Vor zwei Wochen veröffentlichte das Bureau of Labor Statistics die US-Inflationszahlen. Mit 1,4 % für die jährliche Gesamtinflation lagen sie leicht unter dem Erwartungswert und blieben damit im Wesentlichen unverändert gegenüber dem Vormonat. Dies steht im krassen Gegensatz zu den jüngsten Inflationszahlen für Deutschland und die EU, die Ende Januar veröffentlicht wurden. Die deutsche Jahresinflation stieg auf 1,6% (gegenüber 0,5% erwartet) und die europäische Kerninflation auf 1,4% (gegenüber 0,9% erwartet). Solche Inflationswerte liegen recht nahe an der Zielmarke der EZB. In früheren Zinszyklen hätten wir uns auf die ersten Anzeichen einer Straffung der Geldpolitik eingestellt. Es ist auch recht selten, dass die deutsche Inflation das US-Niveau übersteigt. In den letzten 25 Jahren lag die US-Inflation im Durchschnitt etwa 0,75 % höher als der deutsche Wert. Es wird also Zeit, einen genaueren Blick auf diese Zahlen zu werfen und zu prüfen, ob wir anfangen müssen, uns darüber Sorgen zu machen, ob die EZB oder die Fed ihre Unterstützung reduzieren wird.
Die US-Daten zeigen eine Wirtschaft, in der die Preissetzungsmacht des Dienstleistungssektors immer noch in der Flaute steckt. Das ist auch nicht anders zu erwarten, da ein Großteil des Dienstleistungs- und Tourismussektors geschlossen ist. Die Stabilität der Kerninflation wird auch durch den langsamen Anstieg der Wohnungsmieten begünstigt, und selbst der Anstieg der Studiengebühren ist sehr gedämpft. Die Gesamtinflation wird in den kommenden Monaten weiter ansteigen, vor allem aufgrund des steigenden Ölpreises und des schwächeren Dollars. Die Fed dürfte nicht mit der Wimper zucken, wenn sie einen Anstieg der Inflation in Richtung oder sogar über 2 % sieht. Powell und seine Kollegen haben deutlich gemacht, dass sie ein vorübergehendes Überschießen der Inflation zulassen werden, um die schwachen Inflationszahlen der vergangenen Jahre auszugleichen.
Darüber hinaus liegt der Fokus der Fed vor allem darauf, weitere Beschäftigungszuwächse zu erzielen, damit die Vorteile des Wirtschaftswachstums auf die gesamte US-Gesellschaft verteilt werden können. Die jüngste Rede von Powell bestätigt, dass die Fed bereit ist, die Wirtschaft "auf Hochtouren" zu bringen, um Vollbeschäftigung zu erreichen, die laut der Fed bei bis zu 3 % liegen könnte. Die Anleger haben auf diese Politik der Fed reagiert, indem sie ihre Erwartungen für die künftige Inflation in den letzten Quartalen nach oben geschraubt haben, wobei die implizite 30-Jahres-Inflation jetzt bei 2,4 % liegt, was dem Durchschnitt der letzten 10 Jahre entspricht. Die nominalen Renditen steigen auch am hinteren Ende der Kurve weiter an, wobei der 30-jährige Zinswert nun bei 2 % liegt.
Der plötzliche Anstieg der deutschen Inflationszahlen sollte keine Überraschung für den Markt gewesen sein. Der wichtigste Faktor, der dazu beigetragen hat, ist die Erhöhung der deutschen Mehrwertsteuer auf 19 % zu Beginn dieses Jahres, wodurch die vorübergehende Senkung von 3 %, die seit Juli 2020 galt, aufgehoben wurde. Ökonomen unterschätzten die Bereitschaft der Unternehmen, diese Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes sofort an die Verbraucher weiterzugeben. Ein weiterer Faktor, der die Inflation in die Höhe trieb, war die Einführung einer neuen Kohlenstoffsteuer in Deutschland, die die Energiepreise in die Höhe getrieben hat. Der dritte Faktor ist die jährliche Anpassung des von Eurostat zur Messung der Inflation verwendeten Warenkorbs, bei der die Ausgaben für Supermärkte ein stärkeres Gewicht erhielten und die Ausgaben für Dienstleistungen zurückgingen.
Andere europäische Länder verzeichneten im Januar ebenfalls einen starken Anstieg der Inflation, wobei ähnliche temporäre Faktoren zu diesem Anstieg beigetragen haben. In den vergangenen Monaten haben die Mitglieder des EZB-Direktoriums bereits davor gewarnt, dass die Inflationszahlen im Jahr 2021 in die Höhe schnellen würden, da sich die Faktoren, die die Inflation im vergangenen Jahr gedrückt haben, im Jahr 2021 umkehren würden. Sie stellten fest, dass die Kerninflation in den kommenden Jahren sehr verhalten ausfallen wird und dass die Geldpolitik sehr entgegenkommend ausgerichtet bleiben muss. Die EZB warnte sogar, dass eine weitere Zinssenkung immer noch nicht vom Tisch ist, da sie sich um die anhaltende Stärke des Euro sorgt. Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass die EZB aufgrund des jüngsten Anstiegs der Inflation nicht bereit ist, ihre Politik zu straffen.
Ähnlich wie in den USA beginnt also auch der europäische Anleihenmarkt, eine höhere erwartete Inflation einzupreisen, wenn auch auf einem viel niedrigeren Niveau mit einer impliziten 30-jährigen Inflationsrate von 1,6 %. Die europäischen Nominalzinskurven haben außerdem begonnen, steiler zu werden, was sicherlich durch die anhaltende Emission neuer langlaufender Staatsanleihen in den Anleihemärkten des Kerns und der Peripherie begünstigt wird. Der Trend steilerer Kurven und höherer Inflationserwartungen kann sich fortsetzen, solange die Risikostimmung am Markt positiv bleibt und die globale Impfkampagne beschleunigt wird.
Hendrik Tuch, Head of Fixed Income NL bei Aegon Asset Management