Es wurde auch deutlich, wie wichtig eine Kultur des „Female Empowerment“ ist, wenngleich wir keine entsprechenden, qualitativ hochwertigen Näherungsgrößen zur Verfügung hatten, die in unsere Modelle hätten einfließen können. Anhand dieser Erkenntnisse haben wir einen Index entwickelt, in dem 29 OECD-Länder hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter in Bezug auf makroökonomische Fundamentalfaktoren, Politik und Empowerment bewertet und eingestuft werden.
Mit diesem Index wollen wir Anlegern ein Instrument an die Hand geben, mit dessen Hilfe sie die relativen Stärken und Schwächen der Länder im Hinblick auf verschiedene Gleichstellungsmetriken nachvollziehen können. Wir streben dabei ein besseres Verständnis für das S in ESG an und wollen Möglichkeiten schaffen, um im Rahmen von Anlageportfolios Schwerpunkte auf Länder mit besseren Gleichstellungs-Scores zu legen. Wir sind der Meinung, dass die Verbesserung der Geschlechtergleichstellung von grundlegender Bedeutung für die Bewältigung langfristiger sozialer und wirtschaftlicher Herausforderungen ist, die mit einer immer älter werdenden Bevölkerung und niedrigen Potenzialwachstumsraten einhergehen. Anhand dieses Index lassen sich Länder ermitteln, die gut aufgestellt sind, um diese Herausforderungen zu meistern, aber auch solche, die noch Nachholbedarf haben. Darüber hinaus können wir Veränderungen im Zusammenhang mit der Gleichstellung der Geschlechter anhand von Schlüsselindikatoren verfolgen, die für das langfristige Potenzialwachstum und damit auch für die Entwicklung der Märkte von Bedeutung sind.
Der ASIRI Gender Equality Index
Abbildung 1: Länder-Scores im Gender Equality Index
Source: Aberdeen Standard Investments, Vdem, World Bank, OECD, Barro & Lee as of 2021
Im Gender Equality Index werden 29 OECD-Länder auf einer Skala von 0 bis 100 eingestuft und die Ergebnisse sind bis zurück in das Jahr 2004 verfügbar (siehe Abbildung 1). Unser Fokus liegt dabei auf den Industrieländern, wofür unseres Erachtens im Wesentlichen die folgenden drei Gründe sprechen. Erstens die Datenverfügbarkeit – selbst in den Industrieländern ist die Datenverfügbarkeit eine Herausforderung, und dies gilt umso mehr für die Schwellenländer. Hätten wir versucht, auch die Schwellenländer in den Index aufzunehmen, stünden uns wesentlich weniger Vergleichsindikatoren zur Verfügung. Zweitens stützten wir uns bei unserem empirischen Modell auf die OECD-Länder und die Ergebnisse dieser Modellierung beeinflussten die Daten, die wir einbezogen haben. Und schließlich stehen die Schwellenländer oftmals vor ganz anderen Herausforderungen in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter, sodass unser Index die Entwicklung erheblich verzerrt widerspiegeln würde. Wir hoffen, dass wir zu gegebener Zeit und je nach Anlegerbedarf einen globaleren Index erstellen können. Unser Makro-ESG-Index, den wir im Rahmen unseres Research-Projekts „Sozialer Kapitalismus“ entwickelt haben, beinhaltet eine Variable zur Gleichstellung der Geschlechter. Vorerst können wir diese verwenden, um Vergleiche zwischen Industrie- und Schwellenländern – auch in einer entwicklungsbereinigten Form – durchzuführen.
Der Index setzt sich aus drei Hauptsäulen zusammen:
- „Makro-Fundamentalfaktoren“ geben Aufschluss über den aktuellen Stand der Gleichstellung der Geschlechter in der Arbeitswelt anhand von sechs Indikatoren;
- „Politik“ stützt sich auf empirische Erkenntnisse, um die sieben wichtigsten politischen Faktoren zu bestimmen, welche die Gleichstellung der Geschlechter beeinflussen; und
- „Empowerment“ umfasst vier Indikatoren, die Einblicke in die Kultur des Empowerment von Frauen innerhalb der Berufswelt und in der Gesellschaft insgesamt geben.
Der wichtigste Ausschluss aus dem Index betrifft die Daten zum geschlechtsspezifischen Lohngefälle. Nach unserem Wissen sind entsprechende qualitativ hochwertige, stimmige Daten über unseren Betrachtungszeitraum (2004 – 2020) und für die in unserem Index enthaltenen Länder nicht verfügbar. Dies ist eine ganz klare Datenlücke und wir hoffen, dass wir den Index in den kommenden Jahren mittels besserer Daten weiter optimieren können.
Ergebnisse des Gender Equality Index
Tabelle 1: Zusammensetzung des Index
Es überrascht nicht, dass die skandinavischen Länder im GEI die Spitzenpositionen einnehmen (siehe Abbildung 2). Schweden verdankt seinen ersten Platz einer Kombination aus einer ausgeprägten Gleichstellungspolitik, z.B. besonderen Anreizen für Männer, Vaterschaftsurlaub zu nehmen, einer Kultur der Gleichberechtigung der Geschlechter in Beruf, Politik und Gesellschaft sowie einer hohen Erwerbsbeteiligung von Frauen. Laut unserer Studie zur „Rolle der Frau“ bildet eine wirkungsvolle Diversitäts- und Inklusionspolitik zusammen mit einer Kultur des Empowerment und der Gleichberechtigung eine Konstellation, welche die Repräsentanz von Frauen im makroökonomischen Bereich wirksam erhöht. An der Spitze unseres Index erleben wir diesen positiven Kreislauf in Aktion.
Allerdings gibt es auch in der Spitzengruppe noch reichlich Raum für Verbesserungen. Obwohl Dänemark und Norwegen auf den Plätzen zwei und drei rangieren, schneiden sie in Bezug auf die Politik mit Platz 16 bzw. 12 vergleichsweise schwach ab. Dänemark patzt vor allem beim Vaterschaftsurlaub (34/100), wo die Politik des Landes nicht mit der seiner skandinavischen Nachbarn mithalten kann, die ausdrücklich großzügige Freistellungen für Männer einräumen. Dänemark gewährt zwar einen 52-wöchigen Elternurlaub, aber Väter haben lediglich Anspruch auf 2 Wochen. Eltern können sich zwar 32 zusätzliche Wochen teilen. Bei dem von uns verwendeten OECD-Indikator für die Elternzeit gehen wir aber davon aus, dass Frauen die restliche Freistellung nehmen – eine Annahme, die oftmals der Realität entspricht. Unterdessen schneidet Norwegen bei seiner weniger großzügigen Steuerpolitik für Alleinverdiener (20/100) und beim rigiden Schutz für befristete Arbeitsverhältnisse (21/100) schlecht ab – beides Faktoren, welche die Möglichkeiten für alleinerziehende Mütter einschränken könnten. Selbst in Schweden, das an der Spitze unseres Index steht, besteht bei einigen Teilindikatoren noch Verbesserungspotenzial, z.B. bei der Besteuerung von Alleinverdienern (15/100) und bei den geschlechtsspezifischen Unterschieden in Bezug auf die Arbeitslosigkeit (38/100).
Dies steht in starkem Kontrast zu den Ländern am unteren Ende der Rangliste. Japan, Italien und die USA bilden die Schlusslichter in unserem Index. Auffällig ist, dass jedes der drei Länder bei einer bestimmten Säule Schwächen aufweist. Japan wird aufgrund einer schwachen Bewertung in Bezug auf Empowerment herabgestuft, Italien verliert im Makrobereich und die USA schwächeln bei der Politik (es folgen Fallstudien zu Japan und den USA).
Diese Ergebnisse verdeutlichen einen Vorteil dieses Index: Wir erhalten nicht nur ein Ranking und eine Bewertung der Länder in Bezug auf die allgemeine Gleichstellung der Geschlechter, sondern können auch feststellen, wo die Schwächen und Stärken der einzelnen Länder liegen. Auch zeigt sich, dass in allen Ländern noch viel Luft nach oben vorhanden ist, wenn es um die Behebung der Ungleichheit der Geschlechter geht.
Was ein Jahrzehnt für einen Unterschied macht
Abbildung 3: Die stärksten Verbesserungen im GEI betreffen die letzten zehn Jahre
Betrachtet man die Veränderungen der Scores in den vergangenen zehn Jahren, so kristallisieren sich einige interessante Trends heraus (siehe Abbildung 3). Erstens sticht der Makrobereich als ein Feld heraus, in dem sich die meisten Länder verbessert haben. Dies spiegelt vermutlich die positiven Auswirkungen des Aufschwungs nach der Krise auf die Arbeitsmärkte wider, aber auch Verbesserungen bei der Repräsentanz von Frauen in diesem Zeitraum, die damit zusammenhängen. Außerdem hat unsere bereits veröffentlichte empirische Modellierung gezeigt, dass Länder mit einer besseren Politik eine höhere Erwerbsquote erreichen. Politische Verbesserungen bedeuten eine Steigerung der Erwerbsbeteiligung, was wiederum die Makrobewertungen insgesamt in die Höhe treibt.
Tatsächlich haben sich auch die Bewertungen der Politik in diesem Zeitraum weitgehend verbessert, was im Einklang mit den Forderungen der Politik nach mehr Elternzeit im zurückliegenden Jahrzehnt steht. Dies gilt für den größten Aufsteiger in unserem Index, Australien, wo bezahlter Mutterschaftsurlaub formell 2011 und Vaterschaftsurlaub 2013 eingeführt wurde. In diesem Zusammenhang ist allerdings anzumerken, dass Australien immer noch weniger großzügige Elternzeitregelungen vorsieht als viele andere Länder im Index. So rangiert das Land auf Platz 24 beim Mutterschaftsurlaub und auf Platz 14 beim Vaterschaftsurlaub.
Beim Empowerment zeigt sich in den letzten zehn Jahren ein viel uneinheitlicheres Bild. In Finnland waren die Resultate im Bereich Empowerment der Haupttreiber für die Verbesserung des Gesamt-Rankings im GEI in diesem Zeitraum. Zu verdanken war dies erheblichen Verbesserungen beim Zugang zu staatlichen Arbeitsplatzangeboten sowie bei den Chancen in der Geschäftswelt für Frauen. In einigen osteuropäischen Ländern sind die Empowerment-Scores seit 2010 jedoch gesunken, vor allem in Slowenien. Dieser Rückgang war allerdings erst im Jahr 2020 zu beobachten, verbunden mit einer drastischen Verschlechterung in Bezug auf staatliche Stellen und Geschäftschancen, was möglicherweise eine vorübergehende Folge der Covid-Pandemie ist. Was Polen und Tschechien betrifft, so spiegeln die Rückgänge die schwächeren Bewertungen im Empowerment-Index wider, der die bürgerlichen Freiheiten und die Entscheidungsbefugnisse von Frauen misst. Während die Werte für Tschechien nur 2019 und 2020 zurückgingen, sind jene für Polen seit 2015 jedes Jahr weiter gesunken.
USA im Fokus: Makrostärke trotz Politikschwäche?
Auffällig ist, dass die USA bei der Makrosäule unseres Index auf Platz 4 liegen, während sie bei Politik und Empowerment nur die Plätze 29 und 24 belegen. Unser empirisches Modell, das wir im einleitenden Beitrag zur Studie zur „Rolle der Frau“ vorgestellt hatten, zeigt aber, dass Schwäche auf politischer Ebene mit einer schwächeren Erwerbsbeteiligung einhergeht. Wie erklärt sich dieser scheinbare Widerspruch?
Erstens berücksichtigt unser Makro-Score zwar die geschlechtsspezifische Diskrepanz bei der Erwerbsbeteiligung sowie das Niveau der Erwerbsbeteiligung von Frauen – dies sind jedoch nur zwei von sechs Makroindikatoren. Schaut man sich die Beiträge aller sechs Indikatoren zum Makro-Score an, ergeben sich weitere interessante Erkenntnisse (siehe Abbildung 4). So ist der Beitrag von Bildung und Selbstständigkeit – zwei weitere Makroindikatoren – in den USA höher als in den top-platzierten Ländern in unserer Makrosäule. Besonders stark sind die USA bei der Bildung, wo sie hinter Irland den zweiten Platz belegen.
Ganz anders sieht es am Arbeitsmarkt aus. Die USA schneiden bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen, der geschlechtsspezifischen Diskrepanz bei der Erwerbsbeteiligung und der geschlechtsspezifischen Diskrepanz bei der Arbeitslosigkeit deutlich schlechter ab als die Spitzenreiter auf Makroebene. Diese Kombination aus dem guten Abschneiden bei der Bildung von Frauen, aber schwächeren Ergebnissen bei der Erwerbsbeteiligung zeigt, dass die USA im Hinblick auf das Makroergebnis noch über erhebliches Verbesserungspotenzial verfügen, sofern sie ihren politischen Rahmen an jenen der stärksten Länder innerhalb unseres Index angleichen können.
Abbildung 4: Beiträge zum Makro-Score
Möglicherweise profitiert die Bewertung der USA von der Art und Weise, wie der Index zusammengestellt wird. Zum Beispiel ist eine Betrachtung der geschlechtsspezifischen Diskrepanz bei der Erwerbsbeteiligung hilfreich, wenn es darum geht, sich ein Bild über die relative Gleichheit innerhalb der Erwerbsbevölkerung zu machen. Dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass eine Verringerung der Beteiligung von Männern die Kluft zwischen den Geschlechtern zwar verkleinern kann, sich aber nicht unbedingt positiv auf die Beteiligung von Frauen auswirkt.
2009, als sich die Diskrepanz bei der Erwerbsbeteiligung in den USA bislang am stärksten verringert hatte, war dies darauf zurückzuführen, dass die Erwerbsbeteiligung bei Männern deutlich stärker zurückging als bei Frauen. Am Ende standen aber beide schlechter da (siehe Abbildung 5). Ganz anders in Schweden: In den Jahren, in denen sich die Diskrepanz bei der Erwerbsbeteiligung dort am stärksten verringerte, stieg die Erwerbsbeteiligung der Frauen geradezu sprunghaft an. Erfreulicherweise ist in den USA in den letzten Jahren ein nachhaltiger Anstieg der Erwerbsbeteiligung von Frauen zu beobachten, verbunden mit einer verringerten Diskrepanz. Die Ergebnisse für 2020 dürften allerdings zeigen, dass Covid und die damit verbundenen Lockdowns die Zahlen vermutlich erheblich verändern werden, zumal Frauen im Dienstleistungssektor sehr stark vertreten sind.
Abbildung 5: Veränderungen bei der Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen in den USA und Schweden
Japan im Fokus: Politisch führend, aber kulturell im Hintertreffen
Bei unserer ersten ausführlichen Betrachtung des Themas Elternzeit im Rahmen unserer Studie zur „Rolle der Frau“ wurde deutlich, dass es sich bei Japan um ein Land handelt, in dem eine progressive Politik nicht unmittelbar zu einer gleichberechtigteren Gesellschaft führt. Wir vermuteten, dass dies auf die Rolle der Kultur zurückgeht, die wir in unserem ursprünglichen empirischen Modell nicht erfassen konnten.
Abbildung 6: Vaterschaftsurlaub in den OECD-Ländern
Japan rangiert bei unserer politischen Säule auf Platz 4, da die Bewertung in Sachen Elternzeit deutlich besser ausfällt als in fast allen anderen im Index vertretenen Ländern (nur knapp vom Erstplatzierten Südkorea geschlagen). Dies ist keine Überraschung, wenn man bedenkt, dass Japan im Vergleich zu den meisten anderen Industrienationen eine großzügige Elternzeit von 52 Wochen gewährt, zwei Drittel davon bei vollem Gehalt (siehe Abbildung 6), was laut unserem ursprünglichen Modell eigentlich zur Erwerbsbeteiligung von Frauen beitragen sollte. Allerdings ist es in Japan immer noch eher die Ausnahme als die Regel, dass Männer den ihnen zustehenden Urlaub nehmen. Der Anteil ist in der jüngeren Vergangenheit zwar gestiegen, bleibt aber immer noch niedrig (siehe Abbildung 7).
Abbildung 7: Inanspruchnahme von Vaterschaftsurlaub in Japan
Dies hängt mit der Kultur des Präsentismus in der japanischen Erwerbsbevölkerung und der Tatsache zusammen, dass japanische Frauen in weitaus höherem Maß als Männer Schuldgefühle empfinden, wenn sie aufgrund ihrer Arbeit Pflichten im Haushalt versäumen – dies wird als „Guilt Gap“ bezeichnet. Tatsächlich verbringen Frauen in Japan im Durchschnitt etwas mehr als 2 Stunden täglich mit Hausarbeit im Vergleich zu 20 Minuten bei Männern, wobei die Betreuung von Angehörigen nicht berücksichtigt ist, aber Frauen auch bei diesem hauswirtschaftlichen Aspekt eine höhere Belastung tragen (siehe Abbildung 8).
Abbildung 8: In Japan verbringen Frauen immer noch mehr Zeit mit der Haushaltsführung als Männer
Wir hätten gerne die Inanspruchnahme von Elternzeit als Indikator in unseren Index aufgenommen, aber entsprechende Daten waren nicht in allen OECD-Ländern verfügbar. Allerdings deuten die Probleme bei der Akzeptanz auf eine Kultur der Ungleichheit hin, die wir mittels der Säule „Empowerment“ in den Index einbeziehen können. Die Einbeziehung von „Female Empowerment“ in den Index wirkt sich erheblich auf Japans Gesamt-Ranking aus: Würde der Index Länder nur nach Makro- und Politikaspekten bewerten, läge Japan auf Platz 9. Durch die Berücksichtigung dieser wichtigen kulturellen Komponente fällt das Land von Platz 9 auf den letzten Platz in unserem Index zurück (siehe Abbildung 9).
Abbildung 9 – Wie sich Empowerment auf Japans Index-Ranking auswirkt
Stephanie Kelly, Deputy Head Of Research Institute, ASI
Nancy Hardie, Macro ESG Analyst, ASI
Abigail Watt, Quantitative Research Economist, ASI