Dezember-Programm verpufft
"Im Dezember 2015 hatte die EZB ihr bisheriges Anleihe-Kaufprogramm auf 1,5 Billionen Euro ausgeweitet und die Laufzeit bis März 2017 verlängert. Jeden Monat werden damit Anleihen von Euro-Staaten im Gegenwert von 60 Milliarden Euro gekauft, was die die Konjunktur ankurbeln und die Inflationsrate anheizen sollte. Doch bislang zeigen die Maßnahmen nicht ihre gewünschte Wirkung: Die Inflationsrate von -0,2 Prozent im Februar verfehlt die von der Zentralbank angestrebte Maßgabe von zwei Prozent deutlich. Zudem sind die mittelfristigen Inflationserwartungen seit Jahresanfang weiter gesunken und haben sich damit weiter vom Inflationsziel der EZB entfernt.
Auch die Konjunktur in der Eurozone trübt sich ein: Zum einen schwächelt die globale Konjunktur angesichts einer abnehmenden Wachstumsdynamik in den USA und China. Zum anderen hat der handelsgewichtete Euro-Kurs seit Jahresanfang aufgewertet, was die Situation für exportorientierte Unternehmen in der Eurozone weiter verschärft. Ferner haben sich die Finanzierungskonditionen für Unternehmen der Eurozone im Jahresverlauf verschlechtert und die Risikoaufschläge der Staatsanleihen von Peripherie-Ländern (wie Portugal, Spanien und Griechenland) ausgeweitet, was die Kreditkosten der schon angeschlagenen Staaten verteuert.
Mehr Tauben als Falken
Diese Umstände und die im Vorfeld der Entscheidung bekanntgewordenen Stimmen von Ratsmitgliedern lassen auf eine hohe Bereitschaft der EZB für weitere Lockerungsmaßnahmen schließen. Hinzu kommt die Tatsache, dass nicht alle EZB-Ratsmitglieder in jeder Sitzung aufgrund des Rotationsprinzips stimmberechtigt sind. In der anstehenden Sitzung trifft dies vor allem auf Befürworter einer straffen Geldpolitik (sog. „Falken“) zu, deren Gruppe dadurch gegenüber den Vertretern einer weiteren Lockerung („Tauben“) zahlenmäßig geschwächt wird. Im Ergebnis wird auch durch die Zusammensetzung des Gremiums eine lockerere Zentralbankpolitik wahrscheinlich.
Insgesamt stehen der EZB eine Vielzahl Maßnahmen zur Verfügung, die in verschiedene Themenfelder gruppiert werden können.
Die wesentlichen Punkte sind:
1) Reduzierung des Einlagenzinses
2) Aufstockung des Anleiheankaufprogramms (Quantitative Easing / QE)
3) Technische Änderungen am Ankaufprogramm
4) Liquiditätsmaßnahmen
„Draghi-Trilogie“ ist sehr wahrscheinlich
Vor dem Hintergrund der beschriebenen Rahmenbedingungen ist eine Paketlösung wahrscheinlich. Wir rechnen damit, dass die EZB den negativen Einlagensatz um weitere 0,20 Prozentpunkte auf dann minus 0,5 Prozent senken wird. Gleichzeitig könnte die EZB das monatliche Anleihekaufprogramm von derzeit 60 Milliarden um weitere 10 bis 15 Milliarden Euro aufstocken und neue Langfrist-Tender auflegen.
Wichtig ist dabei das Zusammenspiel dieser drei Maßnahmen, gerade auch mit Blick auf die Situation der Geschäftsbanken in der Eurozone: Während der erstgenannte Schritt die Banken deutlich belasten würde, wirken die beiden letztgenannten Maßnahmen eher unterstützend. Die Minuszinsen zehren bislang nur an der Profitabilität der Banken, Mittel- bis langfristig könnten daraus aber Solvenzprobleme werden. Diesem Umstand wird die EZB durch die „Draghi-Trilogie“ Rechnung tragen.
"Für die Anleger entwickelt sich das aktuelle Marktumfeld am Euro-Rentenmarkt zunehmend zu einer gewollten Substanzbesteuerung durch die Zentralbank."
Indem die EZB die Zinsen und mittelbar auch die Anleiherenditen verstärkt in negatives Terrain treibt, verstärkt sie die damit verbundenen Verzerrungen im Finanzsektor.
Strategische institutionelle Investoren wie Versicherungen, Bausparkassen und Pensionskassen, die regulatorisch bedingt vornehmlich in Anleihen mit guter Bonität investieren müssen, können den negativen Zinsen und Renditen kaum noch ausweichen. Große Kassenbestände sind oftmals nur noch zu einem „Aufpreis“ bei Banken zu parken, und vergleichsweise sichere, kurzlaufende Staatsanleihen bringen dem Endanleger angesichts der aktuell herrschenden negativen Renditen einen sicheren Verlust, wenn diese bis zur Endfälligkeit gehalten werden.
Für die Anleger entwickelt sich das aktuelle Marktumfeld am Euro-Rentenmarkt damit zunehmend zu einer gewollten Substanzbesteuerung durch die Zentralbank. Aus geldpolitischer Sicht ist das der Kollateralschaden, den es in Kauf zu nehmen gilt, um die Volkswirtschaft der Eurozone vor einer säkularen Stagnation und Deflation zu schützen.
Die Zeit der einfachen Anlagelösungen am Rentenmarkt ist also zunehmend vorbei. Investoren müssen umdenken und sollten so viele Ertragspotentiale wie möglich für sich nutzbar machen. Mehr Risikobereitschaft, breitere Diversifizierung und ein aktiver Ansatz werden somit immer wichtiger."
Dr. Frank Engels, Leiter Rentenfondsmanagement, Union Investment