Der Weg zur Netto-Null: Gerechter Übergang für Arbeitnehmer?

abrdn | 16.01.2023 15:07 Uhr
© Foto von Davide Cantelli auf Unsplash
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Der Begriff des „gerechten Übergangs“ bezieht sich auf die Art und Weise, wie wir auf kohlenstoffarme Energiequellen umsteigen. Dies ist ein entscheidender Aspekt der Klimaagenda. Durch einen gerechten Übergang sollen die negativen Begleiterscheinungen der Energiewende so gering wie möglich gehalten werden, und alle – das heißt Arbeitnehmer, Lieferanten, Verbraucher und Communities – sollen von den Vorteilen profitieren.

Der Weg zur Netto-Null wird je nach Branche und Land uneinheitlich verlaufen. Eines der Ziele eines gerechten Übergangs besteht darin, betroffene Arbeitnehmer zu unterstützen, indem umweltgerechte anspruchsvolle Arbeitsplätze geschaffen und die für das Erreichen des Netto-Null-Ziels erforderlichen Fähigkeiten vermittelt werden.

Was sind unter dem Strich die Folgen für den Arbeitsmarkt?

Allgemein wird davon ausgegangen, dass der Übergang zu einer Netto-Null-Wirtschaft mehr Arbeitsplätze schaffen als vernichten wird. Laut Berechnungen von McKinsey, die auf einem Netto-Null-Szenario im Jahr 2050 basieren, könnten durch den Übergang rund 200 Millionen Arbeitsplätze entstehen und rund 185 Millionen Stellen verlagert werden. Unter dem Strich könnte dies also bis 2050 einen Zuwachs von rund 15 Millionen Arbeitsplätzen bedeuten.1 Dabei entfallen etwa 162 Millionen der neuen Stellen auf die Bereiche Betrieb und Wartung in unterschiedlichen Wirtschaftssektoren, und etwa 41 Millionen stehen im Zusammenhang mit den Ausgaben für Sachanlagen, die für den Übergang zur Netto-Null bis 2050 erforderlich sind. Die Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organisation, ILO) zeichnet sogar ein noch positiveres Bild und schätzt, dass bis 2030 ein Nettozuwachs von 18 Millionen Arbeitsplätzen möglich sein könnte.2

Welche Sektoren und Länder werden am stärksten betroffen sein?

Nach Angaben der ILO wird der größte Teil der im Zuge der Energiewende neu geschaffenen Stellen auf die Bereiche Bauwesen, Elektromaschinenbau, Kupferbergbau, erneuerbare Energien und Biomassekulturen entfallen. Ein Abbau von Arbeitsplätzen wird hingegen vor allem in der Erdölförderung und -raffinierung, im Kohlebergbau und im Bereich der Kraftwerkskohle stattfinden. Darüber hinaus bedeutet der Umstieg auf Elektrofahrzeuge , dass in der Produktion weniger Arbeitskräfte benötigt werden, was einen Netto-Stellenabbau zur Folge hat – eine Entwicklung, die in diesem Sektor bereits im Gange ist.

Die Konsequenzen für die Beschäftigung sind zudem von Land zu Land unterschiedlich, je nachdem, wie stark die jeweilige Wirtschaft vom Übergang zur Netto-Null betroffen ist. Der Übergang wird sich ungleich stärker auf einkommensschwächere und fossile Brennstoffe produzierende Länder wie Pakistan, Indien, Bangladesch, Kenia, Nigeria und Indonesien auswirken.

Die Art und Weise, wie Unternehmen die Auswirkungen des Übergangs auf ihre Beschäftigten steuern, birgt erhebliche Anlagerisiken, aber auch Chancen für Investoren

Dabei handelt es sich in der Regel um Länder, in denen ein relativ hoher Anteil der Arbeitsplätze, des Bruttoinlandsprodukts und des Kapitalstocks auf Sektoren entfällt, die dem Wandel stärker ausgesetzt sind, d.h. Sektoren mit emissionsintensiven Betriebsabläufen, Produkten und Lieferketten. Einige Länder, wie Katar, Russland und Saudi-Arabien, die im großen Stil fossile Brennstoffe fördern, sind ebenfalls stark exponiert.

Anlageimplikationen

Die Art und Weise, wie Unternehmen die Auswirkungen des Übergangs auf ihre Beschäftigten steuern, birgt erhebliche Anlagerisiken, aber auch Chancen für Investoren. Es gibt zwei Arten von Risiken, mit denen Unternehmen in den am stärksten von der Energiewende betroffenen Sektoren konfrontiert sind: Umstrukturierungsrisiken und Risiken für das Humankapital.

Was die Umstrukturierungsrisiken betrifft, so sind vor allem die durch Massenentlassungen verursachten betrieblichen Beeinträchtigungen zu nennen. Die Folge können kostspielige Abfindungen und schwierige Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen sein. Untersuchungen zeigen, dass die in Sachen Umstrukturierungspraktiken führenden Unternehmen eher in Europa zu finden sind. Dies gilt auch für Unternehmen in den Sektoren mit hohem Anteil an fossilen Brennstoffen und Emissionen, was darauf hindeutet, dass die europäischen Unternehmen im Verhältnis besser auf einen gerechten Übergang vorbereitet sind.

Darüber hinaus manifestieren sich die Risiken im Hinblick auf das Humankapital vor allem in Form von falschen oder unzureichenden Qualifikationen, was die Fortschritte eines Unternehmens bei der grünen Wende behindern kann. Der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge hat der Energiesektor bereits jetzt Schwierigkeiten, qualifizierte Fachkräfte zu finden, um mit dem Wachstum im Bereich der sauberen Energie Schritt halten zu können. Das Netto-Null-Szenario der IEA sieht vor, dass die jährlichen Sonnen- und Windkraftinstallationen bis 2030 das Vierfache des aktuellen Niveaus erreichen sollen. Die genannten Schwachstellen auf der Beschäftigungsseite könnten die Entwicklung hin zu einer kohlenstoffarmen Zukunft allerdings verlangsamen.3

Der ILO-Erhebung zufolge verfolgen zwar die meisten Länder eine Umweltpolitik. Die Entwicklung der erforderlichen Kompetenzen auf nationaler oder regionaler Ebene wird aber nur selten politisch unterstützt. Ausnahmen sind hier Dänemark, Estland, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, die USA, China, Indien, Südkorea, die Philippinen und Südafrika. Auch gibt es nur wenige Länder, in denen die Vermittlung von Kenntnissen zum ökologischen Wandel Gegenstand von Schul- oder Ausbildungslehrplänen ist.4

Unternehmen spielen darüber hinaus eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, zu ermitteln, welche Kenntnisse in Zukunft gefordert sein werden, und Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten für den grünen Wandel bereitzustellen. In der Praxis kann dies in Zusammenarbeit mit Regierungen und Ausbildungseinrichtungen geschehen.

Anleger müssen ein Verständnis dafür bekommen, wie diese Risiken gehandhabt werden. So konnten wir beispielsweise durch unser eigenes intensives Engagement bei Automobilherstellern erfahren, dass die Branche diese Risiken durch Vorruhestandsregelungen, Weiterqualifizierung der bestehenden Belegschaft und proaktive Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften angeht. Um nachzuvollziehen, wie Unternehmen mit diesen Risiken umgehen, sollten Anleger vor allem die folgenden vier Fragen stellen:

  • Gibt es Belege dafür, dass der gerechte Übergang im Klimaplan des Unternehmens berücksichtigt ist?
  • Wird die Umstrukturierung verantwortungsbewusst vorangetrieben?
  • Werden geeignete Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bereitgestellt?
  • Gibt es Bestrebungen hin zu umweltgerechten anspruchsvollen Arbeitsplätzen?

Fazit

Die Energiewende wird sich erheblich auf die Beschäftigungssituation auswirken. Sie wird zur Schaffung und zur Verlagerung von Millionen von Arbeitsplätzen führen. Die Auswirkungen dürften zwar unter dem Strich positiv ausfallen, der erwartete Beschäftigungszuwachs wird sich aber vor allem auf Sektoren wie erneuerbare Energien, Elektromaschinen und das Baugewerbe konzentrieren. Aus geografischer Sicht ist in Entwicklungsländern, die stark von Sektoren mit einem hohen Anteil an fossilen Brennstoffen und Emissionen abhängig sind, ein größeres Ausmaß an Störungen am Arbeitsmarkt zu erwarten. Die Art und Weise, wie Unternehmen und Regierungen damit umgehen, birgt Risiken und Chancen für Investoren.

Unsere kontinuierlichen Research- und Engagement-Bestrebungen zielen darauf ab, ein Verständnis dafür zu entwickeln, welche sozialen Folgen und potenziellen Risiken die Energiewende in Bezug auf unsere Investments birgt. Unser Research in diesem Bereich soll künftig weiter ausgebaut werden, parallel zu unseren laufenden Aktivitäten in den Bereichen Klimawandel, Menschenrechte, Arbeit und Beschäftigung. So werden wir, ausgehend von unseren Überlegungen über die Situation von Arbeitnehmern im Zuge der Energiewende, auch die Perspektiven von Gemeinschaften und Verbrauchern unter die Lupe nehmen, um so weitere Erkenntnisse in unseren Investitionsprozess integrieren zu können.

1. The net-zero transition: Its cost and benefits | Sustainability | McKinsey & Company
2. Flagship Report: World Employment and Social Outlook: Trends 2018 (ilo.org)
3. The importance of focusing on jobs and fairness in clean energy transitions – Analysis – IEA
4. World Employment and Social Outlook 2018 – Greening with jobs (ilo.org)

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