„Die Stimmung am Markt hellt sich auf. Eine sanfte konjunkturelle Landung ist zwar wahrscheinlich, aber nicht sicher. Denn in den USA hält sich die Inflation hartnäckiger als erwartet. Chinas Fokus liegt derweil auf wirtschaftlicher Stabilisierung.
Das Wichtigste in Kürze:
- Eine sanfte konjunkturelle Landung ist unser Basisszenario für die USA und Europa und würde den Weg für Zinssenkungen ebnen.
- Eine Mischung aus stabilen Wirtschaftsdaten und zäher Inflation erschwert die Arbeit der US-Notenbank. Käme es zum „No-Landing“-Szenario ohne konjunkturelle Abschwächung, wären weitere moderate Zinserhöhungen denkbar.
- China setzt auf kontrollierte Stabilisierung statt auf schnelles Wachstum. Damit verlagert sich der Schwerpunkt: weg von der schuldenfinanzierten Expansion des Immobiliensektors, hin zu Konsum und Fertigungsindustrie als Motoren des Wirtschaftswachstums.
- In den USA könnte sich die Rezession ins nächste Jahr verschieben. Entfällt dort die großzügige fiskalische Unterstützung, werden viele Unternehmen 2025 mit Fälligkeiten und Refinanzierungen zu kämpfen haben.
An den Märkten macht sich zunehmend Optimismus breit. Auch unsere Prognose für 2024 hat sich seit Jahresbeginn aufgehellt. Wir denken weiterhin in Szenarien und verfolgen die Entwicklungen anhand der wichtigsten Wirtschaftsindikatoren sowie der Einschätzungen unserer Analystinnen und Analysten. Eine sanfte konjunkturelle Landung ist unser Basisszenario. Das bedeutet, dass sich das Wirtschaftswachstum auf oder knapp unter dem langjährigen Durchschnitt einpendeln würde. In diesem makroökonomischen Umfeld hätten die Zentralbanken Handlungsspielraum, um bis zum Jahresende das Inflationsproblem zu lösen.
Fallende Inflation könnte das Ende des Zinserhöhungszyklus einläuten
Gestrichelte Linie zeigt die vom Markt implizierten Zielzinssätze der Fed.Quelle: Bloomberg, Haver Analytics, Februar 2024.
Zinsentwicklung als Schlüsselfaktor
Die Zinspolitik der Zentralbanken wird für das zweite Quartal entscheidend sein. Sollte es zu Zinssenkungen kommen, könnte Europa bei Lockerungen schneller handeln als andere Regionen – unterstützt durch erste positive Signale, besonders im Dienstleistungssektor. Zudem stärkt eine sinkende Inflation das Verbrauchervertrauen. Die Europäische Zentralbank hat sogar Zinssenkungen für kommenden Juni signalisiert.
In den USA ist die Lage komplexer. Die Mischung aus starken Wirtschaftsdaten und hartnäckiger Inflation bringt die US-Notenbank in ein Dilemma. Vorschnelles Handeln könnte sie ihre Glaubwürdigkeit kosten und Inflationserwartungen verzerren. Die Fortsetzung des bisherigen Zinskurses könnte jedoch in eine Rezession führen. Wir haben die Wahrscheinlichkeit für ein „No-Landing“-Szenario von fünf Prozent zu Jahresbeginn auf 30 Prozent angehoben. In diesem Fall würden Wachstum und Inflation auf dem jetzigen Niveau stagnieren, was Zentralbanken letztendlich zu weiteren, allerdings sehr vorsichtigen Zinserhöhungen bewegen könnte.
Asien: Stabilität vor Wachstum
Chinas Wirtschaft verlagert sich weg vom Immobiliensektor
Trotz des angeschlagenen Immobiliensektors steuert China auf eine kontrollierte Stabilisierung der Wirtschaft zu. Der Fokus verschiebt sich von einer schuldenfinanzierten Expansion hin zu Konsum und Fertigungsindustrie als Wachstumsmotoren. Aufgrund mangelnder fiskalpolitischer Unterstützung liegt unsere jährliche Wachstumsprognose leicht unter dem offiziellen Ziel. Auf monetärer Ebene erwarten wir keine signifikanten Zinssenkungen, solange die US-Notenbank keine klare Kursänderung einschlägt. Die steigenden Aktivitäten in Chinas Dienstleistungs- und Industriesektoren könnten frühe Anzeichen des Aufschwungs bedeuten.
Japans neue Zins-Ära
Nach zwei Jahrzehnten der Stagnation nimmt Japans Wirtschaft wieder Fahrt auf. Auf Preissteigerungen reagierte die Bank of Japan zuletzt mit Zinserhöhungen, um das Inflationsziel von zwei Prozent zu erreichen. Zu rasche Erhöhungen könnten jedoch das Wachstum bremsen. Nach erfolgreichen Lohnverhandlungen der Industriegewerkschaften zeichnet sich ein Lohn-Preis-Zyklus ab, der dauerhaft höhere Leitzinsen bewirken könnte. Im Zuge der Reflation erwarten wir Kapitalzuflüsse in Japans Finanz- und Immobilienmärkte von in- und ausländischen Investor:innen.
ASEAN-Regionen bleiben auf Kurs
Südostasiens Wachstum wird durch robusten Binnenkonsum getragen, doch die Exporte leiden unter der unsicheren globalen Nachfrage. Produktionsrückverlagerungen aus China könnten Abhilfe schaffen, wobei Länder wie Vietnam, Malaysia, Indonesien und Thailand von der „China plus eins“-Strategie globaler Unternehmen profitieren dürften. Wir gehen davon aus, dass die ASEAN-Region auf einem guten Weg ist, eine jährliche Wachstumsrate leicht über dem Vorjahreswert von 4,3 Prozent zu erreichen. Inwiefern Indiens Wachstumsmomentum anhält, wird in diesem Jahr auch vom Ausgang der Parlamentswahlen abhängen und davon, ob es den politischen Entscheidungsträgern gelingt, die Inflation unter Kontrolle zu halten.
Risiken auf dem Radar
Unser Blick auf das Jahr ist optimistisch, doch es gibt Risiken. Die Rezession ist womöglich nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Nach der für 2024 erwarteten sanften Landung könnte sie im nächsten Jahr eintreten, denn die USA haben ihre Ausgaben finanziert, indem sie fast alle Reserven aus dem Reverse-Repo-Programm (RRP) der Fed aufgebraucht haben. Obwohl derzeit großzügige Fiskalmaßnahmen die US-Wirtschaft stützen, dürften Fälligkeiten und Refinanzierungen viele Unternehmen 2025 belasten. Ein „No-Landing“-Szenario ohne Abschwung aber mit zäher Inflation würde hingegen die Zahl an Zinssenkungen begrenzen und dürfte die positive Anleihe-Aktien-Korrelation aufrechterhalten, was wiederum eine gute Streuung in Portfolios erschwert.
Aufgrund hartnäckiger Inflation könnte positive Korrelation von Anleihen und Aktien hoch bleiben
Quelle der Grafik: Refinitiv, Fidelity International, Februar 2024. 12-Monats-rollierende Korrelation der täglichen Preisrenditen von MSCI World und ICE BofA Global Broad Market Indizes. Anmerkung: Ansichten spiegeln einen typischen Zeithorizont von 12–18 Monaten wider und bieten einen breiten Ausgangspunkt für Anlageallokationsentscheidungen. Sie reflektieren jedoch nicht die aktuellen Positionen für Anlagestrategien, die gemäß spezifischen Zielen und Parametern umgesetzt werden.
Auch geopolitische Risiken werden die Märkte beeinflussen. Das Jahr 2024 ist ein Superwahljahr: Fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Ländern, in denen gewählt wird – zum Beispiel in den USA. Zusammen mit den brodelnden globalen Konflikten ergibt sich eine komplexe Gemengelage, deren Auswirkungen nur schwer vorherzusagen sind.
Zu guter Letzt beobachten wir die Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI). Ein Produktivitätsschub, den unsere Analystinnen und Analysten in den von ihnen beobachteten Unternehmen feststellen, ist zum Teil auf KI zurückzuführen. Während einige Firmen profitieren, müssen andere stark investieren, um nicht den Anschluss zu verpassen. Diese Entwicklung wird künftig Märkte und Wirtschaft prägen.
Fazit
Die Anzeichen einer sanften konjunkturellen Landung verdichten sich. Die Hartnäckigkeit der US-Inflation hat inzwischen aber auch ein „No-Landing“-Szenario ohne Konjunkturabschwächung wahrscheinlicher gemacht. Die Zentralbanken – insbesondere die Fed – werden unter besonderer Beobachtung stehen. Die letzte Etappe des Inflationskampfs verspricht, die härteste zu werden. Dieses Quartal könnte zeigen, welche Kraftreserven die Währungshüter noch zur Verfügung haben.“
Von Andrew McCaffery, Global CIO bei Fidelity International