Die Märkte kennen zur Zeit nur noch Optimisten - diese begehen „Cherry Picking“

Aegon Asset Management | 22.02.2023 09:54 Uhr
Serdar Kucukakin, Senior Sovereign Research-Analyst bei Aegon Asset Management / © e-fundresearch / Aegon Asset Management
Serdar Kucukakin, Senior Sovereign Research-Analyst bei Aegon Asset Management / © e-fundresearch / Aegon Asset Management
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Die Märkte begehen „Cherry Picking oder Rosinenpickerei“, d. h. sie suchen sich das aus, was am besten zu einem positiven Ausblick passt. Meinungsverschiedenheiten über die wirtschaftliche Entwicklung sind normalerweise ein gutes Zeichen für ein ausgewogenes Gesamtbild. Unabhängig von der Phase des Konjunkturzyklus gibt es immer positive und negative Faktoren zu berücksichtigen. Betrachtet man jedoch die aktuelle Marktstimmung, so ist dieses Gleichgewicht verschwunden. Es gibt keine Pessimisten mehr, nur noch „normale Optimisten und "Superoptimisten".

Die „Superoptimisten“ glauben, dass insbesondere die Fed eine weiche Landung der Wirtschaft herbeiführen wird. Die Inflation wird ihrer Meinung nach deutlich zurückgehen, ohne die Wirtschaft in den negativen Bereich zu drücken. Dadurch würde der Anstieg der Zinssätze gestoppt werden, während Aktien einen Aufschwung erführen. Mit Blick auf das Jahr 2024 wird dies angeblich einen Rückenwind für die wirtschaftliche Wiederbelebung schaffen.

Die "normalen Optimisten“ räumen ein, dass es zwar eine harte Landung, d. h. Rezession, geben wird. Sie sind jedoch davon überzeugt, dass diese eher harmlos ausfällt. Diese "milde Rezession" wird sogar als willkommen angesehen, weil sie zu einer dringend benötigten Lockerung auf dem Arbeitsmarkt führt. Dieses Szenario ist zwar weniger positiv, aber immer noch ein einigermaßen wünschenswertes Ergebnis für die Märkte. In diesem Szenario würden Anlageklassen wie Aktien einen Rückschlag erleiden, allerdings nur einen leichten.

Beide Szenarien sind zwar durchaus möglich, aber nicht die einzigen. Die Diskussion über andere Szenarien scheint jedoch verschwunden zu sein. Es ist das erste Mal in meiner Investmentlaufbahn, dass ich andere Wirtschaftswissenschaftler abschätzig über eine bevorstehende Rezession sprechen höre. Ich habe sogar einen Kommentator enthusiastisch sagen hören: "Machen Sie sich keine Sorgen. Wir sind sehr gut aufgestellt, um mit der bevorstehenden milden Rezession fertig zu werden". Was ist zunächst einmal mild an einer Rezession, die nach dem Konsens der Eurozone ein ganzes Jahr andauern könnte? Die technische Definition einer Rezession liegt bei nur zwei Quartalen wirtschaftlicher Schrumpfung.

Wunschdenken

Wenn man sich die Daten ansieht, auf die sich Ökonomen und Märkte bei ihrer Entscheidungsfindung stützen, ist es leicht, Informationen herauszupicken, die ihre Vorurteile bestätigen. Nennen wir es "Cherry Picking oder Rosinenpicken". In den USA beispielsweise sind die PMIs für das verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor in den Bereich der Kontraktion gefallen. Dies ist ein klares Signal für die künftige wirtschaftliche Entwicklung. Gleichzeitig hat sich die Arbeitslosenquote jedoch nicht so negativ entwickelt und bleibt recht niedrig. Es ist zwar wahrscheinlich, dass sich der Arbeitsmarkt mit der Zeit entspannen wird, aber das ist noch nicht abzusehen.

Optimisten zufolge ist diese Lockerung notwendig und ein erwartetes Ergebnis der Zinserhöhung, die sich selbst korrigieren und so eine harte Landung vermeiden wird. Da es keine Anzeichen für eine Lockerung auf dem Arbeitsmarkt gibt, stützen BIP-Prognosemodelle wie das der Atlanta Fed diese Ansicht. Wenn man die Ergebnisse der Umfrage, des Arbeitsmarktes und des BIP-Modells nebeneinanderstellt, kann man das „Rosinenprinzip“ perfekt anwenden, denn jede dieser Ansichten ist nachvollziehbar.

Europa scheint in der Frage, ob es eine Rezession geben wird oder nicht, eindeutiger zu sein. Ja, es wird sie geben, so die einhellige Meinung. Aber je nachdem, was man betonen möchte, ist das Rosinenpicken immer noch möglich.

In Deutschland zum Beispiel war der deutliche Rückgang der Stimmungsindikatoren im vergangenen Jahr ein klares Vorzeichen für das, was in diesem Jahr zu erwarten ist. Der enorme Rückgang der Fabrikaufträge (-11 % gegenüber dem Vorjahr im November 2022) hat diese Einschätzung nur noch verstärkt. Die jüngste Entspannung bei den Stimmungsindikatoren hat jedoch dazu geführt, dass sich das Kirchturmdenken wieder eingeschlichen hat.

Realistisches Szenario

Bei der Betrachtung der grundlegenden Faktoren, welche die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Jahr bestimmen könnten, ist ein Schritt weg von den Daten und ein gewisses Maß an Realismus erforderlich. Die Inflation war im vergangenen Jahr höher als der Nominallohnanstieg, und das könnte auch in diesem Jahr so bleiben. Diese negative Wechselwirkung zwischen Lohnwachstum und Inflation ist ein eindeutiges Problem für die Kaufkraft der Verbraucher.

Die Verbraucherausgaben sind die wichtigste Stütze des Wirtschaftswachstums. Die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt spielt bestenfalls eine neutrale Rolle. Wenn der Arbeitsmarkt angespannt bleibt, wird er die Kaufkraftschwächung nicht verstärken. Wenn er sich aber lockert, wird er die Kaufkraftschwäche definitiv verschärfen. Es gibt eine weitere Entwicklung, die sich negativ auswirken wird. Die Zentralbanken haben die Zinsen bereits deutlich angehoben. Aber es wird noch mehr kommen. Selbst die größten Optimisten würden zustimmen, dass höhere Zinsen die Ausgaben von Verbrauchern und Unternehmen bremsen.

Hypothetisch gesehen könnte der Nominallohnanstieg in diesem Jahr die Inflation übersteigen und so den Kaufkraftverlust teilweise ausgleichen. Doch was würde in diesem Szenario passieren, wenn die zugrunde liegende Kerninflation in der Eurozone und den USA bereits auf einem hohen Niveau liegt? In diesem Fall wird das realistische Szenario sehr pessimistisch und die Volkswirtschaften galoppieren in die Stagflation. Das Problem mit der Aussage "Diesmal ist es anders" ist, dass es selten anders ist, wenn man in den Rückspiegel schaut. Wann haben wir das letzte Mal eine milde - oder gar keine - Rezession erlebt, obwohl die Kaufkraft der Verbraucher erheblich geschwunden ist, während die Zentralbanken die Zinsen aggressiv angehoben haben?

Von Serdar Kucukakin, Senior Sovereign Research-Analyst bei Aegon Asset Management

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