Unseren ersten Standort in Asien gründeten wir im Jahr 1992. Nach bescheidenen Anfängen in einem kleinen Ladengeschäft in Singapur mit nur einem Mitarbeiter verfügen wir mittlerweile über 105 Anlageexperten, die an neun Märkten in der Region Asien-Pazifik tätig sind.1 Diese Entwicklung erstreckt sich auch auf unseren Anlageprozess sowie das Wissen, das wir über die Unternehmen und Märkte, in die wir investieren, gewonnen haben. Was also haben wir in den letzten drei Jahrzehnten gelernt?
Eine transformierte Region
Die Geschwindigkeit, mit der sich Asien zu einer Wirtschaftsmacht entwickelt hat, versetzt Beobachter immer noch in Erstaunen. Prognosen zufolge dürften bis 2040 40% des globalen Konsums und 52% des globalen BIP auf die Region entfallen. Es wird geschätzt, dass innerhalb von zehn Jahren 60% der weltweiten Mittelschicht in Asien leben werden. Überdies ist die Region Heimat von über der Hälfte (2,3 Milliarden) der gesamten Internetnutzer weltweit.2 Doch das sind bei Weitem nicht alle Errungenschaften.
Die Widerstandskraft Asiens
Die Anlagetätigkeit an den schnell wachsenden Märkten in Asien gestaltete sich in den vergangen 30 Jahren zweifelsohne spannend. Wir haben die asiatische Finanzkrise der Jahre 1997/1998, den „Doctom“-Boom mit anschließendem Einbruch ab Ende der 1990er-Jahre, den SARS-Ausbruch 2003, die Finanzkrise 2008/2009 und die damit verbundene umfangreiche quantitative Lockerung sowie die Covid-19-Pandemie miterlebt.
Die asiatischen Märkte haben standgehalten. Viele von ihnen sind sogar gestärkt aus diesen Krisen hervorgegangen. Die Asienkrise 1997/1998 und die von ihr auferlegte Kapitaldisziplin für Regierungen und Unternehmen legten den Grundstein für das anschließende Wachstum. Die globale Finanzkrise 2008 wirkte sich hingegen nur bedingt auf Asien aus.
Diese Marktturbulenzen unterstreichen, wie wichtig ein Anlageansatz mit Fokus auf Qualität ist. Wir weisen bereits seit Langem eine Präferenz für Unternehmen mit gesunden Bilanzen, niedrigen Verschuldungsquoten und gutem Gewinnpotenzial auf. Erfahrene und kompetente Managementteams sind unabdingbar. Krisen heben diese Qualitäten nur noch mehr hervor.
Sie verdeutlichen überdies die Vorteile einer lokalen Präsenz, die Erkenntnisse aus erster Hand bietet. Wir haben gelernt, die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Merkmale der einzelnen asiatischen Märkte wertzuschätzen. Durch den Dialog mit Unternehmen haben wir enge und langjährige Beziehungen über die gesamte Region hinweg geknüpft. Dieses Vertrauen hat sich bei Verkaufswellen am Markt als unersetzlich erwiesen. So konnten wir zuversichtlich an bestimmten Titeln festhalten, selbst wenn die meisten anderen Anleger Verkäufe tätigten. Dieses langfristige Durchhaltevermögen kommt uns auch weiterhin zugute.
Ein Innovationszentrum
Innovative und disruptive Technologien haben enorme Chancen zur Folge. Der Sektor entwickelt sich dynamisch. Asiatische Unternehmen tragen mittlerweile wesentlich zur Umgestaltung der globalen Landschaft bei. In den zehn Jahren von 2010 bis 2020 entfielen 52% des globalen Umsatzwachstums im Technologiebereich und 51% der weltweiten Forschungs- und Entwicklungsausgaben auf Asien. Außerdem wurden rund 87% der globalen Technologiepatente von asiatischen Firmen angemeldet.3
Asien wird nicht länger als die Fabrik der Welt, sondern nunmehr als das primäre Innovationszentrum erachtet. Die Region nimmt in Bereichen wie Online-Handel, 5G, Gaming und soziale Medien mittlerweile eine globale Führungsrolle ein. So weist die Social-Media-App TikTok beispielsweise doppelt so viele Nutzer auf wie Twitter. Technologische Innovationen haben auch Kostensenkungen in einer Zeit zur Folge, in der sich die Welt für eine emissionsärmere Zukunft rüstet. Auch im Bereich Automatisierungstechnologie, die den nächsten Wachstumsschub in der Industrie auslösen dürfte, ist Asien führend. Dies unterstreicht die Attraktivität der Region für aktive Anleger.
Asien wird nicht länger als die Fabrik der Welt, sondern nunmehr als das primäre Innovationszentrum erachtet
Covid-19 sorgt für Veränderungen
Die Covid-19-Pandemie hat ein Umdenken seitens Regierungen, Bürgern und Anlegern rund um den Globus nach sich gezogen. Die politischen Entscheidungsträger Asiens haben den Volkswirtschaften, Unternehmen und Arbeitnehmern in der Region mit beispiellosen Unterstützungsmaßnahmen unter die Arme gegriffen. Im Gegenzug erwarten die Regierungen heute, dass Unternehmen mehr tun, als nur Gewinne zu erwirtschaften – sie sollen auch eine soziale Wirkung erzielen. Anleger müssen verstehen, inwiefern das Geschäftsmodell einer Firma den Anforderungen eines breiteren Spektrums von Stakeholdern gerecht wird.
Auch in den Lieferketten sind Veränderungen zu beobachten. Das „Just in time“-Modell, das vor allem in Bereichen wie Automobilherstellung, Elektronik und Mode zum Einsatz kommt, wurde im Zuge von Lockdowns und Quarantänen auf eine harte Probe gestellt. Viele Lieferketten erwiesen sich als fragil. Vorsichtiger agierende Unternehmen schwenken daher mittlerweile auf ein „Just in case“-Modell um. Gemeint ist damit, dass ein Unternehmen mehr Rohstoffe bestellt als benötigt werden und/oder mehr Produkte herstellt als es seiner Meinung nach verkaufen kann.
Vor dem Hintergrund der sich weiter entwickelnden Rivalität zwischen den USA und China haben sich auch die Handelsbeziehungen verändert. Der anhaltende Fokus auf die Beziehung Asiens mit dem Westen birgt die Gefahr, dass die Bedeutung regionaler Handelszentren verkannt wird. Der zehn Staaten umfassende Verband südostasiatischer Nationen (Association of Southeast Asian Nations, ASEAN) kommt nun einem einzelnen Markt mit 625 Millionen Verbrauchern gleich.4 Thailand fungiert mittlerweile als Handelszentrum für eine Gruppe von Ländern, darunter Kambodscha, Laos und Vietnam. Anleger sollten sich dieser Dynamik bewusst sein.
Nachhaltigkeit und ESG auf dem Vormarsch
In Asien ist ein wachsendes Bewusstsein für ökologische, soziale und Governance-Belange (ESG-Belange) zu beobachten, was sich merklich auf die Entscheidungsfindung auswirkt. Jahrelang lag der Fokus in Asien ausschließlich auf der Governance-Komponente. Da Unternehmen und Anleger aber mittlerweile den Wert ökologischer und sozialer Aspekte erkannt haben, hat auch der Einsatz von ESG-Analysen zunehmend Verbreitung gefunden. Die politischen Entscheidungsträger in Asien verfolgen eine nachhaltige Agenda. China und Indien haben sich auf die Fahnen geschrieben, bis 2060 bzw. 2070 Klimaneutralität zu erreichen.
ESG-Erwägungen stellten von Anfang an einen fundamentalen Bestandteil unserer Anlagetätigkeit dar. Mithilfe von ESG-Analysen erfahren wir etwas darüber, wie ein Unternehmen arbeitet und Risiken bewertet. So gelangen wir zu einem ganzheitlicheren Verständnis eines Unternehmens und seines Managements. Dadurch können wir einschätzen, ob das Risiko einer Anlage angemessen im Kurs berücksichtigt ist.
Was bedeutet das für Anleger?
Unseres Erachtens bieten sich in Asien zahlreiche Anlagechancen. Die höheren Zinsen und die erwartete Konjunkturverlangsamung stellen zwar zweifelsohne unmittelbare Herausforderungen dar. Diese sind aber zum Großteil bereits eingepreist. Der MSCI Asia ex Japan Index weist derzeit ein Forward-KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis) von 11,7 auf, das sich damit um mehr als eine Standardabweichung unter dem Fünf-Jahres-Durchschnitt von 14,5 bewegt.5 Da sich die Bewertungen Mehrjahrestiefs nähern, könnten sich hier attraktivere Gelegenheiten ergeben als in vielen Industrieländern.
Darüber hinaus werden asiatische Unternehmen angesichts ihres technologischen Vorsprungs und des günstigen politischen und wirtschaftlichen Umfelds, in dem sie tätig sind, eine wesentliche Rolle im Hinblick auf die globale Agenda für den Wandel spielen. Das eröffnet Chancen für Anlagen in die innovativen Unternehmen von morgen. Kurz gesagt gestaltet sich der Ausblick für Asien unseres Erachtens besser denn je. Auf die nächsten 30 Jahre!
Hugh Young, Head of Asia, abrdn
1 Stand: 31. Dezember 2021
2 abrdn, 2021
3 Quelle: McKinsey Global Institute, Dezember 2020
4 yahoo.finance.com
5 Quelle: MSCI, Bloomberg, Stand: 15. Mai 2022