aber nicht überstehen.
Die globalen Zinssätze tendieren allesamt gegen Null; daher eignen sich Staatsanleihen der Industrieländer nur noch bedingt als Instrument zur Diversifizierung. Zu behaupten, dass Staatsanleihen nicht mehr zur Diversifizierung dienen können, wäre zu stark vereinfacht. Dennoch müssen Anleger wohl auf Hebeleffekte setzen oder den Fokus auf Anleihen mit längeren Laufzeiten – und höheren Renditen – legen.
Und welche Möglichkeiten bleiben uns dann also noch, in einem Umfeld mit extrem tiefen Zinssätzen, niedrigen Erträgen und volatilen Märkten gut diversifizierte Portfolios aufzubauen? Klar ist, dass Anleger das Risikoprofil aktiv steuern müssen, um unkorrelierte Erträge zu erzielen, zu diversifizieren und sich anzupassen, wenn sich die Faktoren ändern, die die Marktentwicklung antreiben.
Sind anlageklassenübergreifende Positionen die Lösung?
Anleger, die anlageklassenübergreifende Positionen auf Makro- und Einzeltitelebene nutzen können, haben einen entscheidenden Vorteil. Hier einige Beispiele.
Langfristigen Gewinnern treu bleiben
Im Aktienbereich bieten sich für Anleger Möglichkeiten zum Aufbau gezielter Engagements, um für verschiedene Zukunftsszenarien gewappnet zu sein, in denen sich das Wachstum und die Inflation jeweils unterschiedlich entwickeln. Indem wir uns auf thematisch orientierte Ideen stützen und diese mittels Relative-Value-Positionen umsetzen, können wir unabhängig der Entwicklungsrichtung der Märkte Erträge anstreben.
Ein solches Thema könnten höhere Staatsausgaben sein. Die Politik hat einen immer größeren Einfluss auf die Verteilung von Kapital. Daraus ergeben sich Gewinner (z.B. Unternehmen, die „grüne“ Energieinfrastruktur entwickeln, oder Anbieter von Bildung) – aber auch Verlierer. Mittels Relative-Value-Positionen können wir unsere Präferenz für einen Vermögenswert gegenüber einem anderen Ausdruck verleihen. Dadurch können wir sowohl bei nachteiligen als auch bei günstigen Marktbedingungen positive Erträge erzielen.
In einer Welt, die von niedrigem Wachstum, aber günstigem Geld in Hülle und Fülle geprägt ist, steigt zudem die Bewertungsprämie von Sektoren und Branchen, die zukünftiges Wachstum versprechen, da ihnen weiterhin Anlagegelder zufließen. Zu den Nutznießern würden unter anderem Technologieaktien zählen.
Währungen als Mittel zur Diversifizierung
In dem neuen Anlageumfeld dürften Währungen als nützliche Diversifizierungsinstrumente an Bedeutung gewinnen. Währungen ermöglichen ein Exposure gegenüber verschiedenen Arten von Risiken, die sich klar von traditionellen Aktien-, Zins- und Schwellenländerrisiken unterscheiden. Wenn darüber hinaus die Zinssätze durch die Politik der Zentralbank auf sehr niedrigen Niveaus verankert sind, dürften Währungen für Volkswirtschaften die Funktion eines „Überdruckventils“ erfüllen. Wir können daher Währungspaare dafür nutzen, unsere Ansichten zu den Konjunkturaussichten eines Landes im Vergleich zu denen eines anderen Landes zum Ausdruck zu bringen. Eine Position beim japanischen Yen gegenüber dem Euro könnte zum Beispiel anzeigen, dass wir die politischen und wirtschaftlichen Risiken in Europa mit Skepsis betrachten.
Netze an den Anleihenmärkten breit auswerfen
Im Anleihenbereich dürfte die Möglichkeit, länderübergreifend auf Relative-Value-Positionen zu setzen und von einer Hebelwirkung zu profitieren, für Anleger sehr wertvoll sein. Zudem könnten sich neue Diversifizierungsinstrumente ergeben, etwa Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Rating und Staatsanleihen aus den Schwellenländern (abgesichert, um das Währungsrisiko zu eliminieren). Investment-Grade-Anleihen erweisen sich zunehmend als Gewinner der Wertpapierkaufprogramme der Zentralbanken. In den Schwellenländern haben die Zentralbanken mit Zinssenkungen auf Konjunkturabschwünge reagiert. Dieser Systemwechsel hat sich während der aktuellen Covid-19-Pandemie sogar noch verstärkt. In den Schwellenländern haben mehr Zentralbanken als je zuvor ihre Zinssätze gesenkt, und einige haben zudem Wertpapierkaufprogramme aufgelegt, um die Märkte zu stützen. Die Renditen von Schwellenländeranleihen konnten dadurch parallel zu den Anleihenrenditen in den Industrieländern sinken, was Anlegern positive Erträge beschert hat (wenn die Renditen von Anleihen sinken, steigen ihre Kurse und umgekehrt).
Ausnutzen der Rohstoffkurven
Rohstoffe sind eine weitere Möglichkeit zur Diversifizierung. Die Erwartung, dass die Zinsen noch über längere Zeit nahe Null verharren werden, dürfte die Preise von Edelmetallen wie Gold weiter stützen. Außerdem können wir versuchen, bei der Suche nach Erträgen die in diversen Rohstoffkurven enthaltenen Risikoprämien als diversifizierte Ertragsquelle für Anleger zu nutzen. (Eine Rohstoffkurve zeigt, wie sich der Preis eines Rohstoffs am Terminmarkt mit der Zeit verändert. Indem wir einen Rohstoff zu mehreren verschiedenen Terminpreisen handeln, können wir versuchen, von etwaigen Preisdifferenzen zu profitieren.)
Aktiv sein
Zweifellos können Anleger nicht mehr darauf vertrauen, dass statische Kombinationen von Aktien und Anleihen eine gute Diversifizierung gewährleisten. Vielmehr werden sie ein aktives Risikomanagement betreiben müssen, um wirklich diversifizierte, unkorrelierte Erträge zu erzielen und rasch reagieren zu können, wenn sich die Faktoren ändern, die die Marktentwicklung antreiben.
Thomas Maxwell, Investment Director, Absolute Return, Aberdeen Standard Investments