„Ein holländischer Kollege hat mich vor Kurzem an den berühmten Witz des damaligen US-Finanzministers Connally von 1971 erinnert: „Der Dollar ist zwar unsere Währung, aber Ihr Problem.“ Umgemünzt auf 2018 könnte es heißen: „Der Ausverkauf findet zwar am Anleihenmarkt statt, macht aber vor allem dem Aktienmarkt Probleme.“ Was wäre aber das Problem des Anleihenmarktes? Zehnjährige US-Schatzanleihen haben seit Jahresanfang um 45 Bp zugelegt. Mit der aktuellen Rendite von 2,85 % für zehnjährige Treasuries dürften wir den Mittelwert der Prognosen für Ende 2018 bereits im Februar erreicht haben. Die Volatilität am Aktienmarkt hat keine Rally am Anleihenmarkt ausgelöst. Vielmehr hat der Ausverkauf am Anleihenmarkt den Ausverkauf am Aktienmarkt geschürt, wenn nicht sogar überhaupt erst ausgelöst.
Die wichtigste Meldung war selbstverständlich, dass die durchschnittlichen Gewinne in den USA mit 2,9 % den höchsten Stand seit 2010 markieren. Dadurch hat sich die Stimmung jedoch gefestigt. Die Anleihemärkte nahmen dies ihrerseits zum Anlass, für 2018 vier US-Zinserhöhungen von jeweils 25 Bp einzupreisen. Dieser Part liegt nun in der Hand von Jay Powell. Der wurde gleich am ersten Tag seiner Amtszeit angesichts des historischen Sturzes des Dow auf die Probe gestellt. Die Rückkehr zu einer aggressiveren Geldpolitik hat bewirkt, dass am Anleihenmarkt ein Zinszyklus eingepreist wird, der, anders als über weite Teile 2017 angenommen, alles andere als akkommodierend ist und vom Aktienmarkt lange nicht ernst genommen wurde. 2018 führt Aktienanlegern die Macht des Anleihenmarktes schlagartig wieder vor Augen.
An den wenig gefragten USD-Anleihemärkten winkt wieder solides Wertpotenzial. Zum ersten Mal seit 2008 sind zweijährige US-Schatzanleihen billiger als die Gesamtinflation in den USA, während fünfjährige US-Treasuries mit 2,6 % gleichauf mit dem US-BIP liegen. Gemessen an der Inflationsrate und dem BIP scheinen die europäischen Märkte zweifellos überbewertet. Aber die Europäische Zentralbank hält an den Anleihenmärkten das Zepter fest in der Hand. Die Anleihenmärkte auf dem alten Kontinent werden in den kommenden Monaten voraussichtlich wesentlich empfindlicher auf Äußerungen der EZB reagieren als 2017. Letztes Jahr hatten die Währungshüter nur selten Kursschwankungen ausgelöst, beispielsweise mit der Rede von Sintra.
Die Pessimisten werden sich an 1994 erinnern. Damals verdoppelten sich zweijährige US-Treasuries innerhalb des Jahres und warfen Ende 1994 eine Rendite von mehr als 7,5 % ab. Seit Anfang 2017 haben sich zweijährige Anleihen des US-Schatzamtes nahezu verdoppelt, auf aktuell 2,1 %. Der Unterschied ist, dass die Inflation 1994 dem aktuellen Niveau entspricht. Seit 1994 hat sich viel verändert. Damals wurde Amazon gegründet, Lehman ging es prächtig und das Gesamtvolumen von US-Schatzanleihen belief sich auf nur 5 Billionen USD. Die Staatsverschuldung in den USA hat sich inzwischen vervierfacht, was uns die Worte von Clintons Strategen James Carville von 1994 ins Gedächtnis ruft: „Wenn es eine Reinkarnation gibt, würde ich gerne als Anleihenmarkt wiedergeboren. Dann könnte ich alle und jeden einschüchtern.“
Stephen Jones, Co-Head Fixed Income, Kames Capital