Das Paradoxe an diesem Duell: Aus Investorensicht ist es gar nicht so relevant, wer im Weißen Haus regiert. Denn obwohl sich die Programme der Kandidaten stark unterscheiden, spielt die Präsidentschaft für die Wirtschaftspolitik kaum eine Rolle. In Washington wird die Politik im Kongress gemacht.
"Aus Investorensicht ist es nicht so relevant, wer im Weißen Haus residiert. Auch der amerikanische Präsident braucht die Rückendeckung des Kongresses."
Auch „der mächtigste Mann der Welt“ braucht also Unterstützung im Parlament. Vor diesem Hintergrund gewinnt der Wahltag zusätzlich an Bedeutung: Es wird nämlich – neben der Nachfolge von Barack Obama – auch über ein Drittel des Senats und das gesamte Repräsentantenhaus abgestimmt. Das Entscheidungsgefüge der Supermacht wird also neu kalibriert. Womit ist zu rechnen?
- Trump-Effekt nur vorübergehend: Wir sehen nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für einen Wahlsieg von Donald Trump. Sollte er dennoch gewinnen, würden die Märkte vermutlich zunächst nervös reagieren. Aber auch eine Trump-Administration könnte nicht ohne den Kongress regieren. Insofern ist sehr fraglich, wie nachhaltig ein negativer Trump-Effekt am Kapitalmarkt wäre.
- Blockade droht: Weitaus wahrscheinlicher ist eine Fortsetzung des Status Quo – die Demokraten stellen die Präsidentin, die Republikaner dominieren zumindest eine Kammer im Kongress. Politischer Stillstand wäre das Resultat. Wir halten dieses Blockade-Szenario für das realistischste Ergebnis.
- Fiskalstreit nach Wahlzeit: Anfang 2017 kommt die US-Schuldenobergrenze wieder in Sichtweite. Bislang gibt es aber weder ein Budget für das laufende Fiskaljahr, noch wurde eine Anhebung der „debt ceiling“ debattiert. Endet der Super-Wahltag im Patt, rückt eine Neuauflage des Streits von 2015 auf die politische Agenda – und dürfte bald auch die Kapitalmärkte erreichen.
Angesichts des sich abzeichnenden Stillstands sind fiskalpolitische Impulse kein Thema. Auch die geplanten beziehungsweise bereits unterzeichneten Handelsabkommen (wie TTP oder TTIP) dürften von den Republikanern verhindert werden.
Für die Kapitalmärkte heißt das:
Auch wenn es angesichts der anstehenden Events in den kommenden Wochen noch Marktbewegungen in beide Richtungen geben dürfte: Längerfristig ist das Bild recht klar. Der Wachstumspfad in den USA bleibt flach. Für 2017 erwarten wir ein BIP-Plus von nur noch 1,1 Prozent. In diesem Umfeld wird die Federal Reserve (Fed) keine oder maximal eine kleine Leitzinserhöhung vornehmen. Für Staatsanleihen ist daher mit sinkenden Renditen zu rechnen. Zur Jahresmitte 2017 sollten 10-jährige US-Treasuries noch mit rund 1,5 Prozent rentieren. Im Ergebnis schrumpft der Zinsunterschied gegenüber dem Rest der Welt, was den US-Dollar schwächt. Wir erwarten daher zur Halbzeit 2017 einen Kurs von 1,15 US-Dollar je Euro. Für die amerikanischen Konzerne (und damit auch für US-Aktien und Unternehmensanleihen) ist ein billiger „Greenback“ gut, da die internationale Wettbewerbsfähigkeit steigt. Gleichzeitig sieht sich „Corporate America“ aber mit weniger Wachstum auf dem Heimatmarkt konfrontiert. Hier wird es also auf die Unterscheidung zwischen einzelnen Branchen und Unternehmen ankommen.
Darüber hinaus sollten Anleger nicht mit einer Abnahme der politischen Unsicherheit nach der Wahl rechnen. Allerdings: Langfristig werden Wertpapierkurse von Fundamentaldaten gemacht – und eben nicht von der Frage, wer im Oval Office sitzt. Das darf angesichts der großen Aufmerksamkeit für die Präsidentschaftswahl nicht vollständig in Vergessenheit geraten.
Björn Jesch, Leiter Portfoliomanagement, Union Investment