„Historisch gesehen sind die Auswirkungen von Inflationsänderungen auf die Aktienmarktbewertungen vielfältig. Es ist tendenziell der Fall, wenn auch nicht immer, dass die Bewertungen bei niedriger, aber zunehmender Inflation steigen. Wenn die Inflation hoch ist und steigt oder niedrig ist und fällt, ist dies dagegen schlecht für den Aktienmarkt.
Daher passen die jüngsten Rückgänge am Aktienmarkt, die auf die Erwartungen einer höheren Inflation zurückgeführt werden, nicht unbedingt zu diesen historischen Beobachtungen. Stattdessen werden wir vermutlich die indirekten Auswirkungen einer höheren Inflation durch höhere Anleiherenditen auf sehr teure Segmente des Aktienmarktes beobachten können.
Der offensichtlichste Bereich, den man im Blick haben sollte, ist der Technologiesektor. Technologiewerte sind extrem teuer und reagieren auch sehr empfindlich auf Änderungen der Anleiherenditen, da die Renditen als Abzinsungsfaktor bei der Berechnung des Barwerts zukünftiger Gewinne eine Rolle spielen.
Tech-Aktien fungieren in der Tat als Anleihen-Proxys, indem sie gemeinsam mit den Anleiherenditen steigen und fallen. Grund dafür ist die Annahme, dass das Ertragswachstum nicht sehr zyklisch ist und sich sogar verbessern kann, wenn die Wirtschaftstätigkeit aufgrund staatlicher Abschottungspolitik gedämpft wird.
In den USA sind Technologiewerte in Bezug auf die Marktkapitalisierung und die Gewinne so dominant, dass eine schlechte Performance einen erheblichen Gegenwind für den Gesamtmarkt zur Folge hat. In Europa gibt es nur sehr wenige nennenswerte Technologiewerte und es überwiegen in der Regel wertorientierte und zyklische Unternehmen, von denen man normalerweise erwarten würde, dass sie von einem steigenden Wachstums- und Inflationsumfeld profitieren. Daher scheint es wahrscheinlich, dass abgesehen von den Auswirkungen der marktübergreifenden Korrelation die Hauptbegründung für die jüngste Schwäche darin liegt, dass die Anleger aufgrund der laufenden wirtschaftlichen Erholung in naher Zukunft mit weniger unterstützenden geldpolitischen Maßnahmen rechnen müssen.
Letztendlich ist es so, dass die Aktienmärkte in den letzten 12 Monaten überall eine deutliche Neubewertung vorgenommen und dabei eine unglaubliche Menge an guten Nachrichten eingepreist haben, sodass nur noch sehr wenig Risikoprämie übrig ist. Und das trotz der immensen makroökonomischen Unsicherheit, die nach wie vor besteht. Aus diesem Grund sollten wir nicht überrascht sein, wenn wir in Zukunft Schwächephasen bei Risikoanlagen erleben, die das unvermeidliche Ergebnis des nahezu euphorischen Ausmaßes an Anlegervertrauen sind, welches in krassem Gegensatz zu den mittelfristigen Aussichten für die Volkswirtschaften und den politischen Entscheidungen allerorts steht.“
James Athey, Senior Investment Director, Aberdeen Standard Investments