"In dieser Gemengelage wächst in den nächsten zwölf Monaten die Gefahr politischer Fehlentscheidungen. Zentralbanken und Regierungen stehen, ähnlich wie die Flugzeugbesatzung in Joseph Hellers Roman „Catch-22“, vor schwierigen, wenn nicht gar unlösbaren Aufgaben. Undes gilt, bei dem aktuellen Catch-2022 das Vertrauen der Märkte nicht zu verspielen.
Ein solches Dilemma ist beispielsweise die Frage, wie die Geldpolitik gestrafft und die Inflation im Zaum gehalten werden kann, ohne den Aufschwung abzuwürgen. Ein weiteres sind die steigenden Energiepreise und der Umgang mit ihnen vor dem Hintergrund des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft. Die politischen Rahmenbedingungen so anzupassen, dass sich diese widersprüchliche Dynamik auflöst, wird kein leichtes Unterfangen
Preisauftrieb im Aufwärtstrend
Seit Monaten beteuern die Währungshüter, dass der Inflationsdruck ein vorübergehendes Phänomen sei. Aber bei einigen Produkten werden die Preise wohl wegen Lieferproblemen und dem Trend zur Deglobalisierung hoch bleiben. Ein weiterer längerfristiger Kostentreiber ist der Übergang zur Klimaneutralität. Lässt man die Inflation ungebremst weiter steigen, wird sie später zu einem umso größeren Problem. Steuert man mit Macht dagegen, könnte das ohnehin bereits ins Stocken geratene Wachstum weiter an Schwung verlieren.
Insgesamt gehen wir davon aus, dass die Zinsen länger niedrig bleiben werden. Und das ungeachtet höherer Preise und dem offenkundigen Wunsch der Zentralbanken, ihre Anleihenkäufe möglichst schnell zurückzufahren. Ultraniedrige Zinsen sind zwingend, damit das System nicht kollabiert, denn die Schuldenberge sind heute höher als während des Zweiten Weltkriegs.
Chinas Fokus auf die Realwirtschaft
Unterdessen scheint China entschlossen, sein Wirtschaftsmodell an realwirtschaftlichen Erfordernissen auszurichten, seine Staatsverschuldung zu senken und Ungleichheit in der Gesellschaft zu beseitigen. Auf mögliche Einbrüche an den Finanzmärkten zu reagieren ist für Peking von eher untergeordneter Bedeutung. Auf längere Sicht dürfte das für die Märkte von Vorteil sein. Denn Anleger sind sich nun des Risikos stärker bewusst und somit in der Lage, Vermögenswerte exakter zu bewerten.
Aber die Wirtschaftspolitik im Riesenreich könnte 2022 den Konjunkturmotor weltweit ins Stottern bringen und Marktteilnehmer veranlassen, ihre Erwartungen nach unten zu schrauben.
Klimawandel und die Vermögensallokation
Schon in diesem Jahr sahen sich Anleger gezwungen, über die Folgen des Klimawandels für ihre Vermögensallokation nachzudenken. Für 2022 gilt das umso mehr. Ländern, die zu den Nettoimporteuren fossiler Brennstoffe gehören, ist daran gelegen, ihre Energiesicherheit zu verbessern. Derweil sind Anleger auf der Suche nach Klimalösungen und neuen Technologien, um sich auf eine durchgreifendeNeuausrichtung der Wirtschaft vorzubereiten. Von den politischen Entscheidungsträgern wird der Klimawandel nicht mehr infrage gestellt. Entsprechend zahlreich sind die Maßnahmen, die zu seiner Eindämmung ergriffen werden, auch wenn fraglich ist, ob es eine Zusammenarbeit auf globaler Ebene geben wird.
Die Herausforderungen, die ein verändertes Konsumverhalten mit sich bringt, werden dadurch jedoch nicht kleiner. Wir rechnen folglich mit vielen Hindernissen auf dem Weg zur Klimaneutralität, von denen einige noch nicht eingepreist sind. 2022 könnten sich börsengehandelte Wertpapiere stärker im Gleichschritt entwickeln. Deshalb werden die Privatmärkte für langfristig orientierte Anleger möglicherweise auch weiterhin eine alternative Quelle für Kapitalwachstum sein, vor allem dank der Umstellung von klimabelastenden auf umweltschonende Vermögenswerte. Zur Diversifizierung von Portfolios dürften sich ausgewählte Anleihen und Aktien aus Asien anbieten. Andererseits könnten die werthaltigen Bereiche der Aktienmärkte in Industrieländern sowie Immobilien ein guter Schutz bei moderatem Preisauftrieb sein.
Die Dynamik des US-Dollar
Die Rahmenbedingungen für die Währung der Vereinigten Staaten verändern sich, denn Amerika ist zunehmend darauf angewiesen, dass Länder, die nicht unbedingt zu seinen Freunden zählen, seine Anleihen kaufen. Der Greenback könnte 2022 von defensiven Anlagestrategien profitieren, wenn die Schwankungen zunehmen. Sollten aber China und Japan, beunruhigt durch die Diskussionen über die Schuldenobergrenze, das Haushaltsdefizit und das starke Geldmengenwachstum, ihre Bestände an US-Staatsanleihen schneller abbauen und/oder verstärkt längere Laufzeiten kaufen, könnte die Fed gezwungen sein, mit höheren Renditen heimische Käufer anzulocken.
Erschwerend kommt hinzu, dass die staatlichen Hilfsprogramme 2022 langsam auslaufen, sodass die Arbeitslosigkeit steigen wird. Zudem werden die Menschen weniger Geld in der Tasche haben, insbesondere wenn die Energiepreise hoch bleiben. Dann wird den Währungshütern möglicherweise nichts anderes übrigbleiben, als bei der angekündigten Liquiditätsverknappung zurückzurudern. Andernfalls könnten sie sich einem Dilemma nach dem Muster von Catch-22 gegenübersehen. Denn die Märkte könnten allmählich glauben, dass die hohe Inflation noch deutlich länger anhält, was Anleger im weiteren Verlauf des Jahres veranlassen würde, ihr Anlagerisiko erneut zu überdenken."
Andrew McCaffery, Global CIO, Asset Management, Fidelity International