"In einem Teilbereich der Volkswirtschaftslehre, der Wachstumstheorie, beschäftigen sich Volkswirte mit der Fragestellung, wie verschiedene Inputfaktoren möglichst optimal kombiniert werden können. Inputfaktoren in den meisten wachstumstheoretischen Modellen sind zum Beispiel Arbeit und Kapital. Werden diese beiden Faktoren optimal miteinander kombiniert, so erzeugen sie auch einen optimalen Output. Fehlt einer dieser beiden Faktoren, so ist der Output nicht optimal und eine Anpassung wird notwendig, im Extremfall kann kein Output erzeugt werden.
Volkswirte, die sich mit Wachstumstheorie befassen, sprechen von der Konvergenz zweier Volkswirtschaften, wenn die volkswirtschaftliche Leistung, also zum Beispiel das BIP pro Kopf, zu einem ähnlichen Level konvergiert. Unterscheiden sich diese Level oder laufen diese sogar in die entgegengesetzte Richtung, so zeigt sich eine Divergenz der jeweiligen BIPs pro Kopf und der Wachstumsraten.
Im Februar habe ich meinen Kollegen und Senior Portfolio Manager Mikko Ripatti gebeten, die aktuelle wirtschaftliche Lage in Finnland zu beschreiben. Im Nordics - DNB Insights vom Februar 2016 wird die Lage Finnlands mit der Lage Deutschlands Ende der 90er Jahre verglichen. Überfällige Strukturreformen, ein starres Lohngefüge und mehrere asymmetrische Schocks, die auf die finnische Volkswirtschaft einwirken, sorgen aktuell für viele Herausforderungen in der derselben.
"Drei Monate nach der Analyse der Lage ist es noch zu früh um zu sagen wie die Finnen mit der Krise umgehen (...)"
Drei Monate nach der Analyse der Lage ist es noch zu früh um zu sagen wie die Finnen mit der Krise umgehen und welche der Lösungsansätze Erfolge bringen werden. Allerdings hat mich die Tatsache, dass die finnische Volkswirtschaft nach der Finanzkrise 2008/2009 nicht wieder auf den alten Wachstumspfad zurückgekehrt ist, zum Nachdenken über Konvergenz und Divergenz gebracht.
Die Europäische Union verfolgt mehrere Ziele, unter anderem die Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes, die Möglichkeit des freien Waren- und Personenverkehrs sowie die Sicherung des Friedens in Europa durch die wirtschaftliche Verflechtung. Neben der politischen Integration strebt die EU auch die wirtschaftliche Integration an. Durch die Einführung einer Gemeinschaftswährung hat man die wirtschaftliche Integration vor der politischen Integration vorangetrieben. Man war der Meinung, dass ein stark verflochtener und wirtschaftlich integrierter Staatenverbund keine Kriege untereinander führen wird. Diese Theorie ist bisher korrekt und ich glaube, dass dieser Verbund der europäischen Staaten bei einem Großteil der Bevölkerung gewünscht ist.
Neben diesen Zielen verfolgt die EU auch die Schaffung einheitlicher Lebensstandards sowie einheitlicher Regeln für alle Bürger der EU.
"Die aktuelle Situation Europas, eine ungelöste Schuldenkrise insbesondere im südlichen Teil sowie die Flüchtlingskrise halten Bürger sowie die Politik in Atem."
Dieser Weg ist jedoch ein weiter Weg und es wird noch lange dauern, bis man dieses Ziel erreicht hat. Die aktuelle Situation Europas, eine ungelöste Schuldenkrise insbesondere im südlichen Teil sowie die Flüchtlingskrise halten Bürger sowie die Politik in Atem. Eine Rückkehr nationaler Tendenzen sowie ein drohender Brexit im Juni 2016 könnten Vorboten neuer Probleme innerhalb der Union sein.
Wesentliches Merkmal der EU ist allerdings die einheitliche Währung sowie ein einheitliches, von der EZB vorgegebenes Zinsniveau. In einem voll integrierten Wirtschaftsraum ohne Handelsbarrieren macht das absolut Sinn. Auf den ersten Blick scheint die EU so zu funktionieren. Von außen betrachtet sieht man einen voll integrierten Wirtschaftsraum in dem Personen- und Warenfreizügigkeit herrscht, der Euro ist allgemeines Zahlungsmittel. Bedeutet das nun auch, dass die Lebensstandards zwangsläufig konvergieren, also ähnliche Level erreichen?
Voll entwickelte Volkswirtschaften erreichen im Laufe der Zeit einen bestimmten Wohlstand und ein hohes Level an Wirtschaftsleistung. Betrachtet man die Entwicklung der Wirtschaftsleistung eines Landes über einen langen Zeitraum, so kann man im Zeitverlauf abnehmende Wachstumsraten feststellen.
Diese Tatsache ist rein mathematisch begründet und auch logisch. Beginnend von einem niedrigen Level sorgt die richtige Kombination von Arbeit und Kapital für steigendes Wachstum, aber auch abnehmende Wachstumsraten. Volkswirte sprechen vom abnehmenden Grenznutzen zusätzlicher Inputfaktoren, das bedeutet, dass jede weitere Steigerung des Outputs durch Hinzufügen weiterer Inputfaktoren geringer ausfällt als die vorherige. Das macht Sinn, denn irgendwann erreichen Volkswirtschaften einen gewissen Sättigungsgrad, es gibt eine optimale Inputkombination und einen daraus resultierenden Output. Ein zusätzliches Merkmal einer voll entwickelten Volkswirtschaft ist die begrenzte Wachstumsfähigkeit. Zum einen sind die Grundbedürfnisse innerhalb des Systems voll befriedigt und einzelne Individuen treffen hinsichtlich ihrer Wahl zwischen einem zusätzlich verdienten Euro und Freizeit eine individuelle Entscheidung. Zum anderen sind aber auch die Faktoren Arbeit und Kapital begrenzt. Volkswirtschaften, die weiter wachsen wollen, müssen also ihre Inputfaktoren erhöhen oder verbessern, denn Wachstum ist auch über technologischen Fortschritt und Verbesserung der Effizienz möglich.
Das bedeutet, dass in einer globalisierten Welt die einzelnen Länder untereinander in einem Wettbewerb um Ressourcen und Inputfaktoren stehen. Erfolgreiche Volkswirtschaften mit einem Bedarf an Arbeit und Kapital ziehen eben diese Faktoren an, andere hingegen verlieren sie.
Was hat das alles mit Konvergenz und Divergenz zu tun? Wenn die Politik das Ziel der Konvergenz vorgibt und alles dafür tut, dieses Ziel zu erreichen, warum existieren dann noch keine einheitlichen Lebensstandards innerhalb großer Wirtschaftsräume?
"Erfolgreiche Regionen ziehen Inputfaktoren an, andere hingegen verlieren Inputfaktoren."
Die Frage ist einfach zu beantworten, die Ursachen liegen unter anderem im unbeschränkten Wandern von Arbeit und Kapital. Erfolgreiche Regionen ziehen Inputfaktoren an, andere hingegen verlieren Inputfaktoren. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang stellt sich immer wieder. Was können Länder wie zum Beispiel Finnland oder Griechenland tun, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten oder wieder zu verbessern? Wie im Insight vom Februar 2016 beschrieben kann Finnland seine Wettbewerbsfähigkeit aktuell nur über eine interne Abwertung wieder herstellen. Interne Abwertungen sind im Gegensatz zu externen Abwertungen jedoch schmerzhafte Prozesse, da die Individuen einer Volkswirtschaft immer direkt von den Maßnahmen betroffen sind. Diese Maßnahmen können zum Beispiel das Senken des Lohnes, die Verlängerung der Arbeitszeit oder sonstige Veränderungen sein.
In einem integrierten Wirtschaftsraum mit einer einheitlichen Währung ist eine externe Abwertung über den Wechselkurs jedoch nicht mehr möglich.
Die Gemeinschaftswährung wirkt für Länder wie Finnland oder Griechenland wie eine sehr schwer zu tragende Last, da die Bevölkerung direkt von der internen Abwertung betroffen ist. In der Vergangenheit konnte ein Teil der Wettbewerbsfähigkeit wieder hergestellt werden, indem die Währung eines Landes abgewertet wurde. Viele Länder sind diesen (einfachen) Weg gegangen.
"Investoren sollten ihr Kapital jedoch dort anlegen, wo Unternehmen sich Wettbewerbsvorteile durch Innovation verschaffen und nicht durch Währungsabwertungen."
Investoren sollten ihr Kapital jedoch dort anlegen, wo Unternehmen sich Wettbewerbsvorteile durch Innovation verschaffen und nicht durch Währungsabwertungen. Die Konvergenz zu einheitlichen pro Kopf Wirtschaftsleistungen wird auf lange Sicht eine Vision bleiben, eine einheitliche Währung wirkt momentan für einige Länder wie Fesseln, die nicht zu lösen sind. Die falschen politischen Annahmen und Versprechen einer Konvergenz verschiedener Wirtschaftsräume sollten für Anleger keine Rolle spielen. Investoren sollten in global operierende Unternehmen investieren und wenn möglich von unterbewerteten Währungen profitieren, wenn sie ihre Anlageentscheidung treffen. Ein Blick nach Schweden und Norwegen im Vergleich zu Finnland macht dies deutlich und zeigt, dass ein variabler Wechselkurs viele positive Nebeneffekte für Investoren haben kann."
Hagen-Holger Apel, CIIA
Dipl. Volkswirt
DNB Asset Management
Über den Autor: Hagen-Holger Apel ist seit Juli 2015 bei DNB Asset Management S.A. als Senior Portfolio Manager beschäftigt. Herr Apel ist Diplom-Volkswirt (LMU München) und Certified International Investment Analyst der DVFA Frankfurt. Er ist nahezu 10 Jahre am luxemburgischen Finanzplatz tätig und spricht Deutsch, Englisch und Schwedisch.