Die Energie- und Lebensmittelpreise beschäftigen die Menschen sehr und der Krieg in der Ukraine verschlimmert die zugrunde liegenden strukturellen Probleme. Noch dazu sind die Lebenshaltungskosten extrem gestiegen, was in vielen Ländern schmerzhaft zu spüren ist.
Die Inflation belastet nicht nur den Geldbeutel der Menschen, sondern treibt auch die Anleihenmärkte sowie einige Sektoren der Aktienmärkte an.
Die Zentralbanken stehen unter Handlungsdruck, auch wenn die erforderliche Lösung häufig das Risiko birgt, die labile Konjunkturerholung nach Corona abzuwürgen.
Doch wie sind wir überhaupt an diesen Punkt gekommen? Dies ist eine komplexe Frage, und wir haben versucht, sie zu entwirren und in mehrere einfachere Themen zu gliedern:
Hartnäckig hohe Energienachfrage
Die Nachfrage nach Öl steigt um 1,0% bis 1,5% pro Jahr. Dies liegt am Bevölkerungswachstum und dem Anstieg des Lebensstandards. Die einzigen Ausnahmen waren Jahre, in denen die Wirtschaft stark eingebrochen ist.
Bislang haben die Investitionen in erneuerbare Energien das Nachfragewachstum nur in einigen abgegrenzten Bereichen verlangsamt. Selbst in Norwegen, wo im letzten Jahr 72% der verkauften Autos Elektroautos waren, ist die Ölnachfrage in den letzten zehn Jahren praktisch unverändert. Sie liegt damit sehr deutlich über den Prognosen der International Energy Agency, die unter diesen Bedingungen von einem Rückgang um 30% ausgegangen war.1Allerdings ist die Nachfrage nach Ethan (für Kunststoffe) um 31% und nach Diesel (für den Lieferverkehr) um 15% gestiegen, was einen etwaigen Rückgang der Nachfrage nach Autokraftstoffen ausglich.
Schlechte Politik
Die Politik von Regierungen und Investoren, die auf einer drastisch geringeren Rohölnachfrage basierte, hat dazu geführt, dass das Ölangebot lange vor einem Nachfragerückgang begrenzt wurde. Weltweit müssen jedes Jahr mehr als 500 Mrd. USD investiert werden, um die Ölförderung auf dem Niveau der letzten Jahre zu halten. In den vergangenen acht Jahren waren die tatsächlichen Investitionen meist nur halb so hoch, was einen Rückgang der Angebotskapazitäten zur Folge hatte. Das wäre in Ordnung gewesen, wenn die Maßnahmen zur Begrenzung der Ölnachfrage so effektiv gewesen wären wie jene zur Begrenzung des Angebots – doch das waren sie nicht.
Angesichts der strukturellen Angebotsengpässe dürfte es außerordentlich schwierig sein, russisches Öl wie geplant in nennenswerter Höhe vom Markt fernzuhalten, denn das kostbare Rohöl findet Abnehmer in China und Indien.
Chinas Null-Covid-Politik
Diesem sehr positiven Ausblick für das Öl steht eine schwache Nachfrage aus China gegenüber. China hält beharrlich an seiner Null-Covid-Politik fest, was die wirtschaftliche Aktivität im Land und die Nachfrage nach Waren wie Industriemetallen und Öl gedämpft hat. Zuvor hatte sich allmählich ein recht starker Anstieg von Chinas Ausgaben für Investitionen in die Infrastruktur für erneuerbare Energien abgezeichnet, vor allem im Bereich der Windenergie. Doch aufgrund der Pandemie liegen viele dieser Projekte vorläufig auf Eis, sodass die Nachfrage nach traditionellen Energieträgern bei einem Anstieg der Aktivität wachsen dürfte.
Die derzeit geringere Nachfrage aus China hilft in gewisser Hinsicht, den anderswo zu beobachtenden Inflationsdruck zu mindern, der durch die Lieferkettenstörungen wiederum erhöht wird.
Der Abfertigungsstau in den Häfen in China (und anderen Ländern) ist ein ernstes Problem und wir gehen davon aus, dass dies für Preisdruck sowie für Störungen in allen Teilen der Lieferkette sorgen wird.
Die chinesische Regierung ist wegen des Parteikongresses, der später in diesem Jahr stattfinden wird, in hohem Maße motiviert, etwas an der Lage zu verbessern. Außerdem kann China seine Geschicke sehr viel besser lenken als die meisten anderen Länder der Welt, daher wäre es in den nächsten Monaten möglicherweise nicht klug, darauf zu wetten, dass China seine Lage nicht verbessern wird. Bessert sich die Konjunktur in China, werden höhere Preise für Energie und Industriemetalle umso wahrscheinlicher.
Ganz zu schweigen vom Krieg…
Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine sowie die daraus resultierenden Sanktionen führen dazu, dass bestenfalls 500.000 bis 1 Mio. Barrel Rohöl vom Markt ferngehalten werden. Dies ist nur ein kleiner Teil der mehr als 7 Mio. Barrel, die exportiert werden. Wenn die globale Ölknappheit nicht so massiv wäre, hätten wir sie möglicherweise nicht einmal bemerkt.
Aber die Lagerbestände sind auf das durchschnittliche Niveau der Jahre 2010-2014 gesunken und die Preise auf das hohe Niveau dieser Zeit gestiegen.
Die Kapazitätsreserven belaufen sich auf 2 Mio. Barrel pro Tag, das sind rund 2%, was sehr wenig Spielraum für Fehler lässt.
Seit Februar 2020 wurde immer wieder irgendwo in der Welt die wirtschaftliche Aktivität heruntergefahren oder ein regionaler Lockdown verhängt. Dies gibt Anlass zur Sorge, dass die Nachfrage in Zukunft überraschend ansteigen könnte.
Arbeitskräfte, Kosten, Politik
Ein weiteres Problem ist der Arbeitskräftemangel – es gibt schlicht nicht genug erfahrene, qualifizierte Arbeitskräfte, um alle Bohranlagen zu betreiben, die nötig sind, um die Nachfrage zu bedienen. Gleichzeitig sind auch die Materialkosten inflationsbedingt gestiegen, mitunter um rund 15% bis 20%. Und auch die Kosten für Dienstleistungen haben sich wegen der Inflation drastisch erhöht.
Die Energiepolitik der USA und ihre Haltung gegenüber fossilen Brennstoffen verwirren die Ölgesellschaften. Die Regierung Biden hat widersprüchliche Botschaften an die Öl- und Gasgesellschaften gesendet, manchmal sogar am selben Tag. Bedingt durch diese widersprüchlichen Signale der Regierung haben die Ölproduzenten ihre Expansionspläne eingefroren – trotz der drastisch höheren Ölpreise. Aufgrund dieser Unsicherheit halten sich die Unternehmen natürlich mit notwendigen langfristigen Investitionen zurück. Einfach ausgedrückt, gingen die Maßnahmen zur Senkung des Angebots nicht mit wirksamen Maßnahmen zur Verringerung der Nachfrage durch Wachstum im Bereich der erneuerbaren Energien einher. Die Nachfrage übersteigt das Angebot. Die Folge: höhere Preise. Und es wird schlimmer werden.
Aufgeblähte Lebensmittelteuerung
Das schlechte Wetter schlägt sich auf die Preise von Agrarerzeugnissen nieder. Beispielsweise hatten Dürren in verschiedenen Teilen der USA Auswirkungen auf die Weizenpreise, während La Niña das südamerikanische Angebot traf, was sich insbesondere in den Preisen für Sojabohnen und Kaffee bemerkbar machte.
Welche Bedeutung das Getreideangebot aus der Ukraine und Russland hat, wissen wir alle nur zu gut. Doch die Suche nach alternativen Angebotsquellen wirft Protektionismusfragen im Zusammenhang mit der nationalen Ernährungssicherheit auf. Außerdem entstehen dadurch logistische Probleme sowie Kosten durch längere Lieferketten.
Auch das Angebot an Düngemitteln ist durch den Krieg beeinträchtigt. Der aktuelle Mangel könnte zu niedrigeren Ernteerträgen in diesem Jahr führen. Die Schätzungen gehen hierbei recht weit auseinander. Doch schon vor dem Krieg hatten höhere Energiekosten die Preise für Düngemittel in die Höhe getrieben.
Was bedeutet dies für Anlagen?
- Politik. Während die Menschen in den reicheren Ländern ihre Ausgabengewohnheiten möglicherweise flexibler anpassen können, um den höheren Preisen Rechnung zu tragen, wird es für die Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern schwierig sein, alternative Quellen für Lebensmittel und Energie zu finden. Das ist wichtig, denn wenn es einer Regierung nicht gelingt, dafür zu sorgen, dass diese lebensnotwendigen Dinge zu bezahlbaren Preisen verfügbar sind, könnte die Unzufriedenheit auf die Straße getragen werden – die Proteste während des „Arabischen Frühlings“ vor mehr als zehn Jahren waren zum Teil durch die Lebensmittelpreise und die Lebensmittelknappheit ausgelöst worden. Natürlich führt politische Instabilität gewöhnlich zu Volatilität an den Märkten.
- Physische Märkte. Wir sind Zeugen einer Explosion der Finanzierungskosten für die physischen Rohstoffmärkte geworden. Sowohl Preisschwankungen als auch steigende Zinssätze sind bedeutende Faktoren. Erhöhen sich die Finanzierungskosten, sinkt gewöhnlich das physische Angebot; Rohstoffhändler sind dann weniger gut in der Lage, die Nachfrage nach physischen Rohstoffen zu befriedigen. Die Lagerbestände der meisten Industriemetalle – wie Aluminium, Nickel und Zink – sind sehr niedrig. Tatsächlich werden aufgrund der physischen Nachfrage Lagerbestände von den Börsen abgezogen. Die Produktion vieler Metalle ist energieintensiv (ein Grund, warum das Angebot nicht Schritt hält, auch wenn sie häufig überaus wichtige Komponenten für die Energiewende sind).
In der neuesten Folge der Podcast-Reihe „Investment IQ" können Sie sich hier anhören, wie Sree und Bob mit Richard Dunbar über diese Fragen diskutieren.