Im September jährt sich die Pleite der US-Bank Lehman Brothers zum zehnten Mal. Wir sollten an diesem denkwürdigen Moment innehalten, um uns die damaligen Marktbedingungen vor Augen zu führen.
Als die globale Finanzkrise aus dem Ruder lief, war der „Moral Hazard“, d.h. das moralische Risiko, plötzlich in aller Munde, verbunden mit der Sorge, dass staatliche Rettungsaktionen unbeabsichtigte Bewertungsniveaus und andere Folgen heraufbeschwören würden. Nach der Rettung der britischen Hypothekenbank Northern Rock und der Notübernahme der US-Investmentbank Bear Stearns im März 2008 waren die Behörden ermüdet und das moralische Risiko wurde größer. Vor diesem Hintergrund brach Lehman zusammen, während Merrill Lynch gerettet wurde. Die Folgen der Pleite sind jedoch bis heute spürbar. Wir haben gelernt, mit einer neuen Generation des Moral Hazard zu leben und machen uns derzeit Sorgen über die Auswirkungen des Endes der quantitativen Lockerung.
Denn eins haben die Märkte gelernt: Wenn die Zentralbanken beschließen, dass sie „alles Notwendige tun werden“, haben sie eine größere Feuerkraft als die Märkte. Die Währungshüter müssen es selbstverständlich schaffen, diese Überzeugung an ihren eigenen Rentenmärkten zu vermitteln. Die Steuerung der Wechselkurse erwies sich aber als deutlich schwieriger, wie die Bank von England 1992 und die Schweizer Nationalbank 2015 feststellen mussten. Nun schenken Anleger den Zentralbanken große Aufmerksamkeit, da die Märkte die Drosselungen der Zentralbankmaßnahmen sehr zurückhaltend beurteilen. Die Märkte reagierten mit besonders heftigen Kursausschlägen auf jegliche Äußerungen der Notenbankchefs Bernanke, Draghi, Carney oder Kuroda, die für die Marktteilnehmer mit den bisherigen Stellungnahmen nicht in Einklang zu bringen waren.
Die gute Nachricht ist, dass die Zentralbanken schon lange ein breites Spektrum an Faktoren aufmerksam verfolgen. Dadurch sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sich 2008 wiederholt deutlich, zugleich wird eine künftige Abkühlung etwas gedämpft. Die schlechte Nachricht ist, dass viele Kommentatoren gebetsmühlenartig die nächste schwere Finanzkrise à la 2008 prophezeien. Wie wir von Northern Rock bis Lehman gesehen haben, führte ein verzweigtes Zusammenspiel von Ereignissen zum Kollaps. Das Gros dieser Probleme wurde in den letzten knapp zehn Jahren „ordentlich“ geregelt. Aber das hält die Kassandras nicht davon ab, einen unmittelbar bevorstehenden Kollaps an den Finanzmärkten oder eine ausgetrocknete Liquidität am Anleihemarkt zu prophezeien. Durch Regulierungen ist das ordentliche Kapital von Banken kräftig gestiegen. Außerdem herrscht die weiterverbreitete Meinung, dass sich die Niedrigzinsphase dadurch verlängert hat und die Fähigkeit der Banken beschnitten wurde, großzügig Kredite zu vergeben, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Die globale Disruption seit der globalen Finanzkrise manifestiert sich in vielerlei Hinsicht, wobei der Volksentscheid zum Vollgeld von Juni nur eine von vielen unerwarteten Folgen war.
Vor diesem Hintergrund ist große Aufmerksamkeit bei der Verwaltung von Portfolios mit Blick auf voraussichtliche Folgen statt absurder Prognosen geboten. In der Finanzkrise von 2008 die einzige Ursache des Populismus zu sehen, wäre nicht angemessen. Aber die Kombination aus skeptischen Stimmbürgern, harten Sparauflagen (Austerität) und Geldpolitik wird auch weiterhin die Entschlossenheit und Strategietreue aktiver Manager an allen wichtigen Rentenmärkten auf die Probe stellen.
Adrian Hull, Co-Head of Fixed Income, Kames Capital