Der Übergang zu kohlenstoffarmer Energie wird zwar weltweit in allen Sektoren vollzogen, allerdings nicht in dem Tempo und in dem Umfang, wie es nötig wäre, um bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu gewährleisten.
Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen und die Erwärmung auf 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, müssen die Emissionen bis 2030 halbiert werden – das bedeutet eine Reduzierung um etwa 7% pro Jahr. Aktuell ist jedoch noch immer eine Zunahme der Emissionen zu beobachten, lediglich mit einer pandemiebedingten Unterbrechung im Jahr 2020 (-6%).
Vor mehr als sieben Jahren wurde im Pariser Klimaabkommen von 2015 das Ziel formuliert, die Erderwärmung auf unter 2°C und idealerweise auf 1,5°C zu begrenzen. Doch bringen die Nationalen Klimabeiträge der Länder (Nationally Determined Contributions, NDCs) –- d. h. ihre offiziellen Klimaschutzzusagen – die Welt laut Climate Action Tracker bislang lediglich auf einen Pfad von 2,4 °C.
Offensichtlich bietet die Politik also weder die nötige Sicherheit noch die finanziellen Anreize, um die Dekarbonisierung in dem erforderlichen Tempo voranzutreiben. Der jüngste Synthesebericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change) beinhaltet eine eindringliche Warnung, dass wir vor der wirklich letzten Chance stehen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.
Obwohl Regierungen, Unternehmen und Finanzinstitutionen mehr tun als je zuvor und über 90% der Wirtschaftstätigkeit mit Netto-Null-Zusagen verknüpft sind, klafft doch immer noch eine große Lücke zwischen ehrgeizigen Klimaschutzzielen auf der einen Seite und glaubwürdigen Maßnahmen auf der anderen – eine Situation, die sich als Klimaglaubwürdigkeitslücke bezeichnen lässt.
Wir zeigen fünf Wege auf, wie Investoren dazu beitragen können, diese Lücke zu schließen:
1. Die Glaubwürdigkeit der Klimaziele von Unternehmen ermitteln
Investoren sollten CO2-Emissionen vorausschauend betrachten, um sich ein besseres Bild davon machen zu können, wie Unternehmen mit Emissionen umgehen und wie die Klimabilanz ihrer Portfolioinvestments vermutlich aussehen wird.
Unseren Analysen zufolge ist im Hinblick auf die Emissionsziele der Unternehmen Vorsicht geboten, da sie vom politischen Umfeld, in dem sie agieren, und auch vom Entwicklungsstand der von ihnen eingesetzten Technologien abhängig sind. Tools von Drittanbietern zur Verfolgung von Kohlenstoffzielen bieten möglicherweise nur eine begrenzte Abdeckung oder berücksichtigen keine Faktoren, die außerhalb der Kontrolle eines Unternehmens liegen.
Aus diesem Grund haben wir einen maßgeschneiderten Rahmen entwickelt, bei dem auf der Grundlage der folgenden sechs Faktoren ein Glaubwürdigkeits-Score ermittelt wird: Belastbarkeit des Emissionsziels, Entwicklung der Emissionen in der Vergangenheit, Stand der Technik, politische Unterstützung, grüne Erträge und Klima-Governance.
Beim Test dieses Rahmens mit 400 der weltweit am stärksten von der Energiewende betroffenen Large Caps stellten wir eine große Streuung bei der Umsetzung der Emissionszusagen fest, und keines der Unternehmen konnte einen lückenlos glaubwürdigen Übergangsplan vorweisen.
2. Einfluss durch aktive Beteiligung ausüben
Großinvestoren haben die Möglichkeit, mit dem Managementteam eines Unternehmens jene Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG) zu erörtern, die für das Unternehmen von finanzieller Bedeutung sind, und zum Verständnis der damit verbundenen Risiken und Chancen beizutragen.
So können wir näherbringen, was aus Sicht eines Investors als „gut“ zu bezeichnen ist. Wir können auch Einfluss auf das Verhalten eines CO2-intensiven Unternehmens nehmen oder auch Kritik üben, wenn Maßnahmen zur Erreichung eines gestecktem Kohlenstoffziels unzureichend erscheinen.
Als Aktionäre haben wir zudem die Gelegenheit, unsere Zustimmung oder Ablehnung bezüglich der Unternehmenspolitik zum Ausdruck zu bringen, indem wir auf Hauptversammlungen unsere Stimme abgeben.
Investoren können alleine oder kollektiv agieren. Diskussionen können hinter verschlossenen Türen stattfinden oder öffentlich geführt werden. Die verschiedenen Ansätze haben jeweils ihre Vor- und Nachteile.
Den Verkauf eines Investment sehen wir nur als letzten möglichen Schritt, der erst dann erfolgen sollte, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, denn ein Investor, der seinen Anteil veräußert, verliert jeglichen Einfluss.
3. Kapital für glaubwürdige Vorreiter des Wandels bereitstellen
Die Finanzierung der Energiewende obliegt der Privatwirtschaft ebenso wie den Regierungen und dem öffentlichen Sektor.
Sobald Investoren eine klarere Vorstellung davon haben, welche Unternehmen bei der Energiewende führend sind, können wir ihre Investitionen besser in jene Firmen lenken, die Teil der Lösung sein wollen.
Glaubwürdige Vorreiter des Wandels sind Unternehmen, die sich ehrgeizige Ziele zur Emissionsreduzierung gesteckt haben, ihre Aktivitäten innovativ gestalten und transformieren wollen und in ihrem jeweiligen Sektor mit gutem Beispiel vorangehen.
So können sie die mit der Energiewende verbundenen Risiken besser vermeiden und gleichzeitig die sich bietenden Chancen nutzen. Mit Hilfe unseres Glaubwürdigkeitsrahmens lassen sich diese Pioniere ermitteln.
Viele Investitionsmöglichkeiten werden sich in Schwellenländern bieten. Die Internationale Energieagentur und die Weltbank gehen davon aus, dass etwa 70% des für den Übergang zu sauberer Energie benötigten Kapitals in die Schwellenländer fließen müssen.
4. Durch die Analyse von Klimaszenarien einen Blick in die Zukunft werfen
Im Rahmen der Klimaszenarioanalyse werden die finanziellen Folgen verschiedener Klimaentwicklungen untersucht, wobei unterschiedliche klimapolitische Ambitionen sowie alternative Wege der technologischen Entwicklung ins Kalkül gezogen werden.
Mittels unseres maßgeschneiderten Klimaszenario-Ansatzes ermitteln wir beispielsweise plausible Klimapfade, indem wir verschiedene politische Maßnahmen in unterschiedlichen Sektoren und Regionen berücksichtigen und so das Ausmaß der politischen Lücken aufzeigen.
Indem wir jedem Szenario eine Wahrscheinlichkeit zuordnen, können wir einschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass die Welt die Ziele von Paris erreicht, und welchem Pfad wir am ehesten folgen werden.
Die Glaubwürdigkeitslücke zwischen den nationalen Klimaschutzversprechen und den verbindlichen Maßnahmen spiegelt sich in unserem „mittleren“ Szenario wider, das einen Temperaturanstieg von über 2°C nahelegt. Da die globalen Emissionen immer noch steigen, attestieren wir den Netto-Null-Szenarien nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit.
Die Analyse von Klimaszenarien liefert Daten, die zur Überwachung des Fortschritts hin zur Netto-Null auf Mikro- und Makroebene, zum Verständnis der finanziellen Folgen längerfristiger Klimarisiken und -chancen sowie zur Festlegung von Prioritäten für weitere Maßnahmen herangezogen werden können.
Dies ist für Investoren insofern wichtig, als die nationale Politik die richtigen Signale senden und Impulse geben muss, um die Kapitalallokation im Einklang mit den Netto-Null-Zielen zu fördern, die Dekarbonisierung der Unternehmen zu unterstützen und Anreize für Investitionen zu schaffen.
5. Förderung von politischer Einflussnahme und Engagement
Als Investoren können wir uns für positive Veränderungen einsetzen. Wir können dies auf Unternehmensebene tun, aber auch auf Branchen- oder nationaler Ebene.
Dank unseres Research und unserer Beteiligung an der Entwicklung von Best Practices befinden wir uns in einer guten Position, um mit politischen Entscheidungsträgern über Anreize zu diskutieren, die notwendig sind, um Kapital anzuziehen und Netto-Null-Ziele in dem erforderlichen Tempo zu erreichen. Die Kohlenstoffbepreisung ist ein wichtiges Beispiel für einen solchen Anreiz.
Bei abrdn sind wir auch in der Lage, die Fortschritte bei der Umsetzung dieser Ziele zu überwachen, zum Beispiel mit Hilfe unseres Klimapolitik-Index. Im Falle von Defiziten können wir ermitteln, was noch getan werden muss.
Wir sind Unterzeichner des Global Investor Statement to Governments on the Climate Crisis, einer mächtigen Plattform, über die Investoren Regierungen dazu auffordern können, die Lücke zwischen ehrgeizigen Klimaschutzzielen und glaubwürdigen Maßnahmen zu schließen.
Wir nehmen an den jährlichen Klimakonferenzen der Vereinten Nationen teil, z. B. an der COP27, die Organisationen, politische Entscheidungsträger und Investoren zusammenbringt. Es ist unsere ethische und treuhänderische Pflicht, uns Gehör zu verschaffen und auf Probleme aufmerksam zu machen, die angegangen werden müssen.
Von Eva Cairns, Head of Sustainability Insights & Climate Strategy bei abrdn