Nach dem anfänglichen Brexit-Schock im Zuge des Referendums vor zwei Jahren haben sich britische Aktien wieder erholt und tendieren seither auf breiter Front fester. Dies ist jedoch vor dem Hintergrund der Haussephase an den globalen Aktienmärkten zu sehen, in welcher der britische Markt seit Mitte 2016 deutlich den Indizes anderer Industrieländer hinterherhinkt (s. Abbildung 1). Die Unsicherheit darüber, welche Zugeständnisse Großbritannien seinen Partnern (wenn überhaupt) bei den Verhandlungen über den EU-Austritt nächstes Jahr abringen kann, trübt nach wie vor die Stimmung für britische Aktien – obwohl die Gesellschaften im Großen und Ganzen solide Ergebnisse erwirtschaften. Stark steigende Erträge dürften in diesem Jahr zu einem zweistelligen Wachstum des Gewinns je Aktie führen. Daher gibt es nach wie vor zahlreiche Anlagechancen bei attraktiv bewerteten, erfolgreichen Unternehmen.
Solange der Ausgang der Brexit-Verhandlungen unklar bleibt, lässt sich kaum vorhersagen, welche Bereiche – positiv oder negativ – am meisten betroffen werden. Vermutlich werden aber die großen, multinationalen Konzerne den Übergang am besten bewältigen, ohne ihre Geschäftsmodelle radikal überdenken zu müssen. Die Aussichten für diese Unternehmen werden in den kommenden Monaten aller Voraussicht nach an die Wertentwicklung der globalen Aktienmärkte gebunden sein und davon abhängen, ob das günstige weltwirtschaftliche Wachstumsklima intakt bleibt.
Weniger scharf ist unterdessen das Bild für kleine und stärker auf den Binnenmarkt ausgerichtete Unternehmen, deren Aktien nach dem Brexit-Referendum zunächst ins Rutschen gerieten. Deren Ausblick ist angesichts des fragilen Verbrauchervertrauens und der verhaltenen Wachstumsprognosen unverändert trübe. Airbus warnte diese Woche, dass es im Falle eines harten Brexit möglicherweise seine Präsenz in Großbritannien überdenken werde. Das ist eine alarmierende Meldung für die rund 4.000 kleinen Zulieferer des Luft- und Raumfahrtriesen. Vorausgegangen war kürzlich die Warnung des Präsidenten der irischen Zentralbank, dass „einige Sektoren im verarbeitenden Gewerbe in Großbritannien möglicherweise untergehen werden“, falls die Briten die Zollunion verlassen.
Gleichwohl bieten diese Unternehmen langfristig interessante Anlagechancen. Veränderungen und Disruptionen gehen immer auch mit Chancen einher. Wenn die Bereitschaft europäischer Unternehmen sinkt, Geschäfte in Großbritannien zu tätigen, könnten dadurch Lücken entstehen, in die auf den Binnenmarkt fokussierte Unternehmen expandieren können. Firmen, die diese Trends erkennen und flexibel darauf reagieren, zählen in diesem Szenario zu den potenziellen Gewinnern.
Bis Klarheit über die Details des Brexit herrscht, wird es voraussichtlich noch einige Turbulenzen am britischen Aktienmarkt geben. So oder so wird Großbritannien auch nach seinem EU-Austritt eine große Volkswirtschaft bleiben, die heimischen Unternehmen genügend Raum bietet, um die von der Bevölkerung benötigten Waren und Dienstleistungen zu produzieren. Grobe Verallgemeinerungen über die Aussichten für bestimmte Branchen gehen möglicherweise am Kern der Sache vorbei. Anleger müssen vielmehr in der Lage sein, über die aktuellen Turbulenzen hinauszusehen, um solide, gut geführte Firmen zu entdecken, die weiter wachsen und die Märkte für ihre Produkte erweitern können – egal ob innerhalb oder außerhalb der EU.
Philip Haworth, Deputy Head of Equities, Kames Capital