Stephanie Kelly, Deputy Head of Aberdeen Standard Investments Research Institute, sagt dazu:
„Ziel ist es, Volkswirtschaften zu ermitteln, die von einer höheren Geschlechtergleichstellung profitieren würden, da sie dadurch bessere wirtschaftliche Ergebnisse erzielen dürften und bessere Anlagegelegenheiten darstellen könnten. Die von uns verwendeten sehr spezifischen Kennzahlen erleichtern die Beurteilung, was an welcher Stelle verbessert werden kann. Dies vereinfacht auch die Nachverfolgung von Verbesserungen oder Rückschritten in Folgejahren. Da der Index noch brandneu ist, wird es interessant sein, zu sehen, inwiefern sich die Lage in den einzelnen Ländern verbessert oder ob beispielsweise die Pandemie für einen Rückschlag im Hinblick auf die Geschlechtergleichstellung sorgt.“
Der Index weist Ländern eine Bewertung von 0 – 100 auf Basis spezifischer Kennzahlen wie der aktuellen wirtschaftlichen Situation für Frauen und der bestehenden politischen Maßnahmen zur Förderung der Gleichberechtigung sowie einer „Empowerment“-Bewertung zu, die angibt, welche Chancen und Beteiligungsmöglichkeiten für Frauen in der Geschäftswelt und auf politischer Ebene bestehen. Daraus ergaben sich überraschende Einblicke in Bezug auf die anhaltende Ungleichbehandlung zwischen den Geschlechtern.
- Nach den skandinavischen Ländern weisen Deutschland und Estland die höchsten Gleichberechtigungsquoten auf. Beide Länder schneiden in Bezug auf sämtliche wirtschaftlichen, politischen und „Empowerment“-Indikatoren durchweg gut ab.
- Die USA könnten den „Brain drain“, den Rückzug ihrer extrem gut ausgebildeten weiblichen Erwerbsbevölkerung aus dem Arbeitsmarkt, durch gleichstellungsfördernde politische Maßnahmen umkehren. Obschon Frauen aus den USA zu den am besten ausgebildeten weltweit zählen, sind sie in der US-Erwerbsbevölkerung nach wie vor unterrepräsentiert. Das Land positioniert sich auf Platz 27 von 29, was laut dem Bewertungssystem vor allem dem Mangel an politischen Maßnahmen zur Förderung von Geschlechtergleichheit geschuldet ist. Missstände wie fehlende Elternzeitregelungen, teure Kinderbetreuung und die hohe steuerliche Belastung für Eltern und Alleinerziehende könnten durch entsprechende Gesetze behoben werden. Im Hinblick auf Gesetze zur Geschlechterdiskriminierung und Lohngleichheit hinken die USA den meisten Industrieländern ebenfalls hinterher.
- Japan weist eine der großzügigsten Elternzeitregelungen weltweit auf, doch Männer nehmen diese aus kulturellen Gründen nur selten in Anspruch. Das Land bildet aufgrund der geringen Bewertung in Bezug auf die Emanzipation von Frauen das Schlusslicht im Index.
- Großbritannien rangiert auf Platz 23 von 29, noch hinter der Slowakei, Griechenland, Portugal, Irland und vielen anderen. Ähnlich wie in Japan bremst der Mangel an staatlichen Stellen, politischer Repräsentation und Geschäftsmöglichkeiten, der in einem niedrigen Empowerment-Score zum Ausdruck kommt, die Fortschritte für Frauen in Großbritannien.
- Spanierinnen zählen in den Industrieländern zu den „emanzipiertesten“ Frauen. Spanische Frauen sind in der Politik und im öffentlichen Sektor gut vertreten, haben bessere Chancen in der Geschäftswelt und sind in geringerem Maße von Arbeits- und Lohnungleichheit betroffen als Frauen in den meisten anderen Industrieländern.
Ein weiteres Ergebnis: Covid hat spürbare negative Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter. Während der Pandemie ist die Gleichberechtigung von Frauen in Bezug auf Bezahlung und Beschäftigung zurückgegangen. Auch die Zahl der Frauen in staatlichen und politischen Ämtern ist gesunken und ihr Zugang zu Beschäftigungsmöglichkeiten hat abgenommen.
Der Index berücksichtigt bei der Bewertung drei bestimmte Bereiche: die makroökonomische fundamentale Situation in jedem Land, die politischen Maßnahmen bezüglich Geschlechtergleichheit sowie ein „Empowerment“-Scoring-System.
Bei den makroökonomischen Fundamentalfaktoren handelt es sich um sechs wesentliche Indikatoren, darunter die Erwerbsbeteiligung von Frauen, die Bildung von Frauen und die Lücken in den Bereichen Teilzeitarbeit, Arbeitslosigkeit und Selbstständigkeit. Zur Bewertung der politischen Maßnahmen betrachten wir sieben Aspekte. Dazu zählen Elternzeitregelungen, die steuerliche Belastungen für Alleinerziehende und verheiratete Elternpaare, Beschäftigungsschutz und Kinderbetreuungskosten für Alleinerziehende und verheiratete Elternpaare.
Im Hinblick auf das „Empowerment“, bei dem es sich um eine eher kulturelle Kennzahl handelt, beleuchten wir vier Indikatoren: Beteiligung und Repräsentation in der Politik, Zugang zu staatlichen Arbeitsplatzangeboten sowie Chancen in der Geschäftswelt und die bestehenden Regelungen zum Schutz der Lohn- und Chancengleichheit am Arbeitsplatz.
Stephanie Kelly fügt hinzu:
„Die makroökonomischen Informationen geben uns Einblick in die aktuelle Lage eines Landes. Die politischen und „Empowerment“-Informationen geben indes Aufschluss über die mögliche künftige Entwicklung eines Landes. Wir möchten das Bewusstsein fördern, dass Geschlechtergleichheit wesentlich für das Wachstum und die Entwicklung eines Landes ist. Darüber hinaus hoffen wir, aufzeigen zu können, wo in einem Land noch Verbesserungspotenzial besteht.“
Eine Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Frauen, die in allen OECD-Ländern niedriger ausfällt als jene der Männer, könnte das schleppende Produktivitätswachstum umkehren. Wesentliche Möglichkeiten zur Förderung der Gleichheit sind: Elternzeitregelungen für Männer, eine Behebung der steuerlichen Belastung von Zweitverdienern und Alleinerziehenden durch Reformen, die Berücksichtigung der Qualität und nicht nur der Quantität der von Frauen geleisteten Arbeit (damit flexible Arbeitsregelungen Frauen nicht in ihrem beruflichen Fortschritt hemmen) und mehr Daten zur Gleichbehandlung.