Fidelity-Stratege Roemheld: "Extreme Marktausschläge bleiben wahrscheinlich"

Fidelity International | 11.04.2022 14:30 Uhr
Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity International / © Fidelity International
Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity International / © Fidelity International
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Durch den Krieg zwischen Russland und der Ukraine wird die Weltordnung in wirtschaftlicher wie geopolitischer Hinsicht neu aufgestellt. Kurzfristig verschärfen der davon ausgehende Schock für Handel und Finanzmärkte sowie die Sanktionen den Inflationsdruck rund um den Globus.

Darunter dürfte nicht nur das Wachstum, sondern auch das Vertrauen leiden – in welchem Ausmaß und wie lange, lässt sich derzeit nicht mit Gewissheit sagen. Europa ist die vom Ukraine-Konflikt am stärksten betroffene Region, weshalb zumindest eine leichte Rezession sehr wahrscheinlich ist. Die Auswirkungen auf die USA halten sich bislang noch in Grenzen. Aber auch die größte Volkswirtschaft der Welt ist nicht immun, insbesondere nicht gegen die inflationstreibenden Folgen des Krieges.

Im zweiten Quartal werden aus unserer Sicht drei Anlagethemen im Mittelpunkt stehen.

1.   Die Dauer des Ukraine-Krieges wird die wirtschaftliche Entwicklung wesentlich beeinflussen

Der Krieg in der Ukraine hat schon jetzt erheblichen wirtschaftlichen Schaden angerichtet und wird die Aussichten für die Weltwirtschaft und insbesondere für Europa kurzfristig weiter trüben. Wie sich die Wirtschaft im nächsten Quartal entwickelt, wird erheblich davon abhängen, wie schnell eine Lösung des Konflikts gefunden wird und die Sanktionen aufgehoben werden.

Unterdessen haben sich alle Hoffnungen auf wieder sinkende Energiepreise und ein Abklingen der Lieferkettenprobleme zerschlagen. Alle diese Entwicklungen werden das Wachstum weiter bremsen und die ohnehin hohe Inflation zusätzlich anfachen. 

Für die politischen Entscheidungsträger und die Märkte stellt das eine extrem komplexe Gemengelage dar. Aus unserer Sicht haben die Marktteilnehmer die ganze Bandbreite der möglichen Entwicklungen noch nicht eingepreist. Das sollte weiterhin zu hohen Schwankungen an den Kapitalmärkten führen. Wir raten Anlegern daher zu flexiblen Strategien und dem Einsatz von Absicherungsinstrumenten, wo dies sinnvoll ist.

2.   Comeback der Volcker-Doktrin

Das zweite große Thema für die Märkte im nächsten Quartal und im weiteren Jahresverlauf ist die Herkulesaufgabe, die nun vor den Zentralbanken liegt. Sie müssen den steilen Anstieg der Preise infolge der neuen geopolitischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bremsen. Die drei großen Notenbanken der Industrieländer sind daher auf einen restriktiven geldpolitischen Kurs umgeschwenkt. In den USA beruft sich die Federal Reserve auf die Politik ihres früheren Vorsitzenden Paul A. Volcker, der die galoppierende Inflation in den 1980er Jahren zähmte. Den Startschuss für ihren Kurswechsel gab die amerikanische Zentralbank bei der Sitzung des Offenmarktausschusses im März. Wir erwarten, dass die Fed anfänglich stark an der Zinsschraube drehen und die EZB ihre restriktive Tonlage beibehalten wird. Aber der durch den Krieg verursachte Wachstumsschock und die für einen Schuldenabbau weiter erforderlichen negativen Realzinsen dürften dafür sorgen, dass die Währungshüter ab der Jahresmitte wieder eine gemäßigtere Haltung einnehmen werden.

All das könnte die Weichen für ein schwieriges Quartal für Risikoanlagen in den Industrieländern stellen. Dort sollten sich Anleger auf eine sehr wahrscheinliche Stagflation einstellen. Eine vorsichtige Herangehensweise an Risikoanlagen wie Aktien ist daher in der aktuellen Phase von zentraler Bedeutung.

 

3.   Umfeld begünstigt Outperformance chinesischer Vermögenswerte – aber das hier ist nicht 2008

Anlagen in China könnten sich gut zur Diversifizierung eignen. Das Land ist geografisch und wirtschaftlich weiter vom Krisenherd entfernt, es könnte seine Geld- und Fiskalpolitik noch weiter lockern und die Bewertungen sind attraktiver als an vielen anderen Märkten.

Zugleich bleiben große Unwägbarkeiten. Das weitere Vorgehen hinsichtlich der Corona-Pandemie sowie Chinas Positionierung im Krieg stellen weiterhin Risikofaktoren dar. Peking konzentriert sich darüber hinaus auf den Schuldenabbau, die Reform des Immobiliensektors und ein nachhaltiges Wachstum. Deshalb sind die Aussichten nun nicht mehr ganz so rosig wie während der Finanzkrise 2008. Jedenfalls erwarten wir nicht, dass China wie damals die „Absicherung nach unten“ übernehmen und die Weltwirtschaft vom Stagflationskurs abbringen wird.

 

Zentrale Anlagethemen und ihre Folgen für die wichtigsten Anlageklassen

Multi Asset

Wegen der kurzzeitigen Ungewissheit rund um das Weltwirtschaftswachstum haben wir Unternehmensanleihen und Aktien inzwischen taktisch untergewichtet. Besonders zurückhaltend sind wir gegenüber Aktien aus Europa und dem Euro, denn auf dem alten Kontinent ist die Gefahr einer Rezession groß, sofern es weitere Engpässe oder Störungen bei Energielieferungen geben sollte.

Positiver schätzen wir die Aussichten für Aktien aus Schwellenländern mit China sowie aus dem asiatisch-pazifischen Raum (ohne Japan) ein. Auch für bestimmte Schwellenländerwährungen ist der Ausblick günstiger, da sie eine Möglichkeit der Diversifizierung bieten, und es Rückenwind für rohstoffexportierende Länder geben könnte. Außerdem haben wir den US-Dollar übergewichtet. Der Greenback dürfte zum einen vom Zinsgefälle profitieren, weil sich die Fed weiter auf die Inflation konzentriert, und zum anderen von seinem Status als sicherer Hafen, wenn sich die Lage verschlechtert.

Aktien

Wegen der wachsenden geopolitischen Spannungen und Stagflationsrisiken halten wir es für die beste Strategie, sich auf Qualitätsunternehmen statt auf die Sektorauswahl zu konzentrieren. Unternehmen mit Preissetzungsmacht, die ihre Margen schützen können, dürften sich im aktuellen Umfeld vergleichsweise gut entwickeln. Aktien sollten für Anleger eine gute Ertragsquelle bleiben, nachdem die Unternehmen ihre durch die Pandemie stark belasteten Bilanzen wieder gestärkt haben. Sie bieten ebenfalls einen besseren Inflationsschutz als andere Anlagen und sind bei weiterhin negativen Realrenditen attraktiv. Einschränkend sollte allerdings erwähnt werden, dass das längerfristige Renditepotenzial aktuell geringer ausfällt als in den vergangenen Jahren. 

Was die geografische Positionierung betrifft, sind wir gegenüber europäischen Aktien wegen der Gefahr einer Rezession zurückhaltend. Einige Schwellenländer könnten sich dagegen zur Diversifizierung anbieten, vor allem jene, denen die stark gestiegenen Rohstoffpreise zugutekommen. Bestimmte Aktiensegmente in China erscheinen günstig, aber die Volatilität ist sehr hoch, und Extremrisiken sind wahrscheinlicher geworden.

Anleihen

Die Stagflation ist gerade für Anleihen eine Herausforderung. Einige Festzinssegmente kommen jedoch aus unserer Sicht mit steigenden Zinsen und schwächerem Wachstum besser zurecht. Inflationsgeschützte Anleihen dürften sich nach wie vor relativ gut entwickeln, sofern die Inflationserwartungen steigen. Günstig ist auch unser Ausblick für auf Euro lautende Investment-Grade-Anleihen, was mit ihren defensiveren Eigenschaften und attraktiveren Bewertungen zu tun hat.

Für Staatsanleihen ist das Bild gemischt. Bei den Nominalrenditen sehen wir wegen der Zurückhaltung bei Refinanzierungen, geldpolitischer Maßnahmen und der Nachfrage nach sicheren Anlagen nur begrenztes Aufwärtspotenzial. Aus unserer Sicht ist 2022 eher nicht mit Zinserhöhungen der EZB zu rechnen, auch wenn von ihr im März erneut restriktive Äußerungen zu hören waren. Wir sehen daher Wertpotenzial bei Staatsanleihen europäischer Kernländer. US Treasuries werden nach Rückschlägen immer wieder auch taktisch zur Absicherung von Portfolios verwendet. Trotz eines positiven Diversifizierungseffekts sind wir etwas vorsichtiger mit Blick auf chinesische Staatsanleihen. Dort gibt der Immobilienmarkt weiter Anlass zur Sorge, und mit anhaltenden Schwankungen ist zu rechnen.

Fazit

Insgesamt hat das Stagflationsrisiko mit dem Krieg in der Ukraine zugenommen, der den Wachstumsmotor weltweit und insbesondere in Europa ins Stocken bringt. Hinzu kommen Unsicherheiten, was die Dauer des Krieges und Lösungen zu seiner Beilegung anbelangt. Der Konflikt facht den Inflationsdruck an und stellt damit die politischen Entscheidungsträger vor noch größere Herausforderungen. Seit Jahresbeginn haben wir unsere Risikopositionen daher reduziert und konzentrieren uns auf Regionen, Sektoren und Anlageklassen, die in einem äußerst unsicheren Umfeld mit langsamerem Wachstum und steigender Inflation neben Erträgen auch eine gewisse Schutzwirkung entfalten können.

Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity International

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