Am auffälligsten ist aber, dass die Analysten im Vorfeld der Berichtssaison ihre Erwartungen bereits seit einigen Wochen nach oben korrigiert hatten. Nachdem die Gewinne im 2. und 3. Quartal weniger stark als erwartet gesunken waren, hatten die Analysten ihre Prognosen für das 4. Quartal angehoben. Dennoch gelang es den Unternehmen, diese erhöhten Erwartungen zu übertreffen.
Dies ist wahrlich keine alltägliche Entwicklung. Üblicherweise revidieren die Analysten ihre Erwartungen im Vorfeld der Berichtssaison nach unten, sodass es für die Unternehmen leichter ist, positive Überraschungen zu vermelden.
Dieses Mal haben die Unternehmen die bereits erhöhten Gewinnerwartungen durchweg übertroffen. Dies ist eine höchst ungewöhnliche, aber keine einzigartige Entwicklung.
Eine zyklische Erholung
Dieses Mal haben die Unternehmen die bereits erhöhten Gewinnerwartungen durchweg übertroffen. Dies ist eine höchst ungewöhnliche, jedoch keine einzigartige Entwicklung. Ein ähnliches Phänomen war 2009 während der Erholung von der globalen Finanzkrise zu beobachten, wie auch 2017, als US-Steuersenkungen durch Präsident Trump und synchronisierte globale Stimulusmaßnahmen zusammentrafen. Anhand dieser historischen Beispiele können wir darauf schließen, dass es sich nicht nur um einen kurzen Lichtblick, sondern um eine echte Verbesserung der fundamentalen Lage der Unternehmen handelt. Das Gewinnwachstum ist mit Bravour zurück.
Im Moment zeigt sich diese Entwicklung am deutlichsten in den USA. Aber wenn die USA führen, folgen auch die anderen Industrieländer. Während viele Technologieunternehmen weiterhin von den Lockdown-Maßnahmen profitieren, legten auch zyklische Unternehmen wie Banken und Industrieunternehmen bemerkenswert starke Ergebnisse vor.
So konnten beispielsweise Goldman Sachs, Bank of America, JP Morgan Chase und Morgan Stanley die Erwartungen deutlich übertreffen. Ihre Gewinne profitierten von starken Handelsaktivitäten und der Auflösung zu pessimistisch ausgefallener Rückstellungen für notleidende Kredite aus dem vergangenen Jahr. Im Industriesektor legte der Werkzeug- und Sicherheitsausrüstungsanbieter Fastenal über den Erwartungen liegende Ergebnisse vor, die auf eine gestiegene Aktivität im Baugewerbe schließen lassen. Transportunternehmen entwickelten sich ebenfalls gut, darunter der Logistikanbieter JB Hunt und die Eisenbahngesellschaften CSX und Union Pacific. Dies alles deutet auf eine robuste Konjunkturerholung hin.
Zahlreiche Rückkäufe in diesem Jahr erwartet
Die Unternehmen haben umfangreiche Aktienrückkäufe eingeleitet. Infolge einer Kombination aus günstigen Krediten und einem wieder besseren Geschäftsklima waren die Rückläufe die stärksten, die je in einem Januar verzeichnet wurden. Nach Schätzung von Goldman Sachs dürfte 2021 das drittstärkste Jahr für Rückkäufe seit 2007 werden, nach den Rekordwerten von 2018 und 2019.
Während die Unternehmen bei ihrem Ausblick und ihren Vorgaben nach wie vor Zurückhaltung üben, deutet ihr Handeln auf ein im Grunde robustes Geschäftsklima hin. Einige der Rückkäufe entfallen zwar auf Technologieunternehmen mit starken Cashflows, doch beteiligen sich auch zyklische Unternehmen an der Entwicklung. So kündigten die Banken Rückkäufe bis zur regulatorischen Grenze an.
Ein deutlich besserer Ausblick
Zum Jahresbeginn rechneten wir noch mit einem Gewinnrückgang um 10% für das 4. Quartal. Mittlerweile zeigt sich aber klar, dass die Gewinne nach einer Seitwärtsbewegung im Jahr 2019 und starken Verlusten in den ersten drei Quartalen 2020 nun wieder im grünen Bereich liegen. Vor dem Hintergrund der kontinuierlichen Aufwärtsrevision der Analystenerwartungen, der sukzessiven Verbesserung der Quartalsergebnisse und der positiven Überraschungen während der laufenden Berichtssaison deutet alles auf eine Konjunkturerholung hin.
Wie lange wird es dauern, bis wir wieder das vor Covid verzeichnete Niveau erreicht haben? Diese Entwicklung dürfte mindestens einige Quartale in Anspruch nehmen. Der historische Durchschnitt für eine Wiederherstellung des verlorenen Wachstums beträgt zehn Quartale. Doch angesichts der plötzlichen Unterbrechung der Wirtschaftstätigkeit während des Lockdown und des Potenzials für eine ausgeprägte Erholung dürfte die Entwicklung dieses Mal schneller verlaufen. Wir sehen jedenfalls einige Quartale mit einen sehr starken Gewinnwachstum voraus.
Wieso präsentiert sich der Markt so verhalten?
Dennoch hat der Aktienmarkt bisher mit Zurückhaltung reagiert. Aktien von Unternehmen, die sowohl die Umsatz- als auch die Gewinnerwartungen je Aktie übertrafen, blieben tendenziell um einen Prozentpunkt hinter dem breiteren Markt zurück, anstatt ihn um 1,5 Prozentpunkte zu übertreffen, wie es dem historischen Durchschnitt entsprochen hätte.
Was ist der Grund dafür? Dies ist hauptsächlich auf die deutliche Verbesserung des Anlegervertrauens im Vorfeld der Berichtssaison zurückzuführen. So mussten die Anleger bereits in den beiden vorangegangenen Quartalen positive Gewinnüberraschungen sowie zahlreiche erfreuliche Meldungen verarbeiten: das US-Haushaltspaket, die erfolgreiche Entwicklung einiger wirksamer Covid-Impfstoffe und den Beginn der Massenimpfungen in den Industrieländern.
Als Folge befinden sich die Gewinnerwartungen mittlerweile auf dem höchsten Stand seit Februar 2002. Trotz der realen Verbesserung der Fundamentalfaktoren blieb die Aktienmarktreaktion daher verhalten. Eine bemerkenswerte Ausnahmen bildete Netflix – wobei aber der nachbörsliche Kursanstieg eher auf die angekündigten Rückkäufe und weniger auf die Gewinnzahlen zurückzuführen ist.
Was kommt als Nächstes?
Die wichtigste Erkenntnis für die Anleger lautet, dass sie sich auf das Szenario einer anhaltenden Gewinnerholung einstellen sollten. Zwar hat die Realität inzwischen die Erwartungen eingeholt, dennoch dürften einige Quartale mit Gewinnwachstum auch künftig der Stimmung und den Erträgen zugutekommen.
Bislang konzentrierte sich die Gewinnerholung größtenteils auf Wachstumswerte – dies betraf insbesondere die Technologieunternehmen, die von dem Lockdown profitierten. Bei Netflix und seinen Mitbewerbern stellt sich allerdings die Frage, ob sie vielleicht einfach künftiges Abonnentenwachstum vorweggenommen haben. Sollte dem so sein, haben sie während der Pandemie möglicherweise eine Wachstumsspitze erreicht. Indes sind die Gewinnprognosen für jene Bereiche am höchsten, in denen die Gewinne im letzten Jahr teilweise vollständig weggebrochen waren. Wenn sich die aktuellen Prognosen als richtig erweisen, sind diese vernachlässigten Bereiche – Substanzwerte, zyklische Titel und britische Aktien – für eine Rückkehr des Wachstums in den kommenden Quartalen offenbar am besten positioniert.