Amazons Zahlen für das 4. Quartal wurden aktuell vom Markt mit Freude aufgenommen: Die Aktie stieg um fast 10%, während der Markt insgesamt von der Coronagrippe geschwächt wurde. Aber werden diese Zahlen reichen, um eine Billionen-Dollar-Marktkapitalisierung zu rechtfertigen? Hier sind Zweifel angebracht. Dennoch kann Amazon als ein Beispiel dienen, wie man erfolgreich expandiert. Bezos begann vor gerade einmal 25 Jahren in einer Garage in Seattle und war einer der vielen, die annahmen, dass das Internet den traditionellen, stationären Handel verändern werde. Er suchte nach einem marktfähigen Angebot, das er im Online-Verkauf von Büchern fand, mit einem erheblichen Preisnachlass gegenüber den festen Preisen der großen Buchhandelsketten. Die Kombination aus geringeren Preisen, der Lieferung nach Hause und einer ständig wachsenden Auswahl an Werken verlagerte einen immer größeren Teil des Buchhandels nach Seattle. Jedes Mal, wenn Amazon ankündigte, in einen neuen Markt einzusteigen (Online-Verkauf von Medikamenten, Einstieg in den Einzelhandel durch den Kauf der Supermarktkette Whole Foods usw.), fielen die Aktienkurse der bestehenden Sektorspezialisten erheblich. Und diese Angst geht über den Einzelhandel hinaus: Amazon hat den gleichen Preiskampf im Cloud-Sektor ausgelöst, nachdem es seinen eigenen Cloud-Service (AWS) gestartet hatte. Keine so schlechte Idee, wenn man bedenkt, dass Amazon weltweit schätzungsweise 500.000 Server nutzt und somit auch selbst eine gewisse Kaufkraft besitzt, um dieses Geschäft zu betreiben.
Nun wird auf dem Markt viel über die Alterung als Grund für die niedrige Inflation diskutiert, die wir in den letzten zwei Jahrzehnten erlebt haben. Aus unserer Sicht hat dies jedoch viel mehr mit dem Amazon-Effekt zu tun als mit einem durch die alternde Gesellschaft verursachten Sparschock nach oben. 20 Jahre später sehen wir zur Freude der Verbraucher in den westlichen Ländern eine permanente Deflation der Waren. Das Internet hat die Gewinnspannen im Einzelhandel für nicht verderbliche Waren so stark gedrückt, dass viele Einzelhändler, die ihre Kunden seit Jahrzehnten oder länger bedienen, um ihr Überleben kämpfen. Wird sich diese Tendenz in nächster Zeit wieder verändern? Es sieht sehr unwahrscheinlich aus, dass eine wachsende Zahl von Sektoren diesem Druck standhalten kann. Das Endergebnis wird möglicherweise darin bestehen, dass mehr Hersteller beginnen, direkt an ihre Endkunden zu vertreiben und versuchen den teuren Vertriebsweg im Einzelhandel zu überspringen. Zu den Apple-Stores werden sich mehr Luxusgüterhersteller für den Endverbraucher gesellen. Diese werden ebenfalls den gesamten Vertriebskanal von der Produktion bis zum Verkauf an den Endverbraucher kontrollieren wollen, um ihre Gewinnspannen auf einem hohen Niveau zu halten. Tesla hat Läden eröffnet und die meisten davon wieder geschlossen. Ich kann mir dennoch vorstellen, dass andere globale Autokonzerne sich letztlich dafür entscheiden, ihren gesamten Vertriebsmaßnahmen zu kontrollieren – mit einer Mischung aus Internet-Verkauf und örtlichem Kundendienst.
Im Finanzsektor haben wir mit dem Eintritt passiver Fonds eine ähnliche Bedrohung erlebt. Kunden mögen sicherlich die einfach zu handhabenden ETFs und andere preiswerte passive Anlageinstrumente. Dieser Trend wird nicht plötzlich verschwinden: Kunden (sowohl professionelle als auch Retail-Kunden) werden günstige und bequeme Produkte zur Anlage ihrer Ersparnisse nachfragen. Sie interessieren sich nicht für die steigenden Kosten für die Einhaltung der Vorschriften und erwarten eine Bereitstellung noch am selben Tag, genau wie bei Amazon. Die Finanzdienstleistungsbranche wird ihr Geschäftsmodell anpassen müssen, um spezialisierte Produkte zu schaffen und zu verwalten. Sie wird sich aber auch daran gewöhnen müssen, eine Vielzahl von Vermögenswerten für geringere Gebühren zu verwalten.
Hendrik Tuch, Head of Fixed Income bei Aegon Asset Management