Das Jahr 2023 wird für die Immobilienmärkte herausfordernd werden. Dabei könnten sich allerdings auch Chancen für Investoren ergeben – denn die Anlageklasse steht vor einer Neubewertung.
Der Reihe nach: Im Zuge der höheren Kreditzinsen ist in der ersten Hälfte des Jahres 2023 keine Erholung in Sicht. Die privaten Kapitalmärkte, die einen bedeutsamen Teil des Immobilienmarktes ausmachen, sind derzeit deutlich weniger liquide als ihre öffentlichen Pendants. Zudem hinkt die Preisentwicklung hier den anderen Anlageklassen hinterher. Daher gehen wir davon aus, dass in den ersten beiden Quartalen 2023 die Preise am Immobilienmarkt weiter zurückgehen. Zugleich bietet gerade diese Zeit Käufern die größte Verhandlungsmacht.
Unterm Strich werden die Renditen weiter steigen und die härteren finanziellen Bedingungen widerspiegeln. Wir erwarten aber keinen Abwärtszyklus auf dem Markt wie in den 1990er-Jahren, auch werden die Preise unserer Einschätzung nach nicht auf die Tiefstände der globalen Finanzkrise sinken. Dafür gibt es immer noch zu viele Käufer für Immobilien. Da Anlagen in Private Markets zugleich zu einem wichtigen Bestandteil vieler gut diversifizierter Portfolios geworden sind, ist es unwahrscheinlich, dass es zu einem umfassenden Kapitalabzug aus diesem Bereich kommt.
Europäische Immobilien werden neu bewertet, nachdem sich die Renditeunterschiede schneller als erwartet annähern
Wir gehen vielmehr davon aus, dass der Abwärtszyklus bei den Preisen relativ kurz sein wird. Sobald sich das Zinsniveau stabilisiert, werden sich die meisten Bewertungen wieder anpassen, voraussichtlich bis Mitte des Jahres 2023. Wenn sich der Markt der Talsohle nähert, werden sich für Anleger, die langfristig Kapital einsetzen wollen, interessante Möglichkeiten zum Einstieg ergeben.
Rückkehr zu einer rationalen Preisgestaltung
In der Tat dürfte es 2023 zu einer grundlegenden Verbesserung der Konditionen im Immobilienmarkt kommen. Nach einer langen Niedrigzinsphase, in der viele Immobilien scheinbar unabhängig von ihrer Qualität die gleiche Standardrendite boten, kehren wir nun zu einer rationalen Preisgestaltung zurück. Dies schafft Potenzial für differenziertere Renditen zwischen Sektoren, Immobilienarten und Standorten, die aktive Immobilieninvestoren nutzen können.
Nachhaltigkeitsprämien werden zunehmen
Der größte Unterschied könnte sich dabei zwischen nachhaltigen und nicht nachhaltigen Gebäuden ergeben. Die Energieeffizienz eines Gebäudes ist nicht nur wichtiger geworden, weil die Energiekosten gestiegen sind, sondern auch, weil die Nachhaltigkeitsstandards mit der zunehmenden Regulierung immer strenger werden. Der Anforderungskatalog reicht vom Energieeffizienzausweis bis zur EU-Offenlegungsverordnung, die auch Immobilienentwickler dazu verpflichtet, Klima- und Umweltrisiken präzise zu bewerten. Das bringt vor allem in Europa enorme Chancen für diejenigen mit, die sich an die Spitze der Veränderungen stellen, und birgt umgekehrt Risiken für diejenigen, die mit überholten Geschäftsmodellen aus der Vergangenheit den Anschluss verlieren.
Einige Gebäude werden auf der Strecke bleiben, da Eigentümer sie nicht mehr vermieten können, wenn sie nicht den Mindeststandards entsprechen. Dies wird nicht nur den sogenannten "braunen" Rabatt für nicht konforme Gebäude erhöhen, sondern auch den Spielraum für besonders nachhaltige Gebäude auf dem Markt vergrößern. Hier lassen sich hohe grüne Prämien erzielen, zumal die Gebäude mit den besten Referenzen knapp sind.
Neil Cable, European Head of Real Estate bei Fidelity International