Argentinien, Chile und Brasilien – Bundeskanzler Olaf Scholz hat diese Woche seine erste Südamerika-Reise absolviert. Eines der Ziele ist eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit, um die deutsche Energiewende weiter voranzutreiben. Auch abrdn sieht in dem Kontinent großes Potenzial. Allerdings ist es für Eduardo Figueiredo, Director and Head of Brazilian Equities bei abrdn, entscheidend, bei Investitionen langfristig zu denken:
„Trotz der anhaltenden Turbulenzen gehörte Lateinamerika Ende 2022 zu den Aktienmärkten mit der besten Performance. Die Renditen wurden durch günstige Bewertungen, eine Erholung der Erträge und die zyklische Komponente der lateinamerikanischen Benchmarks angetrieben. Diese Faktoren dürften auch 2023 die Märkte beflügeln, insbesondere wenn sich die chinesische Wirtschaft wieder öffnet. Dennoch werden wir die Entwicklungen in Lateinamerika weiterhin sehr aufmerksam beobachten. Insbesondere langfristige Anleger könnten zu gegebener Zeit belohnt werden.
Brasilien
Brasilien ist ein geteiltes Land. Daran hat auch die Wahl Lulas zum neuen Präsidenten nichts geändert. Vor diesem Hintergrund war die Wahl eines ausgewogenen Kongresses positiv. Eine breite Repräsentation bietet normalerweise einen angemessenen Rückhalt für die regierende Partei. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob diese Dynamik ausreichen wird, um in der Regierung Lula Pragmatismus durchzusetzen, was positiv für Investitionen wäre. Die rohstoffreiche brasilianische Wirtschaft ist gut positioniert, um vom Aufschwung der chinesischen Wirtschaft zu profitieren. Unterdessen hat die brasilianische Zentralbank die Zinssätze im Jahr 2022 entschieden angehoben und die Inflation unter Kontrolle gebracht. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem Siebenjahrestief.
Präsident Lula hat sich zudem dazu verpflichtet, das Land als Basis für natürliche Ressourcen neu zu positionieren. Dazu gehört ein strengerer Schutz des Regenwaldes, während gleichzeitig versucht wird, das Land zu einem Kraftzentrum für erneuerbare Energien zu machen.
Allerdings ist das Land nicht immun gegen den Druck, mit dem die Weltwirtschaft konfrontiert ist. Die wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens könnte sich 2023 abschwächen. Die Aufgabe, das inländische Wachstum anzukurbeln, ist nicht einfach, insbesondere wenn die Zinsen hoch bleiben. Dennoch glauben wir, dass die Voraussetzungen für eine zyklische Erholung gegeben sind, wenn Pragmatismus die Oberhand gewinnt.
Mexiko
Die mexikanische Wirtschaft erwies sich als widerstandsfähig, mit Wachstumsfeldern im Verbrauchersegment sowie in Unternehmen und Regionen mit Nähe zu den USA. Die Währung und die Haushaltslage des Landes sind nach wie vor stark. Schätzungsweise 6% des Bruttoinlandsprodukts entfallen auf „Rücküberweisungen“. Auch der Tourismus hat sich erholt. Vor diesem Hintergrund ist die Inflation hartnäckiger als von der Bank von Mexiko erwartet. Sie hat die Zinssätze erhöht und damit mit der Fed Schritt gehalten.
Das neue Nordamerikanische Freihandelsabkommen hat die Beziehungen zwischen Mexiko, den USA und Kanada gestärkt. Das wichtigste Thema für Mexiko ist jedoch der „Nearshoring“-Trend nach Covid. Insbesondere Unternehmen aus dem Automobil-, Technologie- und Gesundheitssektor fingen an näher am Heimatort produzieren.
Die nördliche Region Mexikos bleibt dynamisch. Dies wird von Anlegern, die sich auf die schwache Leistung der Gesamtwirtschaft konzentrieren, oft übersehen. Wir sind der Meinung, dass diese Dynamik in Verbindung mit dem hohen Zinsumfeld eine Aufwärtskorrektur der Gewinne einer Reihe von Banken, insbesondere derjenigen, die im Norden engagiert sind, unterstützen sollte.
Chile, Peru und Kolumbien
In Chile, Peru und Kolumbien ist ein deutlicher Trend hin zu linken Parteien zu verzeichnen. Die drei Länder verbindet die Unzufriedenheit der Bevölkerung und die große soziale Ungleichheit. Die Wahlprogramme waren extrem. Die Realität war jedoch weniger dramatisch als befürchtet. Letztlich wurde der Realismus durch die bestehenden institutionellen Hindernisse und die vorherrschenden makroökonomischen Rahmenbedingungen durchgesetzt.
Grundsätzlich verfügen diese Volkswirtschaften über eine günstige demografische Entwicklung, Investitionsmöglichkeiten in wenig erschlossenen Sektoren und riesige Ölreserven. Was die Zukunft angeht, so sind sie auch reich an begehrten natürlichen Ressourcen wie seltenen Mineralien, Lithium und Kupfer – Materialien, die von entscheidender Bedeutung sein werden, da sich die Welt zunehmend auf den Klimawandel und die Energiewende ausrichtet. Der Handel mit diesen Ressourcen wird auch neue Beziehungen festigen, die über die historischen Beziehungen Lateinamerikas zu China hinausgehen.
Wie sind die Aussichten für Investoren?
Lateinamerika ist besser gegen einen starken US-Dollar abgesichert als viele andere Schwellenländer. Rohstoffe werden in Dollar gepreist, sodass die Exporteure der Region von einem steigenden Dollar profitieren. Zwar sind die Unternehmensgewinne nach wie vor von der zyklischen Natur der Branche abhängig, doch es geht auch um mehr als nur Rohstoffe. Schwache Infrastruktur, unterdurchschnittliche Bildungs- und Gesundheitssysteme sowie Ungleichheit sind ständige Herausforderungen – aber auch riesige Chancen für Unternehmen, die zur Lösung dieser Probleme beitragen.
Es werden also diejenigen Anleger belohnt, die über die allgemeinen Benchmarks hinausschauen und aktienspezifische Erkenntnisse berücksichtigen. Unser Prozess konzentriert sich auf die Fundamentaldaten der Unternehmen. Unter diesem Blickwinkel sehen wir eine Fülle von lateinamerikanischen Qualitätsunternehmen mit soliden Bilanzen und soliden ESG-Kriterien, die von erstklassigen Managementteams geführt werden. Wir sind davon überzeugt, dass diese Unternehmen das derzeitige schwierige Umfeld nicht nur überstehen, sondern auch mittel- bis langfristig florieren werden."
Von Eduardo Figueiredo, Director and Head of Brazilian Equities bei abrdn