"Das chinesische Neujahrsfest, das in diesem Jahr auf den 1. Februar fällt, feiern viele Familien mit traditionellem Essen und Feuerwerk. Sie nutzen die Zeit überdies, um über die Ereignisse des vergangenen Jahres sowie über das nachzudenken, was 2022 – dem Jahr des Tigers – vor ihnen liegt.
Anleger, die ihr globales Portfolio diversifizieren möchten, sollten China unbedingt in Betracht ziehen, da die politischen Entscheidungsträger des Landes einen anderen Kurs eingeschlagen haben als ihre Kollegen im Westen. Dort wird sich das Wachstum vermutlich abschwächen, aufgrund politischer Anreize und erfolgreicher Impfkampagnen aber weiterhin über dem Trendniveau liegen. Angesichts der hohen Inflationsraten wird die US-Notenbank wohl die Zinsen anheben und ihre aufgeblähte Bilanz verkleinern.
Dagegen hatte sich das Wirtschaftswachstum in China, das auf das Gesamtjahr gesehen um 8,1% gestiegen ist, bereits in der zweiten Jahreshälfte verlangsamt.[1] Eine fiskalische Straffung, die veränderte Regulierung und die anhaltenden Auswirkungen von Covid-19 auf den Konsum hatten daran wesentlichen Anteil. Nun aber dürfte China einen stärker konjunkturfördernden Kurs einschlagen.
Währung
In China wird zum Neujahrsfest traditionell Bargeld in roten Umschlägen verschenkt. Der chinesische Renminbi gehörte im letzten Jahr zu den Spitzenreitern unter den Schwellenländerwährungen und wertete um 2,7% gegenüber dem US-Dollar sowie um 8,1% gegenüber dem handelsgewichteten Währungskorb des China Foreign Exchange Trade System (CFETS) auf.[2] Diese Stärke mag eine Überraschung für Beobachter darstellen, die den Fokus auf die schwache Binnenwirtschaft Chinas legen. Vor dem Hintergrund der makroökonomischen und geldpolitischen Unterschiede zwischen China und dem Westen ist sie aber durchaus nachvollziehbar.
Im Reich der Mitte erholte sich die Industrieproduktion schneller und stärker als die Binnennachfrage. In den Industrieländern dagegen zog der Konsum dank fiskalischer Unterstützung wieder an, während die Lieferengpässe die dortige Produktion bremsten. Dies beflügelte die Exporte aus China, sodass der Leistungsbilanzüberschuss des Landes kräftig stieg und der Renminbi Auftrieb erhielt.
Während westliche Zentralbanken ihre Finanzsysteme mit Liquidität fluteten, drosselte die People's Bank of China (PBoC) die Liquidität am Interbankenmarkt nach ersten Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung im 2. Quartal 2020. Dank dieser Faktoren verharrte Chinas 7-Tage-Reverse-Repo-Satz bei 2,1%[3] und damit auf einem historisch niedrigen Niveau, das jedoch deutlich höher ausfällt als die Null- oder Negativzinsen in den Industrieländern.
Wir gehen davon aus, dass sich die makroökonomischen und geldpolitischen Unterschiede zwischen China und dem Westen im Laufe des Jahres 2022 umkehren werden: Die PBoC wird ihre Geldpolitik lockern, während die Fed einen Straffungszyklus einleitet. Die Senkung des Mindestreservesatzes (RRR) und des Leitzinses für Kredite im vergangenen Jahr war der Beginn des Lockerungsprozesses im Reich der Mitte.
Diese Kehrtwende dürfte allerdings schrittweise erfolgen, sodass sich der Renminbi vorerst weiter stark entwickeln wird. Der beste Zeitpunkt, um sich für eine Aufwertung des CNY gegenüber dem US-Dollar zu positionieren, liegt damit wahrscheinlich bereits hinter uns.
Anleihen
2021 war das Jahr des Ochsen und für den Offshore-Anleihenmarkt eine schwierige Zeit angesichts des angebotsseitigen Schuldenabbaus im Immobiliensektor. Die Kreditspreads des JACI China Index weiteten sich bis Ende letzten Jahres auf 400 Basispunkte, denn der Index weist einen hohen Anteil an Anleihen von Immobilienentwicklern auf. Dies ist der höchste Stand seit der Eurokrise 2011 und übertrifft die Niveaus, die infolge der Angst vor einer RMB-Abwertung im Jahr 2015 und während des Covid-19-Schocks im Jahr 2020 erreicht wurden. Auch ohne Berücksichtigung von Evergrande stieg die Ausfallquote am chinesischen Markt für hochverzinsliche Anleihen aus dem Immobiliensektor sprunghaft auf 11% an.
Trotz der Sorge über einen möglicherweise heiß gelaufenen Immobiliensektor lockerten die Währungshüter im 4. Quartal 2021 die Kreditbedingungen für Hauskäufer und Bauherren. Wir erwarten in diesem Jahr weitere geldpolitische Unterstützung zur Stabilisierung des Immobilienmarktes.
Darüber hinaus preisen die Kreditspreads ein ungünstiges Ereignis ein. Wir glauben jedoch nicht, dass dies auf lange Sicht so bleiben wird, da der Offshore-Anleihenmarkt unseres Erachtens taktische Anlagegelegenheiten bietet. Dabei sind die richtige Titelauswahl und der richtige Zeitpunkt für einen Einstieg von entscheidender Bedeutung.
Unterdessen gehörte der Markt für chinesische Staatsanleihen (CGB) zu den Performance-Spitzenreitern im Jahr 2021 (+5,6% gegenüber -6,6% beim Bloomberg Global Aggregate Treasury Index vor Währungseffekten).[4] Dazu trugen das langsamere Wachstum, die Senkung des Mindestreservesatzes und die Aufnahme in den globalen Anleihenindex bei. Die kaum steigenden Verbraucherpreise im Vergleich zum rasanten Preisauftrieb im Westen machten chinesische Staatsanleihen (A+) mit ihren positiven Realrenditen zu einer Rarität.
Die Anleger dürften die Aussichten für CGBs im Jahr 2022 positiv einschätzen, solange das Wachstum schwach bleibt und die geldpolitische Unterstützung noch nicht greift. Sobald sich das Wachstum erholt und die PBoC ihre Unterstützung zurückfährt, sollten Anleger das Durationsrisiko in Betracht ziehen und in das kürzere Ende der Renditekurve umschichten. Denn mit 2,86% weisen zehnjährige chinesische Staatsanleihen nach wie vor eine im historischen Vergleich niedrige Rendite auf.[5]
Aktien
Bei chinesischen Aktien gab es im vergangenen Jahr trotz zweistelligen Gewinnwachstums kein Kursfeuerwerk, da der Markt und die Bewertungen tendenziell vom Kreditzyklus bestimmt werden. Der von Bloomberg berechnete Kreditimpuls über 12 Monate schlug 2021 rasant von extrem positiv in extrem negativ um.
Zusätzlich verkompliziert wurde die Lage durch unerwartete Kursänderungen seitens der chinesischen Regulierer. Neue Beschränkungen für den Internet- und den Bildungssektor wirkten sich stark auf Offshore-Aktien aus. Onshore-Aktien aus Bereichen wie grüne Technologien, Halbleiter und Zulieferer für Elektrofahrzeuge, die zu den Nutznießern der Regierungspolitik gehören, behaupteten sich gut. Der Offshore-Aktienindex HSCEI büßte 2021 22% ein, während der MSCI China A Onshore Index auf der Stelle trat.[6]
Anleger sollten bedenken, dass die Reformen mit dem Ziel erfolgten, ein langfristiges und qualitatives Wachstum zu fördern.
Was bringt das neue Jahr?
An Neujahr hängen die Chinesen rote Laternen auf, um Energie, Wohlstand und Glück anzuziehen – und das kommende Jahr sieht vielversprechend aus. Unseres Erachtens wird sich die chinesische Regierung wieder auf kurzfristigere Wachstumsziele konzentrieren. Wir erwarten daher Maßnahmen zur Stabilisierung des Wachstums wie höhere Infrastrukturausgaben, Investitionen in das verarbeitende Gewerbe, Steuersenkungen und Anreize zur Förderung der Konsumausgaben. Gleichzeitig dürfte es zu einer Wende im Kreditzyklus kommen.
Wir schätzen die Aussichten für chinesische A-Aktien gestützt auf weiteres Gewinnwachstum und Neubewertungen positiv ein. Wir bevorzugen ein ausgewogenes Engagement zwischen Aktien aus neuen Wirtschaftssektoren mit starkem Wachstumsausblick und Titeln der „Old Economy“ mit Bewertungspuffer.
Unsere Haltung gegenüber chinesischen H-Aktien ist differenzierter. Trotz des rückläufigen Gewinnwachstums und der zurückhaltenden Positionierung der Anleger, die bereits in Offshore-Aktien eingepreist sind, warten wir auf Maßnahmen der Regulierer oder positive Gewinnkorrekturen, bevor wir uns wieder am Markt engagieren. (mehr)
In der chinesischen Kultur gelten Tiger als wagemutig – Eigenschaften, die Anleger vermutlich bewundern. Aufgrund der divergierenden wirtschaftlichen und geldpolitischen Aussichten gewinnen chinesische Vermögenswerte als Quelle unkorrelierter Erträge in globalen Portfolios an Bedeutung. Eine etwas wagemutige Diversifizierung könnte daher im Jahr des Tigers eine wichtige Rolle für globale Anleger spielen."
[1] Chinesisches Statistikamt, Januar 2022
[2] Bloomberg, Januar 2022
[3] Bloomberg, Januar 2022
[4] Bloomberg, Januar 2022
[5] Bloomberg, Januar 2022
[6] Bloomberg, Januar 2022