Aktiv zu sein heißt, mit Unternehmen in einen Dialog zu treten, an denen eine Beteiligung erworben wurde, und konstruktiv Fragen zur Unternehmensführung zu stellen, um zu Verbesserungen zu ermutigen. Nach unserer Erfahrung kann dies helfen, Anlageerträge zu steigern.
Engagement wird von jedem anders interpretiert. In der Praxis gibt es zwei Arten von Engagement: proaktive Vorschläge für ökologische, soziale und Governance-Faktoren (ESG) sowie Abhilfemaßnahmen, um ein Unternehmen nach einem negativen Ereignis wieder auf Kurs zu bringen.
Beim proaktiven Engagement konzentrieren sich die Anleger in der Regel darauf, dass die Weichen für Wachstum gestellt sind. Das bezieht sich insbesondere auf die internen Risikokontrollen eines Unternehmens und die Stärke seiner Kapitalposition. Abhilfemaßnahmen erfolgen nur, wenn etwas schiefgelaufen ist.
Obschon Abhilfemaßnahmen häufig mehr öffentliche Anerkennung bescheren, sollten sich Anleger unseres Erachtens auf ein proaktives Engagement fokussieren. Ein umsichtiger Fahrer ist bekanntlich besser als ein unfallträchtiger Fahrer.
Engagement ist ein inspirierender Prozess, der Anlegern zeigt, wie ein Unternehmen operiert und Risiken bewertet.
Engagement ist ein inspirierender Prozess, der Anlegern zeigt, wie ein Unternehmen operiert und Risiken bewertet. Der beste Ansatz besteht darin, eine Beziehung und Vertrauen zur Unternehmensleitung aufzubauen. Anleger, die eine Nähe zu den Entscheidungsträgern pflegen, können effizienter auf Letztere einwirken.
Regelmäßige Interaktionen ermöglichen den Anlegern darüber hinaus, Kompetenzen, Wesen und Engagement von Unternehmensvorständen und Managementteams einzuschätzen. Auf diese Weise können sie entweder Vorbehalte entkräften oder das Bewusstsein für zusätzliche Risiken schärfen.
A-Aktien-Unternehmen beginnen erst jetzt, den Wert zu verstehen, der durch ein Engagement mit Blick auf ESG-Faktoren geschaffen werden kann. Wir beobachten einen Wandel auf Managementebene, wodurch Chancen für Alpha entstehen.
Beispielsweise kann die Umsetzung nachhaltiger Praktiken dazu führen, dass sich Markenwahrnehmung und Kundentreue eines Unternehmens verbessern. Ebenso kann dies einen Schutz vor Katastrophen bieten. Die Schaffung einer sauberen und grünen Umgebung ist in China eine Priorität, sodass das Bewusstsein für den Klimawandel vergleichsweise ausgeprägt ist.
Weniger gut entwickelt sind dagegen staatliche Vorgaben zu sozialen Faktoren wie zur Interaktion von Unternehmen mit ihren Beschäftigten, Zulieferern und im weiteren Sinne der Gesellschaft. Folglich ist in dieser Hinsicht mehr Engagement erforderlich. Das Wohlergehen der Beschäftigten zu fördern und faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, kann die Belegschaft engagierter, stabiler und produktiver machen und wirkt sich langfristig wertsteigernd aus.
Als attraktiver Arbeitgeber zu gelten, ist in der zunehmend wissensbasierten chinesischen Wirtschaft inzwischen entscheidend. In China findet ein Wettlauf um Talente, insbesondere um IT-Expertise statt, zumal Unternehmen in fortschrittliche Technologiebranchen und die Digitalisierung vorstoßen. Wir fühlen Unternehmen häufig auf den Zahn, was ihre Strategie für die Gewinnung und Bindung von Talenten angeht.
Weitere soziale Fragen betreffen das Lieferkettenmanagement und die Ausarbeitung eines Verhaltenskodex für Zulieferer. Um zu verstehen, wie sich Unternehmen vor Produktivitätseinbußen schützen, analysieren wir ebenfalls die Richtlinien für Gesundheit und Sicherheit.
Die Suche nach dem entscheidenden Extra
Anders als noch vor zehn Jahren stehen A-Aktien-Unternehmen heutzutage im Dialog mit ihren Aktionären. Interventionen der Anleger beschränkten sich in der Regel auf die Dividendenpolitik. Analysten mussten sich lediglich bemühen, Umsatz, Gewinn und Bewertung richtig vorherzusagen, um Anlagechancen zu ermitteln.
Das reicht heute nicht mehr aus. In einem Markt, in dem Informationen immer leichter verfügbar sind, müssen Anleger ein entscheidendes Extra finden. Nach unserer Einschätzung geht es beim ESG-Engagement darum, nachhaltiges Alpha auszumachen.
Ein Bereich, in dem sich chinesische Unternehmen durchweg verbessern müssen, betrifft die Offenlegung im Zusammenhang mit ESG-Aspekten. Die unzureichende Offenlegung von Informationen führt zu Marktineffizienzen, was Anlegern Chancen für die Generierung von Alpha eröffnet.
Beispielsweise ist die China Merchants Bank* (CMB) weit und breit als Chinas führende Retail- und Privatbank anerkannt. Dennoch erhielt sie von MSCI ein niedriges ESG-Rating. Wir führen dies auf die unzureichende Offenlegung des Unternehmens bzw. noch stärker auf das Fehlen angemessener einschlägiger Prozesse zurück.
Die Bank berücksichtigt bei ihren Kreditentscheidungen ESG-Faktoren. Zudem hat sie Richtlinien verabschiedet, um Ausleihungen an Sektoren mit strukturellem Gegenwind, wie den Kohlesektor, zu regulieren. Konkret will sie Kreditnehmer dazu bringen, ihren ökologischen Fußabdruck zu verbessern, um im Zuge des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft weiter am Ball zu bleiben. Allerdings muss sie mehr tun, um diese Initiativen offenzulegen.
Analog dazu hat die CMB im Laufe der Jahre in Finanztechnologie investiert. Das hat ihr im Zuge der wachsenden Bedrohung durch Disintermediation, die auf dem Sektor lastet, einen Wettbewerbsvorsprung beschert. Ferner verfügt die CMB über eine robuste Digitalstrategie und investiert in künstliche Intelligenz, Gesichtserkennung und Blockchain-Technologie, um das Risikomanagement zu verbessern. Sie muss dies lediglich noch klarer offenlegen.
Überdies unterhält die Bank ein internes Schulungszentrum für die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern und führt Entwicklungsprogramme zur Förderung von Talenten durch. Würde die Bank diese Bemühungen stärker in den Vordergrund rücken, könnten Anleger die Wettbewerbsvorteile des Unternehmens besser erkennen.
Auch die Centre Testing International Group, die die Produktqualität in China überprüft und über einzelne Branchen hinweg Prüfzertifikate ausstellt, hat das niedrigste ESG-Rating von MSCI erhalten.
MSCI konnte nicht ermitteln, welche Richtlinien das Unternehmen in den Bereichen Talentbindung, Datenschutz und Emissionsüberwachung verabschiedet hat. Unser Engagement zeigt dennoch, dass Centre Testing einschlägige Mechanismen eingerichtet hat.
So betreibt es ein Schulungszentrum für Talente, ein Mentoren- und ein Graduiertenprogramm und überprüft systematisch die Personalfluktuation. Ebenso besitzt es Zertifikate, denen zufolge es die weltweit gängigsten Normen für das Management der Informationssicherheit einhält. Das Unternehmen muss diese Fakten lediglich offenlegen, und genau darauf arbeiten wir mit dem Unternehmen hin.
Eine schlechte ESG-Bewertung von MSCI erhielt auch der weltweit größte Solarmodulhersteller, LONGi Green Energy Technology Co. Gerügt wurden fehlende Strategien bzw. Vorgaben für die Einsparung von Wasser. Das Unternehmen hat bislang noch keine Daten zu Wasserverbrauch, -intensität oder der Senkung des Wasserverbrauchs veröffentlicht.
Doch unser Engagement führte ans Licht, dass LONGi ein Wasserrecyclingsystem zur Wassereinsparung besitzt, die Wasserversorgung überwacht und den Wasserverbrauch regelmäßig überprüft. Außerdem hält es weltweite Umweltnormen ein und rüstet seine Technologie immer wieder auf, um den Energieverbrauch zu minimieren.
Sofern LONGi seine Prozesse detaillierter darlegen kann, dürfte es von MSCI heraufgestuft werden. Ein besseres ESG-Rating von MSCI ist ein Indiz für die Qualität eines Unternehmens, das dadurch für globale Anleger attraktiver werden könnte.
Schließlich hat auch SAIC Motor, der führende chinesische Hersteller von Automobilen, Teilen und Zubehör, einen unzureichend detaillierten Jahresbericht eingeräumt, nachdem das Unternehmen von der globalen Climate Action 100+ Net-Zero Company Benchmark negativ bewertet wurde.
Die CA100+ orientiert sich an öffentlichen und selbst offengelegten Daten, um Unternehmen mit Blick auf Emissionsnormen zu bewerten. Die Erklärungen von SAIC zu der Notwendigkeit, den Kohlenstofffußabdruck innerhalb seiner Wertschöpfungskette zu senken, sind weitreichend und vorwiegend dem Erfordernis geschuldet, eine höhere Kraftstoffeffizienz zu erreichen.
Dennoch erfordert die Voraussetzung einer staatlichen Genehmigung, bevor Fahrzeuge der nächsten Generation überhaupt produziert werden dürfen, dass SAIC strenge Standards erfüllen muss, da es andernfalls Kosten zu tragen hätte und künftige Kundenaufträge verpassen dürfte.
Unser Engagement hat gezeigt, dass der Automobilhersteller über seine Lieferkette hinweg einen neuen Berichtsrahmen einrichtet. Diese Erkenntnisse werden mit Daten seiner Erstausrüster verschmolzen und fließen dann in künftige Datenveröffentlichungen ein. Würden diese Bemühungen offengelegt, könnte dies die Wahrnehmung der Anleger ändern und dem Unternehmen zum Vorteil gereichen.
Auf Wandel setzen
Damit ein Engagement Wirkung erzielt, sollten Anleger für jedes Unternehmen eine maßgeschneiderte Agenda festlegen und sich jeweils gründlich vorbereiten. Auch benötigen sie Geduld. So beobachten wir bei den Unternehmen, in die wir investieren, eine zunehmende Wertschätzung der Tatsache, dass wir längerfristig in China sind. Auch das hilft, unsere Dialoge aufzuwerten.
Inzwischen sind die Türen von Unternehmen für uns sogar so weit offen, dass uns einige Unternehmen in ESG-Belangen um Rat fragen. Dennoch hat der Markt noch viel Verbesserungspotenzial.
Für Anleger geht es darum, auf den Wandel zu setzen. Unternehmensleiter sind zunehmend bereit, mehr Informationen offenzulegen, ihre Geschäftsmodelle anzupassen und eine marktorientiertere Haltung an den Tag zu legen. Zum Teil vollzieht sich dies gerade in China, und das ist äußerst vielversprechend.
David A. Smith, Head of Corporate Governance, Asia, Aberdeen Standard Investments
* Wir sind bei den fett geschriebenen Unternehmen engagiert. Diese sind nur zu Illustrationszwecken angegeben.