Japan beheimatet die ältesten Unternehmen der Welt und weist zudem die höchste Konzentration an großen Familienunternehmen rund um den Globus auf. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert wurde ein Drittel aller börsennotierten Unternehmen Nippons in der ein oder anderen Weise von Familien geführt.[1] Daran hat sich bis heute nichts geändert. Dass in Japan so viele Unternehmen in Familienbesitz sind, lässt sich dadurch erklären, dass seine Industrialisierung noch nicht sehr lange zurückliegt. In diesem Fahrwasser entstand einerseits eine von Familienunternehmen getragene Industrie- und Dienstleistungsinfrastruktur, die eine enge Symbiose mit staatsnahen Unternehmen einging. Durch diese Struktur wurde das Land in die wirtschaftliche Moderne katapultiert. Andererseits ist Japans Wirtschaftswunder der 1970er Jahre noch so jung, dass viele Firmengründer aus dieser Zeit nach wie vor am Ruder sind. Diesen Unternehmen sollten Anleger besondere Aufmerksamkeit schenken – vielleicht mehr, als sie es derzeit tun. Weltweit beobachten wir viele Firmen im Mehrheitsbesitz oder unter der Kontrolle von Familien, die besonderen Wert auf eine hohe Übereinstimmung mit den Interessen ihrer Aktionäre legen. In unserem Japan-Portfolio sind solche Anlageideen stark vertreten. Sie machen etwa ein Drittel unserer Bestände aus und tragen erheblich zur langfristigen Performance des Fonds bei. Beispiele sind unter anderem Fast Retailing, Hikari Tsushin, Nidec, Keyence, Softbank, Pan Pacific, Nihon M&A, Hoya, Obic, Zozo, Peptidream, Kobe Bussan und Sushiro.
Diese inzwischen etablierten Firmen zeichnen sich aus unserer Sicht durch eine Neugründer-Mentalität aus. Daraus resultieren eine starke Kapitaldisziplin und langfristige Denkweise, sowie die Suche nach einzigartigen Geschäftsmöglichkeiten. Sie sind im Grunde Start-ups, die lediglich etwas in die Jahre gekommen sind. Sie sprechen die Sprache der Aktionäre, weil sie von einem Großaktionär geführt werden. Da sie nicht nur ihr Vermögen, sondern auch ihr Herzblut einbringen, ist die Rendite sicherlich wichtig. Noch wichtiger aber ist für sie das langfristige Überleben. „ESG“- Ziele verfolgten sie schon lange bevor es darauf spezialisierte Anlageprodukte gab, denn sie erfüllen eine nachhaltige, gesellschaftliche Aufgabe.
Hoya
Ein Paradebeispiel ist Hoya Corporation, das seine Kernkompetenz in der Glasverarbeitung zu einer nahezu marktbeherrschenden Stellung bei Glassubstraten für Festplatten und Fotomasken für Halbleiter ausgebaut hat. Das in der Glasherstellung tätige Familienunternehmen wurde nach dem zweiten Weltkrieg durch die Zusammenarbeit beim Bau von Gebäuden für die amerikanische Besatzungsbehörde landesweit bekannt. Nicht nur seine Bereitschaft, das traditionelle Kristallwaren- und Kamerageschäft zu verkaufen, an dem viele andere japanische Unternehmen trotz Verlusten festhalten, spiegelt die Flexibilität und das schon fast unerbittliche Streben nach Rendite wider. Auch der Aufbau einer auf Kontaktlinsen spezialisierten Einzelhandelskette ist dafür ein gutes Beispiel. Diese profitiert zwar vom Renommee des Unternehmens in der Augenoptik, verkauft aber Linsen anderer Anbieter, weil das rentabler ist. Auf die Frage an Hiroshi Suzuki, Aktionär und langjähriger CEO von Hoya, welche Geschäftszweige er behält und warum, antwortet dieser lehrbuchhaft: „Das Unternehmen gehört nicht mir. Jedes Geschäft kann in die Jahre kommen, und wir müssen ständig darüber nachdenken, was wir verkaufen und was wir behalten.“ Die Worte stammen aus keinem Buch, sondern drücken vielmehr aus, wie Hiroshi Suzuki wirklich über die Schnittstellen des Unternehmens denkt.
Hikari Tsushin
Hikari Tsushin, einer der Marktführer bei Bürobedarf für Nippons eng verwobenes Netz von Kleinstunternehmen, verfolgt einen ähnlich nüchternen Ansatz, wenn es um Kapitaldisziplin geht. Sie ist die Domäne des Vorstandsvorsitzenden Yasumitsu Shigeta, der mit rund 52 Prozent die Aktienmehrheit hält. Ihren Ausdruck findet diese Herangehensweise vor allem in der Rendite nach Kundenakquisitionskosten. In den Geschäftsbereichen Telefonverträge, Wasserspender, Fotokopierer und Kundendatenbanksysteme verfügt das Unternehmen zudem über transparente Kennzahlen für den langfristigen Vertragswert, für Fluktuation und Ertrag. Ohne zu zögern beendet Hikari Tsushin renditeschwache Projekte wie den Weiterverkauf von Glasfaserverbindungen, bei dem die Regulierungsbehörde den Handlungsspielraum des Unternehmens massiv einschränkte. Zudem gibt man Fehler freimütig zu, wie die erfolglose Internet-Investition vor zwanzig Jahren oder die Entwicklung einer eigenen Lebensversicherungsagentur. Hikari Tsushin stellt unentwegt Kapital für die Gründung von Start-ups zur Verfügung und baut seine Beteiligung an diesen schrittweise aus. Darüber hinaus verfügt das Unternehmen über eine gut gefüllte Pipeline neuer und ertragreicher Projekte, mit denen es den sich wandelnden Anforderungen seiner Kunden Rechnung trägt.
Obic
Obic ist einer der führenden Anbieter von Unternehmenssoftware in Japan und das Pendant zum amerikanischen Oracle für japanische Kleinunternehmen. Seit der Gründung 1968 durch Masahiro Noda, der immer noch Vorstandsvorsitzender ist und ca. 23 Prozent der Aktien kontrolliert, hält Obic an seiner Firmenpolitik fest: keine Auslagerung von Geschäftsbereichen, keine Handelsvertreter und alle Führungskräfte werden selbst herangezogen. „Wir sind wie die Kinder unseres Vorstandsvorsitzenden“, sagen die Mitarbeiter von Obic. Das mag in westlichen Ohren seltsam klingen. Aber auf dieser Basis ist ein zuverlässiger Dienstleister für japanische Firmen entstanden, der mithilfe seiner führenden Software Lösungen für den Arbeitskräftemangel im Land bietet.
Nihon M&A Center
Ähnlich wie Obic liefert Nihon M&A Center unverzichtbare Dienstleistungen für kleine japanische Unternehmen. Das Nachfolgeberatungsunternehmen ist dabei von der Philosophie seiner Gründer Suguru Miyake und Yasuhiro Wakebayashi geprägt, die jeweils ca. 12 Prozent der Aktien halten. Nihon unterscheidet sich von Obic durch seine Offenheit gegenüber firmenfremden Talenten, hat aber mit Hikari Tsushin die kompromisslose Konzentration auf Kapitalrendite, Effizienz und Bruttogewinn pro Mitarbeiter gemeinsam – Eigenschaften, die man eher mit einem inhabergeführten Unternehmen verbinden würde. Erst kürzlich sprachen wir mit Suguru Miyake, der uns erklärte, dass er regelmäßig Aktien an Mitarbeiter verkauft, um sie so enger an das Unternehmen zu binden.
Permanente Start-ups
Dies sind nicht die verschlafenen, unflexiblen Unternehmen, die man – zugegebenermaßen wenig schmeichelhaft – aufgrund ihrer Eigentümerstruktur erwarten würde. Sie sind vielmehr effiziente Kapitalallokatoren und permanente Start-ups. Zudem sind sie sind Teil des Anlageuniversums, das naturgemäß Aufmerksamkeit erregt, nun da japanische Anleger nach zwei Jahrzehnten der Zurückhaltung an den heimischen Markt zurückkehren und wieder verstärkt in Japan-Aktien investieren. Comgest hat bereits 2007 seine Zelte im Land aufgeschlagen.
Von Richard Kaye, Portfoliomanager, Comgest Growth Japan
1] Von 1962-2000; Quelle: Financial Times, „How Japan’s family businesses use sons-in-law to bring in new blood“, (https://on.ft.com/2Xrvftc).