"Drei Faktoren sorgten während der letzten Handelstage für etwas Stabilität an den Märkten. Erstens treten global immer restriktivere Regeln in Kraft, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Zweitens ergreifen die Notenbanken Maßnahmen, um die Liquidität in wichtigen Bereichen des Kreditmarkts sicherzustellen. Und drittens bringen in den USA und Europa Regierungen rekordhohe Hilfspakete auf den Weg. Außerdem macht es Marktteilnehmern Hoffnung, dass in China bereits erste Anzeichen einer Erholung zu beobachten sind. Allerdings es gibt auch diverse Belastungsfaktoren:
Trendumkehr bei Steuern und Aktienrückkäufen
In den vergangenen Jahrzehnten sind die effektiven Steuersätze für Unternehmen weltweit tendenziell gefallen − vor allem in den USA und Europa. Durch die immensen Konjunkturprogramme dürfte dieser Trend zu einem Ende kommen oder sich sogar umkehren. Die Politik wird immer sensibler dafür, welche Bereiche der Wirtschaft besonders von staatlichen Maßnahmen profitieren und welche Maßnahmen damit finanziert werden. In den USA etwa wurden mit den 2017 verkündeten Steuersenkungen vor allem große Aktienrückkaufprogramme finanziert. Solche Szenarien dürfte man künftig kritischer sehen.
Strengere Regulierung
Bisher kaum regulierte Branchen müssen in Zukunft damit rechnen, dass sie häufiger Rechenschaft gegenüber Kunden und der Gesellschaft ablegen müssen. Beispielsweise sind einige Online-Geschäftsmodelle so schnell gewachsen, dass die Regulationsbehörden kaum Schritt halten konnten. Jetzt können sie durch ein langsameres Wirtschaftswachstum und eine strengere Regulierung doppelt belastet werden. Datenschutz, die Qualität von Inhalten und die Verantwortung und Fairness zugrundeliegender Algorithmen könnten Themen neuer Regulierungsansätze sein.
Höhere Löhne in Corona-relevanten Sektoren
Trotz einer langen Wachstumsphase und extrem niedrigen Arbeitslosenzahlen sind die Preise in der Realwirtschaft und die Reallöhne zuletzt kaum gestiegen. Investieren Staaten tatsächlich mehr Geld in Branchen wie Gesundheit, Infrastruktur und andere Kernbereiche, wo die Corona-Pandemie ungenügenden Investitionen der vergangenen Jahre verdeutlicht, könnten dies die Nachfrage nach Arbeitskräften stimulieren und den Löhnen Aufwind verleihen. Insgesamt wäre das ein Gewinn für die Wirtschaft, doch viele Unternehmen wurden schon lange nicht mehr mit Lohnsteigerungen konfrontiert. Trotz einer mäßigen Konjunktur konnten viele Unternehmen dadurch eine sehr hohe Profitabilität erzielen. Auch das könnte sich in Zukunft ändern.
Fazit
Veränderungen in der Besteuerung, der Regulierung und der Lohnpolitik werden sich bei US-Unternehmen besonders bemerkbar machen. Doch überall dort, wo höhere Staatsausgaben zur wichtigsten wirtschaftlichen Strategie werden, dürften diese Effekte spürbar werden. Zwar wird die Haushaltspolitik als Reaktion auf die Corona-Pandemie die Wirtschaft kurz- bis mittelfristig entlasten. Langfristig hat sie jedoch ihren Preis."
Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity International