Immobilien: Jetzt dekarbonisieren oder das Nachsehen haben

abrdn | 07.09.2022 10:29 Uhr
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Die Immobilienbranche erlebt gerade eine der bedeutendsten Phasen des Wandels in ihrer Geschichte. Die als Reaktion auf den Klimawandel ausgelösten Dekarbonisierungsmaßnahmen läuten einen fundamentalen Wandel ein. Wir sprechen hier von drastischen Änderungen, die sich schneller bemerkbar machen werden, als manch ein Marktteilnehmer derzeit noch vermuten mag. Der Ukraine-Konflikt und die durch ihn bedingten höheren Kosten für fossile Brennstoffe haben den Fokus auf die Dekarbonisierung verstärkt. Wer jetzt nicht schnell reagiert und entsprechende Schritte zur Vorbereitung auf die Folgen des Übergangs zu Net Zero ergreift, wird es später bereuen. Denn nur durch rasches und gezieltes Handeln können Investoren eventuelle nachteilige Auswirkungen auf Bewertungen, Erträge und Anlageaktivitäten sowie die künftige „Investierbarkeit“ ihrer Vermögenswerte mindern.

Der Druck nimmt zu

Assetmanager stehen unter zunehmendem Druck, die Emissionen der von ihnen verwalteten Vermögenswerte zu reduzieren. Der weltweite extreme Wandel der Umweltbedingungen in Kombination mit Druck seitens der Regierungen, Anleger, Aufsichtsbehörden, Nutzer und Mitarbeitenden erzwingt eine Veränderung. Da die gebaute Umwelt für rund 40% des globalen Kohlenstoffausstoßes verantwortlich ist, steht der kommerzielle Immobiliensektor im Fokus. Gerade Immobilien spielen bei den Bemühungen, die globale Erwärmung auf den Grenzwert von 1,5° C zu beschränken, eine wichtige Rolle.

Die Notwendigkeit der Klimaneutralität von Gebäuden ist unbestritten. Wie sich das praktisch bewerkstelligen lassen soll, ist jedoch noch nicht klar. Weltweit bleiben die politischen Vorgaben bisher noch weit hinter dem zurück, was erforderlich wäre. Als Folge wird das Vakuum durch zahllose freiwillige Standards gefüllt, festgelegt durch beispielsweise die Better Building Partnership, das World Resources Institute und den World Green Building Council. Diese sind zwar alle wohl gemeint, aber oft widersprüchlich. Und da der Begriff „klimaneutral“ bisher nicht allgemeingültig definiert ist, können sie erhebliche Verwirrung verursachen.

Ein klarer Trend geht dahin, dass Objekte mit einer höheren Nachhaltigkeitsspezifizierung eine Prämie erzielen, während Immobilien, die dies nicht vorweisen, dem Risiko eines „Brown Discount“ ausgesetzt sind.

Nachhaltigere Objekte erzielen Prämien

Ein klarer Trend geht dahin, dass Objekte mit einer höheren Nachhaltigkeitsspezifizierung eine Prämie erzielen, während Immobilien, die dies nicht vorweisen, dem Risiko eines „Brown Discount“ ausgesetzt sind. Die zunehmend strengeren Standards in Bezug auf die Nachhaltigkeit von Gebäuden trägt sicherlich dazu bei, dass immer mehr Objekte als nicht mehr zweckdienlich eingestuft werden. Die Frage, ob nachhaltigere Objekte tatsächlich Mietaufschläge, weniger Leerstandsperioden und höhere Bewertungen erzielen, dürfte auch weiterhin schwierig zu beantworten sein, da es nur begrenzte Daten und Belege gibt, auf denen solche Annahmen gründen können.

Regulatorischer Wirrwarr nicht hilfreich

Anhand des Energieausweises, der europaweit zum Einsatz kommt, lassen sich einige der Probleme des derzeitigen regulatorischen Regimes illustrieren: Der Energieausweis kann hilfreich sein, wenn man mehr über den theoretischen Energieverbrauch eines Objekts erfahren will – er gibt jedoch keine Auskunft über die tatsächlich verbrauchte Energie. Die wichtigen EU-Verordnungen für nachhaltige Finanzierung verlassen sich in hohem Maße auf die Energieausweise. Aber die unterschiedliche Umsetzung der Konzepte in den einzelnen Mitgliedstaaten macht einen grenzüberschreitenden Vergleich nahezu unmöglich. Gegenwärtig ist dasselbe Gebäude je nach Land, in dem es sich befindet, als effizient oder ineffizient (gemäß der Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor) oder als nachhaltig oder nicht nachhaltig (gemäß der Taxonomie der EU) einzustufen.

Einschätzung der künftigen Auswirkungen der Dekarbonisierung auf die Vermögenswerte.

Mit welchen Kosten muss man bei der Dekarbonisierung von Immobilien rechnen? Das weiß keiner so genau. Aufgrund der Heterogenität der Anlageklasse und der Unsicherheit in Bezug auf den empfehlenswerten Pfad zur Klimaneutralität lässt sich das nur schwer beziffern. Die Kosten werden durch zahlreiche Faktoren beeinflusst, wie beispielsweise das Alter des Objekts, der Anlagen und Geräte, die Komplexität von Grundriss und Aufteilung, die geografische Lage des Objekts oder die Baukosten im betreffenden Land. 

Darüber hinaus wird die Dekarbonisierung des Stromnetzes in einem bestimmten Land mit einem hohen Anteil an grüner Energie (z. B. Kernenergie) die Gesamtkosten der Dekarbonisierung senken. Auch das Maß, in dem ein bestimmtes Land von den Folgen der globalen Erwärmung betroffen ist, wird sich auf die Start- und Endpunkte der Dekarbonisierung auswirken. Länder, die deutlicher unter den Auswirkungen der globalen Erwärmung leiden, sind verstärkt darauf angewiesen, die Dekarbonisierung so schnell wie möglich voranzutreiben.

Wie können die Anleger die Kosten für die Dekarbonisierung bestimmen? Als Einstiegsbenchmark kann eine Einschätzung der Dekarbonisierungskosten für ein durchschnittliches Objekt in einem bestimmten Sektor in einem bestimmten Land unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit des Energienetzes dienen. Anleger können dann gemeinsam mit fachkundigen Beratern wie z. B. JLL, Verco oder Evora die Vermögenswerte auf einer Bottom-up-Basis analysieren. Dadurch erhalten sie Schlüsseldaten, die zur Verfeinerung der allgemeinen Durchschnittswerte verwendet werden können.

Wir verfolgen einen mehrgleisigen Ansatz

Die größte Herausforderung besteht heutzutage darin, einen konsistenten Weg zur Klimaneutralität zu bestimmen. Dieser muss verschiedene Sektoren, Länder, künftige Klimaveränderungen und die Nachhaltigkeit der Energiequellen in den einzelnen Ländern berücksichtigen. Als Ausgangspunkt dient uns die vom CRREM (Carbon Risk Real Estate Monitor) veröffentlichte wissenschaftsbasierte Leitlinie in Bezug auf energiebedingte Emissionen. Diese kombinieren wir dann mit den umfassenden Bottom-up-Daten, die wir aus der externen Analyse unserer Objekte erhalten haben. Anschließend beurteilen wir die am besten geeigneten Zahlen basierend auf unseren Einschätzungen der Länder und Sektoren. Wir gehen davon aus, dass sich unsere Orientierungswerte weiter entwickeln, während wir einen zunehmend genaueren Datenbestand der erwarteten und tatsächlichen Kosten aufbauen.   

Und was bedeutet das nun?

Angesichts der unbestreitbaren Auswirkungen der Erderwärmung und aufgrund der fortlaufend strengeren und belastenderen Nachhaltigkeitsvorschriften ist der Druck auf die Immobilienbranche, sich umzustellen, groß. Anleger werden sich zunehmend bewusster, dass sie das Problem der überschüssigen Emissionen ihrer Anlageobjekte angehen müssen.

Wir sind noch in der Anfangsphase, wenn es darum geht, dass die Anleger die wahrscheinlichen Kosten in Verbindung mit aus Nachhaltigkeitsperspektive „guten“ und „schlechten“ Anlagen einpreisen. Aber angesichts des hohen Maßes an Aufmerksamkeit, das sich auf diesen Bereich des Immobiliensektors richtet, zieht das Tempo des Wandels deutlich an.

Manche Anleger werden feststellen müssen, dass sich eine Sanierung ihrer Objekte aufgrund der hohen Kosten nicht lohnt. Diese Objekte werden künftig möglicherweise keine Mieter finden oder keinen Cashflow erzeugen. Sie könnten sogar wirtschaftlich gar nicht mehr nutzbar werden, so dass letztlich nur noch der Abriss bleibt. Damit es in Zukunft nicht zu solch drastischen Schritten kommen muss, ergreifen wir jetzt schon wichtige Maßnahmen.

Simon Kinnie, Head of Real Estate Forecasting und Ruairi Revell, Head of Real Estate, ESG Investment, abrdn

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