Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell versuchte, die Verschiebungen im sogenannten „Dot Plot“ (Abbildung 1) herunterzuspielen und wies zu Recht auf die im betreffenden Zeitraum bestehende Unsicherheit hin. Für uns bedeutet diese restriktivere Haltung jedoch, dass wir eine zusätzliche Zinserhöhung im Jahr 2023 nun für wahrscheinlicher halten.
Die Veränderung im „Dot Plot“ der US-Notenbank, der die Leitzinserwartungen jedes FOMC-Mitglieds abbildet, war beachtlich. Im März waren elf Mitglieder dafür, die Zinssätze bis Ende 2023 unverändert zu lassen. Nun sind es nur noch fünf, und von den 13 Mitgliedern, die sich für höhere Zinssätze aussprechen, sind acht für drei oder mehr Zinsschritte. Im Mittel sind die Erwartungen damit auf zwei Erhöhungen im Jahr 2023 gestiegen. Die durchschnittliche Prognose für 2022 ist zwar weiterhin, dass es keine Zinsänderung geben wird, jedoch wird die Frage der Zinserhöhungen immer kontroverser diskutiert, und sieben FOMC-Mitglieder rechnen in diesem Zeitraum mit steigenden Zinsen.
Abbildung 1: Dot Plot des FOMC im Juni
Quelle: US-Notenbank, „Summary of Economic Projections,“ 16. Juni 2021.
Was war der Auslöser für diese Neubeurteilung? In ihrer Pressemitteilung schlug die Fed zuversichtlichere Töne in Bezug auf die Coronavirus-Pandemie an. Das Hauptaugenmerk liegt nicht mehr auf den schweren wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, sondern auf dem steigenden Impftempo und der sinkenden Zahl der neuen Covid-19-Fälle. Dies könnte die wachsende Zuversicht der Fed in Bezug auf die Erholung widerspiegeln, schließlich sind die Pandemie und die Abwärtsrisiken auf dem Rückzug. Die FOMC-Mitglieder änderten ihr Basisszenario mit den Wachstumsprognosen für dieses Jahr aber nur leicht ab; diese ähneln nun mehr unserer Einschätzung.
Die größere, wichtigere Frage lautet: Welche Rolle hat der jüngste Anstieg der Inflation gespielt? Powell räumte ein, dass sich die Engpässe in den Lieferketten stärker ausgewirkt haben als erwartet. Er erklärte jedoch weiterhin mit Nachdruck, dass diese nicht von Dauer sein würden.
Die Inflationsprognosen der FOMC-Mitglieder scheinen sich mit dieser Einschätzung zu decken. Die durchschnittliche Erwartung ist für dieses Jahr zwar natürlich stark auf 3% gestiegen (Kernindex der privaten Konsumausgaben, PCE), doch für 2022 und 2023 ist er mit 2,1% kaum verändert. Zu beachten ist allerdings, dass die für diesen Zeitraum höheren erwarteten Zinssätze dazu beigetragen haben, die eine oder andere Prognose zu drücken. Gleichwohl wird deutlich, dass niemand eine extrem hohe Inflation prognostiziert, liegen die Erwartungen für den Kern-PCE im Jahr 2023 doch bei höchstens 2,3%. Interessanterweise sorgen sich die FOMC-Mitglieder aber zunehmend über die Aufwärtsrisiken für dieses Basisszenario, was diese restriktivere Haltung zum Teil erklären könnte (Abbildung 2).
Abbildung 2: Beurteilung der Prognoseunsicherheit durch die FOMC-Mitglieder
Quelle: US-Notenbank, „Summary of Economic Projections,“ 16. Juni 2021.
Powell wollte nicht ausschließen, dass sich die hohe Inflation als recht beharrlich erweisen könnte, und stellte klar, dass die Fed über die nötigen Mittel verfügt, um bei Bedarf angemessen darauf zu reagieren. Er begrüßte zwar, dass sich die Inflationserwartungen der Zielvorgabe der Fed angenähert haben, merkte aber auch an, dass die Entscheider in der US-Notenbank reagieren müssten, sollte die Inflation deutlich über das Ziel steigen. Dies ist ein klarer Dämpfer für das Narrativ, dass die Fed die Inflation auch dann weiter steigen lassen werde, wenn sich dauerhafte Trends abzeichnen sollten.
Was bedeutet dies für unsere Einschätzung zur Geldpolitik? Um den „Dot Plot“ herunterzuspielen, erklärte Powell, dass dieser mit Vorsicht zu betrachten sei. Dies war ein Hinweis darauf, dass seine eigenen Prognosen vermutlich unter dem Mittelwert liegen. Es könnte aber natürlich auch möglich sein, dass der harte Kern des Ausschusses eine eher moderate Haltung vertritt. Wie stark die Zinserwartungen angepasst wurden, lässt aber vermuten, dass viele FOMC-Mitglieder davon ausgehen, dass die Schwelle für Zinserhöhungen entsprechend dem neuen Ansatz der US-Notenbank, ein durchschnittliches Inflationsziel (Average Inflation Target, AIT) anzustreben, früher erreicht werden könnte als erwartet. Diese Schwelle ist schon immer etwas intransparent, und Powell räumte bei der Sitzung ein, dass der Zeitraum, über den der Durchschnitt rückwirkend bestimmt wird, ein wenig willkürlich ist.
Am wahrscheinlichsten dürften nun zwei Zinserhöhungen der US-Notenbank im Jahr 2023 sein, wohingegen wir bislang von nur einem Zinsschritt ausgegangen waren. Laut Powell würde diese Anpassung weiter vorgezogen und aggressiver ausfallen, falls sich die Auffassung der Fed, dass der jüngste Anstieg der Inflation nur von kurzer Dauer ist, als falsch herausstellen sollte. Gefährdet sein könnte dieser Zeitplan dagegen, wenn Covid-19 die Wirtschaft wieder stärker belastet und/oder die Inflation sich deutlicher verlangsamt. Im zweiten Fall wäre der Zeitplan nicht mehr mit dem AIT-Ansatz der US-Notenbank vereinbar; die Geldpolitik würde dann wohl länger unverändert bleiben.
Ansonsten gab Powell bekannt, dass die Fed „erwägt, über ein „Tapering“, also eine Drosselung nachzudenken“ – auch dies eine etwas restriktivere Formulierung in den aktuellen Äußerungen der Fed. Er kam zu dem Schluss, dass in naher Zukunft keine Drosselung angekündigt werde, und wies darauf hin, dass eine solche Ankündigung auch nicht aus heiterem Himmel kommen würde. Er bestätigte, dass die US-Notenbank noch ein gutes Stück davon entfernt sei, die „erheblichen Fortschritte“ zu erkennen, die sie als Voraussetzung für eine Reduzierung ihrer Wertpapierkäufe betrachtet. Genauere Angaben zu etwaigen Zeitpunkten wollte Powell nicht machen, betonte stattdessen aber, dass diese Entscheidung von den Daten abhängig gemacht werde.
Dieses Signal und der implizierte Zeitplan kommen unserer Erwartung sehr nahe, dass eine Erholung am Arbeitsmarkt während der Sommermonate die US-Notenbank vielleicht bei der Konferenz in Jackson Hole im August oder bei der FOMC-Sitzung im September dazu bewegen könnte, etwas in Bezug auf ihre Wertpapierkäufe bekannt zu geben. Dies könnte die Grundlage für den Beginn der Drosselung im Januar nächsten Jahres schaffen. Es ist möglich, dass dies bereits auf Dezember vorgezogen wird, jedoch müsste die Fed eine recht große Eile geboten sehen, um früher damit zu beginnen, denn schließlich hat sie wiederholt zugesagt, Maßnahmen mit langem Vorlauf anzukündigen.