Chinas Wachstumsrate mag ihren Höhepunkt erreicht haben. Aber die Größe seiner Wirtschaft bedeutet, dass selbst wenn sich das Wachstum in den nächsten zehn Jahren auf etwa 3,5% abschwächt, das Land immer noch etwa ein Drittel des weltweiten Wachstums ausmachen und vor 2035 die größte Volkswirtschaft der Welt sein werde. „Selbst in zehn Jahren wird China noch über ein beträchtliches Wachstumspotenzial verfügen, da das Pro-Kopf-BIP wahrscheinlich nur ein Viertel des US-BIP betragen wird, sodass es noch viel Potenzial zum Aufholen gibt“, schreibt Robert Gilhooly, Senior Emerging Markets Research Economist bei abrdn, in einem aktuellen Marktkommentar.
China nähert sich beim Konsumverhalten dem Westen an
Die Art des chinesischen Wachstums werde sich ändern. „Wenn Chinas Mittelschicht wächst, wird der Anteil des Konsums am BIP steigen. Chinas Konsum liegt bereits bei 50% des US-Konsums, und bis 2050 könnte er um fast 10% höher sein“, so Gilhooly. Chinas alternde Bevölkerung werde die Angleichung des Konsumverhaltens an die Normen der Industrieländer verstärken. Der Konsum werde sich also zunehmend auf die Bereiche Wohnen, Gesundheit, Verkehr und Hygiene konzentrieren.
Bildung und Qualifikation gleichen Überalterung aus
Eine „Japanisierung“ Chinas hält Gilhooly für unwahrscheinlich: „Natürlich gibt es einige Parallelen bei der Demografie, dem Immobilienabschwung, dem verlangsamten Wachstum, der Bedeutung des Exports und den Handelsspannungen mit den USA. Aber der Hauptunterschied liegt in den Entwicklungsstufen.“ Japan sei bereits Anfang der 1990er Jahre eine fortgeschrittene Volkswirtschaft gewesen. Das Pro-Kopf-BIP betrug etwa 70% desjenigen der USA. „Selbst wenn die chinesische Bevölkerung zu einem früheren Zeitpunkt überaltert, dürften die durch Bildung und Qualifikation erzielten Fortschritte bei den Arbeitnehmern einen Rückgang der Erwerbsbevölkerung ausgleichen. Einfach ausgedrückt: Die Qualität der Arbeitskräfte kann die Quantität der Arbeitskräfte kompensieren.“
Finanzstabilität und Immobilienmarkt im Fokus
Zudem würden sich das japanische und das chinesische Finanzsystem erheblich unterscheiden. „Staatlich gelenkte Investitionen könnten potenziell jeden Rückzug des Privatsektors ausgleichen. Das verringert das Risiko einer ‚Bilanzrezession‘, die durch eine hohe Verschuldung des Privatsektors verursacht wird, die Ausgaben oder Investitionen behindert“, so Gilhooly.
Immobilien stellen für China laut Gilhooly nach wie vor eine große Herausforderung dar. „Die Bevölkerung Chinas mag zwar seit 2022 zu sinken begonnen haben, doch dies ist kein Zeichen für einen bevorstehenden Zusammenbruch der Wohnungsnachfrage. Die Urbanisierung ist noch nicht abgeschlossen.“ Den privaten Wohnungsmarkt gibt es erst seit den späten 1990er Jahren, sodass noch viel Modernisierungsarbeit zu leisten sein werde.
Gilhooly geht davon aus, dass die sich ändernde Bevölkerungszusammensetzung die Haushaltsbildung bis 2035 in einem angemessenen Tempo vorantreiben wird (jedes Jahr kommen etwa 4 Millionen Haushalte hinzu). Die Haushaltsbildung insgesamt werde wahrscheinlich erst gegen 2045 ihren Höhepunkt erreichen. „Allerdings sind 4 Millionen zusätzliche Haushalte pro Jahr nur halb so viele wie zwischen 2000 und 2010. Zudem besteht das Risiko, dass nach dieser Periode des starken Wohnungsbaus überschüssige Bestände abgebaut werden müssen“, so Gilhooly abschließend.