"Zinssätze und Renditekurven haben in den letzten Wochen eine ziemliche Volatilität erfahren, während die Märkte die Wahlnachrichten und Corona-Schlagzeilen verdaut haben. Im Vorfeld der US-Wahlen hatten sich viele Anleger für eine „Blue Wave“ der Demokraten positioniert, da sie nach den Wahlen ein beträchtliches Finanzpaket und eine dauerhafte Erhöhung der Staatsausgaben erwarteten. Als Folge dieser Politik rechneten sie mit einem weiteren Anstieg der US-Renditen, insbesondere am langen Ende der Kurve und erwarteten zudem eine Underperformance des US-Anleihenmarktes gegenüber anderen Märkten.
Ein Auf und Ab der Märkte durch die US-Wahl und den Impfstoff
Unmittelbar nach der Veröffentlichung der ersten Wahlergebnisse war klar, dass die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios deutlich geringer war als die Umfragen vermuten ließen. Infolgedessen fielen die US-Renditen und viele der Blue-Wave-Trades wurden abgewickelt. So fiel beispielsweise die Rendite 30-jähriger US-Staatsanleihen am Tag nach den Wahlen von 1,7 % auf 1,5 %, was für solche langlaufenden Anleihen an einem einzigen Tag eine beachtliche Rendite von 5 % ergab. Die Aktienmärkte nahmen ihre Rallye nach der Wahl wieder auf, da sie durch die geringere Wahrscheinlichkeit von Körperschaftssteuererhöhungen und die Aussicht auf weniger zusätzliche Regulierung getröstet wurden. Am Ende der Wahlwoche ersichtlich, dass die Nachzählungen nicht von langer Dauer sein würden, was die Märkte für festverzinsliche Wertpapiere schwächte.
Nach all dem hektischen Trading rund um die Wahlen schienen die Märkte für festverzinsliche Wertpapiere sich zu stabilisieren, ausgewogen zwischen den steigenden Fällen des Coronavirus und der anhaltend positiven Risikostimmung. Doch vergangene Woche löste die Ankündigung von Pfizer über ihren erfolgreichen Corona-Impfstofftest einen weiteren großen Einbruch an den Rentenmärkten aus. Diesmal war der europäische Anleihenmarkt am stärksten betroffen, da die Rendite der deutschen 30-jährigen Anleihen innerhalb von 24 Stunden um fast 20 Basispunkte anstieg. Das führte zu einem Ein-Tages-Verlust von etwa 4% bei diesen Anleihen mit langer Laufzeit. Bei all dieser Volatilität an den Anleihemärkten könnte man meinen, dass die Zentralbanken im Begriff sind, ihren geldpolitischen Kurs drastisch zu ändern.
Oktober-Rallye der europäischen Staatsanleihen hat sich vollständig umgekehrt
Bislang übertrafen die jüngsten Änderungen der Zentralbankpolitik im Allgemeinen die Erwartungen des Marktes. Die Sitzungen der EZB und der Fed führten nicht zu einer Änderung der Politik. Beide Zentralbanken verwiesen auf ihre Sitzungen im Dezember, bei denen sie die aktuelle Politik neu bewerten würden. Als die Covid-19-Fallzahlen in den letzten Monaten in ganz Europa wieder anstiegen und neue Sperrmaßnahmen eingeführt wurden, stiegen auch die Erwartungen an die Dezembertagung der EZB stetig an.
Infolgedessen fiel die Rendite deutscher Staatsanleihen mit 10-jähriger Laufzeit im Oktober unter minus 60 Basispunkte - den niedrigsten Stand seit März, während die Spreads italienischer Staatsanleihen weiter zurückgingen. Seit der Ankündigung von Pfizer hat sich die Oktober-Rallye der europäischen Staatsanleihen trotz der wachsenden wirtschaftlichen Auswirkungen der Lockdowns vollständig umgekehrt. Die Sensibilität der Anleihemärkte gegenüber den Aktualisierungen über potenzielle Impfstoffe mag etwas extrem erscheinen, aber wir erkennen an, dass eine relativ rasche Einführung eines oder mehrerer Impfstoffe die Renditen am Markt für Staatsanleihen belasten wird. Bis jetzt erwarten die meisten Anleger, dass das Kaufprogramm der EZB im Jahr 2021 alle Ausgaben europäischer Staaten vollständig abdecken wird. Sollte die EZB im nächsten Jahr entscheiden, dass sich die wirtschaftlichen Aussichten ausreichend verbessert haben, um eine Reduzierung ihrer Käufe von Staatsanleihen zu ermöglichen, wird der Markt die verbleibenden, nicht von der EZB gedeckten Ausgaben auffangen müssen.
Renditen von Staatsanleihen können weiterhin in einer breiten Spanne gehandelt werden
Mehrere Vorstandsmitglieder der EZB haben sich bereits kürzlich zu den möglichen Auswirkungen erfolgreicher Coronavirus-Impfstoffe geäußert. Die wirtschaftliche Erholung sei noch sehr fragil und die positiven Auswirkungen von Massenimpfungen würde noch einige Zeit dauern. Zudem müssten die Regierungen die massive steuerliche Unterstützung fortsetzen, um längerfristigen wirtschaftlichen Schaden zu vermeiden. Die EZB wird ihre Geldpolitik fortsetzen und sogar erhöhen, um sicherzustellen, dass die Zinssätze niedrig bleiben und die Banken mit ausreichender Liquidität versorgt werden. Die bevorstehenden Ansprachen der Vorstandsmitglieder der US-Notenbank werden sich nicht wesentlich von ihren europäischen Amtskollegen unterscheiden. Die Fed hat mehrfach auf die Notwendigkeit weiterer finanzieller Unterstützung hingewiesen, wobei die Verzögerungen bei der Umsetzung solcher Maßnahmen die US-Wirtschaftszahlen noch eine ganze Weile belasten werden.
Wir gehen daher davon aus, dass weitere geldpolitische Anpassungen sowohl in Europa als auch in den USA bei ihren jeweiligen Sitzungen im Dezember angekündigt werden. Die Vertreter der Zentralbanken werden bei der Rücknahme der gegenwärtigen geldpolitischen Konjunkturmaßnahmen sehr vorsichtig vorgehen, da eine rasche Wende zu Spannungen auf den Finanzmärkten führen wird, die die wirtschaftliche Erholung beeinträchtigen können. Daher sind wir der Meinung, dass die Renditen von Staatsanleihen weiterhin in einer breiten Spanne gehandelt werden können, bis wir ausreichende Anzeichen für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Änderung der Geldpolitik sehen."
Hendrik Tuch, Head of Fixed Income bei Aegon Asset Management