Zoe Whitton, Partner, Pollination Group und Anders Nordheim, Head of Asia Sustainable Finance, WWF wurden kürzlich von abrdn eingeladen, um Fragen zum Verlust der biologischen Vielfalt, zu unserem Standpunkt diesbezüglich in Asien und anderen verwandten Themen zu beantworten*.
Die Diskussion entwickelte sich wie folgt:
Wie gestaltet sich der globale Status quo und was sind die Hauptgründe für den Verlust der biologischen Vielfalt?
Anders Nordheim: Wenn wir uns mit der Biodiversität befassen, beschäftigen wir uns im weitesten Sinne mit Ökosystemen – sei es auf dem Land oder im Wasser. Es geht um die Natur, beziehungsweise manche sprechen auch von „Naturkapital“.
Insgesamt betrachtet wird die Natur in einem alarmierenden Ausmaß geschädigt. In manchen Regionen zeichnet sich zwar ein besseres Bild ab als in anderen. Aber in einigen bedeutenden Hotspots wie dem Amazonasgebiet ist die Lage sehr ernst, und das schon seit einigen Jahren. Dieses Problem muss schnell angegangen werden.
Einige Gründe für diese Entwicklung sind: der Wert der natürlichen Ressourcen, die Umnutzung natürlicher Ökosysteme zu anderen Zwecken, die Umweltverschmutzung, insbesondere von marinen Ökosystemen, und der Klimawandel.
Welche Rolle spielen Unternehmen und Anleger beim Thema Biodiversität?
Zoe Whitton: Wir stehen noch am Anfang, aber das Interesse ist groß und die Dynamik nimmt zu. Einige Anleger befassen sich bereits seit Jahren mit der biologischen Vielfalt und dem Risiko für Unternehmen.
Es gibt einige hervorragende globale Kollaborationen mit dem Ziel, Daten zur Biodiversität für große Portfolios zu sammeln, was auch verdeutlicht, dass sich die Anlegeraktivität in dieser Hinsicht rasch entwickelt. Allerdings schreitet die Entwicklung sehr uneinheitlich voran – in manchen Anlageklassen werden schneller Fortschritte erzielt als in anderen.
Der Biodiversitätsgedanke verbreitet sich sehr schnell unter Anlegern und Unternehmen, da vielfach ähnliche Ansätze verfolgt werden wie jene, die für den Klimawandel entwickelt wurden.
Jedoch gibt es kleine konzeptionelle Unterschiede. Probleme mit Bezug zur biologischen Vielfalt kommen oft auf einer viel lokaleren Ebene zum Tragen, und diese Belange können ganz unterschiedlich gelagert sein. Manchmal ist es einfacher, Fragen rund um die Biodiversität auf Unternehmens- oder Assetebene zu verstehen und wir können die Möglichkeiten auch direkter nachvollziehen.
Worin bestehen die größten Herausforderungen für die Region APAC?
Anders Nordheim: Wir erkennen ganz unterschiedliche Risiken für den asiatisch-pazifischen Raum. Mancherorts handelt es sich um die Abholzung der Wälder, anderenorts um eine rasante Urbanisierung. Auch erkennen wir einen erheblichen Einfluss einzelner Branchen wie etwa dem Infrastrukturbau.
Die Faktoren für eine Veränderung der Ökosysteme unterscheiden sich in der Region APAC nicht unbedingt von jenen im Rest der Welt, doch da die Natur dort anders beschaffen ist, muss man genau darüber nachdenken, worin die spezifischen Elemente für diese Region bestehen.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass in der Region APAC im Vergleich zu Europa oder den USA ein größerer Anteil der Industrie einen direkten Bezug zur Natur aufweist, da in vielen Volkswirtschaften der Region der Anteil der Primärindustrien (im Gegensatz zum Dienstleistungssektor) größer ist.
Was ist die Weltbiodiversitätskonferenz und was soll dabei erreicht werden?
Zoe Whitton: Die UN-Biodiversitätskonferenz (COP15) zielt darauf ab, globale politische Maßnahmen zur Begrenzung des Verlusts der biologischen Vielfalt für das nächste Jahrzehnt festzulegen. Sie hat für die Biodiversität dieselbe Bedeutung wie das Übereinkommen von Paris aus dem Jahr 2015 für den Klimawandel.
Die Gespräche begannen online im vergangenen Jahr und werden nach einigen Unterbrechungen infolge der Corona-Pandemie im Dezember in Montreal, Kanada abgeschlossen werden. Aufgabe ist es, sich auf einen langfristigen Aktionsplan zu einigen – den Rahmen für die biologische Vielfalt nach 2020.
Dabei gibt es vier Hauptziele: die Verbesserung des Zustands der natürlichen Ökosysteme und die Beendigung des Artensterbens, die Berücksichtigung des Naturkapitals bei politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen, die gerechte Verteilung der Rechte an Naturkapital und die Sicherung angemessener Ressourcen zur Unterstützung dieser Ziele.
Welchen Bezug hat das zur Geschäftswelt?
Anders Nordheim: Es besteht die Hoffnung, dass sich das Pariser Abkommen zum Klimaschutz auf die Biodiversität übertragen lässt.
Es besteht die Hoffnung, dass sich das Pariser Abkommen auf die Biodiversität übertragen lässt.
Das Pariser Abkommen und die damit verbundene Dynamik für die Geschäftswelt und insbesondere den Finanzsektor stellte eine der ersten Gelegenheiten dar, bei der ein UN-Abkommen große Beachtung durch den privaten Sektor erhielt.
Wir hatten gehofft, dass 2020 der „Pariser Moment“ für die Natur werden würde, doch dann sorgte die Covid-Pandemie für Verzögerungen. Wir sind allerdings zuversichtlich, dass bald Fortschritte erzielt werden. Vor diesem Hintergrund könnte man anfangen, über Ziele wie „naturpositiv“ bis 2030 zu sprechen.
Des Weiteren könnte man die Natur bis zu einem gewissen Grad auf ähnliche Weise betrachten wie das Klima – im Hinblick auf physische und Übergangsrisiken. Und die Unternehmen müssen künftig ihre Biodiversitätsrisiken auf ähnliche Weise steuern.
Warum ist es für Anleger wichtig, bei ihren Prozessen Naturkapital zu berücksichtigen? Wie lässt sich die finanzielle Bedeutung des Verlusts von Biodiversität für Unternehmen und Anleger messen?
Zoe Whitton: Aus Anlegersicht ist es hilfreich, Naturkapital als eine Art Infrastruktur zu betrachten. Diese Infrastruktur umfasst ein breites Spektrum von Services und Systemen, die für Ihre Geschäftsaktivitäten erforderlich sind und die Ihre Kunden für ihr Wohlergehen benötigen.
Ohne diese Infrastruktur oder diese Ressourcen hätten Sie möglicherweise kein Geschäft oder Sie müssten die Art und Weise, wie Sie Ihr Geschäft führen, ändern. Unternehmen müssen ihren Zugang zu Rohstoffen gut verwalten, sodass sie ihre Aktivität aufrechterhalten können.
Viele Sektoren sind auf verschiedene Weise von Naturkapital abhängig: Wasser, saubere Luft, Bestäubung, fruchtbarer Boden, geistiges Eigentum an genetischen Informationen usw. Andere Unternehmen hinterlassen einen großen ökologischen Fußabdruck im Hinblick auf Umweltverschmutzung oder den Klimawandel.
Viele Anleger versuchen, das Naturkapital auf Ebene einzelner Investitionen zu bewerten. Ein wichtiger Teil dieser Bewertungsarbeit entfällt allerdings auch auf die Erstellung präziser Fallstudien.
Welche Rolle spielen die Anleger? Wie können sie Biodiversität bei ihren Prozessen berücksichtigen?
Anders Nordheim: Dies kann zum einen über Due-Diligence-Prüfungen geschehen – Sie können nach Zertifizierungen beispielsweise im Hinblick auf Abholzung oder nachhaltige Meeresfrüchte Ausschau halten.
Darüber hinaus können Sie Bewertungen und die finanzielle Bedeutung überprüfen. Dies ist manchmal leichter, manchmal schwerer. Zum Beispiel ist es eher einfach, Wasser einen finanziellen Wert zuzuordnen. Aber wie kann man beispielsweise die finanzielle Bedeutung der Artenvielfalt bemessen? Man muss unter Umständen nach anderen Möglichkeiten suchen, um solche Überlegungen in den finanziellen Entscheidungsfindungsprozess integrieren zu können.
Der dritte Bereich ist die Ausrichtung – wie können Sie Ihr Portfolio an Zielen für die biologische Vielfalt ausrichten? Einerseits muss man seine Ziele formulieren, andererseits muss man auch festlegen, wie diese erreicht werden sollen.
Lassen Sie uns mit einem positiven Gedanken abschließen.
Anders Nordheim: Es ist eine positive Entwicklung, dass wir diese Diskussion führen. Als ich vor zehn Jahren mit diesen Konferenzen begann, war Biodiversität noch ein Nischenthema. Nun hoffen wir, dass zum Jahresende eine glaubwürdige politisches Botschaft in Form eines Biodiversitätsabkommens gesendet wird. Es ist sehr aufregend zu sehen, dass viele Anleger mit Investitionen in die Natur und mit naturpositiven Investitionen experimentieren.
Zoe Whitton: Wir sind Zeuge einiger außergewöhnlicher Innovationen. Dies betrifft zwar nur einen kleinen Teil des verfügbaren Kapitals, doch die Mittel fließen zweifelsfrei in die privaten Märkte und andere Bereiche. Neue Anlageklassen gehen in die Diskussion ein, sodass diese Faktoren Bestandteil des Governance-Rahmens werden.
* Zoe Whitton [ZW] und Anders Nordheim [AN] nahmen an einer Gesprächsrunde im Rahmen des ersten Nachhaltigkeitsgipfels von abrdn am 24. Mai in Singapur teil. Die Antworten wurden der Kürze und Klarheit halber editiert.