"Sie sind vorbei: Das ist das Beste, was sich über die vergangenen beiden Wochen an den Aktienmärkten sagen lässt. Ganze 4 Prozent hat der US-Index S&P 500 in gerade einmal elf Handelstagen von seinem Allzeithoch nachgegeben. Das erfüllt die gängige Definition einer Korrektur mit 10 Prozent Kurseinbußen schon fast zur Hälfte. Der deutsche Markt hat diese Marke sogar geknackt. Aber wie wird es weiter gehen? Ist das nun die gesunde Konsolidierung nach fünf Jahren mit Gewinnen, die den Weg für eine Wiederaufnahme des Bullenmarktes freimacht? Oder der Auftakt zu einer ernsteren Entwicklung?
In der vergangenen Woche hat sich die geopolitische Lage zugespitzt. Präsident Obamas Zustimmung zu Luftangriffen im Irak und Russlands Gegensanktionen zur Politik des Westens sind zwar für dramatische Schlagzeilen gut. Sie haben aber eher geringe Auswirkungen auf die Wirtschaft: Lebensmittel machen nur einen kleinen Teil der Gesamtexporte nach Russland aus, und Amerika ist entschlossen, sich nicht wieder tiefer in den Konflikt im Irak hineinziehen zu lassen.
Problematischer ist da schon die Lage der europäischen Wirtschaft. Angesichts einer Teuerungsrate von mageren 0,4 Prozent ist die Region nur einen Wimpernschlag von einer Deflation im Stile Japans entfernt. Daher ist Mario Draghis Zögern, eine umfassende quantitative Lockerung einzuleiten, beunruhigend wenn auch verständlich. Denn die rechtlichen Grundlagen für eine solche Maßnahme sind vor allem in Deutschland noch nicht geklärt.
Was die Situation in den USA anbelangt, so gehe ich davon aus, dass die schlechten Nachrichten von der Zinsfront bereits vollständig eingepreist sind. Über ein Jahr ist es her, seit der damalige Fed-Chef Ben Bernanke das Drosseln der Anleihekäufe ankündigte. Also dürfte inzwischen wirklich jeder darüber im Bilde sein, dass die quantitative Lockerung im Oktober auslaufen wird. Kein Zweifel kann außerdem daran bestehen, dass der nächste Schritt zur Normalisierung der Geldpolitik eine moderate Zinserhöhung sein wird. Auch das ist wirklich nichts Neues.
Aber es gibt noch andere Gründe, weshalb ich die jüngsten Kursverluste lediglich für eine gesunde Korrektur halte. So sind die Marktschwankungen nach wie vor geringer als angesichts der geopolitischen Ereignisse zu erwarten wäre, die aktuell die Schlagzeilen bestimmen. Dabei spielt die allgemeine Stabilität der Weltwirtschaft eine wichtige Rolle. Langsames, aber stetiges Wachstum schafft gute Rahmenbedingungen für Unternehmen. Dass die Bereitschaft für Fusionen und Akquisitionen aktuell steigt, ist ein gutes Zeichen. Denn Übernahmen ziehen Firmen nur dann in Betracht, wenn ihre Grundstimmung optimistisch ist. Ein Anstieg des Transaktionsvolumens bei Fusionen und Übernahmen um 80 Prozent verglichen mit 2013 ist daher ein positives Signal.
Und was die Zinsen anbelangt, sind die erwarteten Zinsanhebungen in den USA und in England Ausdruck des Vertrauens der Zentralbanken in die Stärke der wirtschaftlichen Erholung der beiden Länder. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass steigende, aber vergleichsweise niedrige Zinsen nicht unbedingt ein Problem für die Aktienmärkte sind. Und mit einer solchen Zinsentwicklung ist für geraume Zeit zu rechnen.
Dann wären da noch die allgemeinen Kursniveaus: Derzeit sind sie entweder aus gutem Grund hoch wie in den USA, angemessen wie in Großbritannien und Japan oder günstig wie in China und Korea. Und verglichen mit den Alternativen, etwa Staatsanleihen aus den USA und Deutschland, die bei 2,35 Prozent bzw. 1,1 Prozent rentieren, sind auch die Ausschüttungen, die Aktien in Form von Dividenden liefern, attraktiv.
Alles in allem fühlt sich die aktuelle Entwicklung daher eher an wie eine gesunde Korrektur - angefacht durch die Anlegerstimmung und nicht durch die zugrunde liegenden Rahmenbedingungen. Schaut man sich die in den Jahren 1921 und 1982 begonnenen Bullenmärkte an, fällt auf, dass auch sie nach fünf Jahren eine Verschnaufpause einlegten, bevor sie ihren Aufwärtstrend wieder aufnahmen. Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen, dass die 2009 begonnene Hausse nicht dem gleichen Muster folgen sollte."
Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity Worldwide Investment