Das Sturmtief „Doris“ ist vorüber, neue Stürme könnten sich jedoch zusammenbrauen. Ist der Frühling dennoch in Sicht? So lautet bildlich gesprochen wohl die Frage der Anleger, nachdem der Reflationskurs Fahrt aufnimmt. Die wirtschaftlichen Aussichten sind zweifellos glänzend und die makroökonomischen Zahlen in den meisten wichtigen Regionen, darunter in Großbritannien, sind allgemein (und mitunter überraschend) solide. Die Inflation steigt, ist aber bislang nicht besorgniserregend. Das weltweite Gewinnwachstum ist zum ersten Mal seit Langem wieder positiv. Gleichzeitig sind Verbrauchervertrauen und Geschäftsklima auf Mehrjahreshochs gestiegen. Was aber ist mit diesen Stürmen?
Sie fegen genau wie die meiste Zeit der letzten zehn Jahre in Gestalt politischer Ereignisse über uns hinweg. Zunächst werden die Bürger in den Niederlanden am 15. März ein neues Parlament wählen. Die Umfragewerte sind zwar wechselhaft, dennoch wird die rechtspopulistische Freiheitspartei (PVV) unter Führung von Geert Wilders höchstwahrscheinlich die stärkste Kraft in den Niederlanden werden. Gleichwohl wird die PVV voraussichtlich nicht die Regierung übernehmen, da fast alle anderen Parteien eine Koalition mit ihr ablehnen. Andererseits könnte es für dieses kleine, aber zunehmend euroskeptische Land schwierig werden, eine Mehrheitsregierung aus anderen, kleineren Parteien zu bilden.
Sorge um Frankreich
Ende April sind dann die Franzosen aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen. Auch hier schwanken die Umfragen, deuten aber gleichzeitig darauf hin, dass die rechtspopulistische Front National unter Marine Le Pen die erste Runde für sich entscheiden wird. Bislang werden die Kampagnen einiger Kandidaten, unter anderem von Le Pen, von Streitigkeiten überschattet. Da im zweiten Wahlgang eine Stichwahl erforderlich ist, scheint ein Wahlsieg Le Pens unwahrscheinlich. Dennoch wächst in letzter Zeit die Sorge an den Märkten, wie die Ausweitung des Renditeabstands zwischen französischen und deutschen Anleihen belegt.
Geschürt wurde diese Sorge beispielsweise durch die Gefahr einer Koalition linksgerichteter Parteien. Das würde die Wähler im letzten Wahlgang nicht nur vor die Wahl zwischen zwei Euroskeptikern stellen, sondern auch Le Pens Chancen auf einen Wahlsieg erhöhen. Grund für die Nervosität der Anleger ist die Furcht vor den Auswirkungen eines Wahlsiegs von Le Pen. Ihre Pläne, unter anderem das geplante Referendum über die Zugehörigkeit zur EU, würden ernsthafte Fragen über die Zukunft der EU und des Euro aufwerfen und möglicherweise eine Umschuldung der französischen Staatsschulden auslösen.
Kann Trump seine Versprechen einhalten?
In Europa gibt es daneben selbstverständlich aber auch andere heikle Themen, die Kopfzerbrechen bereiten, wie Italien, Griechenland oder der Brexit. Viel wichtiger ist aber der Regierungswechsel in den USA unter dem neuen US-Präsidenten Trump. Obwohl die neue Regierung gerade erst die Geschäfte übernommen hat, sieht es nicht danach aus, als würde der Himmel in den ersten 100 Tagen voller Geigen hängen. Stattdessen besteht meines Erachtens die reale Gefahr einer dysfunktionalen Regierung. Und das nicht nur wegen Streitigkeiten in den eigenen Reihen und eines sprunghaften Präsidenten, sondern auch aufgrund der anhaltenden Passivität, des Widerstands anderer Interessengruppen, der bis hin zur Blockade geht. Hierzu zählen neben den Nachrichtendiensten und den Medien Bundesbehörden wie die Steuerbehörde IRS und die Umweltschutzbehörde. Das würde nicht nur die ehrgeizigen Haushalts-, Steuer-, Handels- und Regulierungs- bzw. Reformpläne ins Wanken bringen, die Anleger auf Anhieb begeistert haben. Es würde auch eine breite Öffentlichkeit frustrieren, deren Geduld zu Ende ist.
Stark aufgeheizte Stimmung
Als Supertramp ihr Album „Crisis? What Crisis“ unter anderem mit dem Titel „Soapbox Opera“ (Seifenoper) herausbrachte, war Gerald Ford US-Präsident. Der Wechselkurs des US-Dollar zum Pfund Sterling lag bei 2:1 und die US-Staatsschuldenquote (zum BIP) belief sich auf knapp über 30%, während der Goldpreis bei 150 US-Dollar notierte. Die Inflation stieg jedoch so rasant, dass die US-Notenbank Fed und ihr damaliger Präsident Paul Volcker gezwungen waren, die Zinsen massiv zu erhöhen.
Die Inflation ist derzeit zwar nach wie vor niedrig, die Stimmung ist jedoch stark aufgeheizt und die Menschen melden sich aggressiv zu Wort. Die populistischen Trends im Allgemeinen und die jüngsten Wahlergebnisse im Besonderen offenbaren eine Spaltung, die eine Bewahrung des Status quo unmöglich macht. So ist die aktive Teilnahme bislang gleichgültiger Wähler der beste Beweis dafür, dass die Menschen an Veränderungen glauben. Wirtschaftliche Reflation allein, nach dem guten alten Motto von Bill Clinton, wonach es auf die Wirtschaft ankommt (It’s the economy, stupid), dürfte nicht ausreichen. Und sei es nur, weil sie auf denselben Dogmen einer expansiven Fiskal- und Geldpolitik basiert, welche die Staatsschuldenquote auf das aktuelle Niveau von 105% beförderte und denjenigen, die die jüngsten politischen Veränderungen vorangetrieben haben, nichts genützt haben.
Einige Wirtschaftsfachleute und andere Experten führen an, die Wähler hätten nicht rational gehandelt. Einige wollen sogar Entscheidungen wie den Brexit rückgängig machen. Diese Leute haben nicht verstanden, worum es geht. In dieser Hinsicht trifft der Intro des Supertramp-Songs die Sache auf den Punkt. „I hear only what I want to hear; But, I have to believe in something; Have to believe just one thing”. Vielleicht hatte Obama letzten Endes Recht.
Patrick Schotanus, Global Investment Strategist, Kames Capital