"Für Europas Banken läuft es so gut wie schon lange nicht mehr. Rund neun Jahre sind seit dem Beinahe-Kollaps des globalen Finanzsystems vergangen, seitdem ist die Krisenbewältigung ein gutes Stück vorangekommen. Die Fortschritte variieren im Einzelfall zwar erheblich, wie die Rettungen der Veneto-Banken und der Monte dei Paschi in Italien zeigen. Dennoch schlagen sich erste Restrukturierungserfolge in den Büchern und Aktienkursen vieler Geldhäuser nieder.
Schulbank gedrückt
Der Regulator hat die Daumenschrauben in der letzten Dekade spürbar angezogen und Europas Geldhäusern neben drastischen Liquiditäts- und Kapitalvorschriften auch zahlreiche Kontrollmaßnahmen verordnet. Mit erheblichen Anstrengungen haben die Institute Eigenkapital aufgebaut, ihre Kostenstrukturen geordnet, Altlasten reduziert und riskante Unternehmensbereiche abgestoßen. Oftmals wurden auch die Geschäftsmodelle gestärkt und weiterentwickelt. Einige kleinere Geldhäuser haben sich mit größeren kapitalstarken Banken zusammengetan. Die Maßnahmen dienten allesamt einem Ziel: den heimischen Bankenmarkt zu stärken, das Vertrauen in den Sektor wiederherzustellen und eine erneute Haftung des Staates – und damit des Steuerzahlers – zu vermeiden. Erkennbar ist der harte Konsolidierungskurs vor allem in den Bilanzen: Im Schnitt haben Europas Banken ihre Kernkapitalquote von 6,7 Prozent im Jahr 2008 auf 13,4 Prozent mehr als verdoppelt.
Konjunktur hilft
Auch die gesunkenen politischen Risiken und das anziehende Wachstum in Europa spielen den Geldhäusern in die Karten. Durch die geringe Rezessionsgefahr müssen die Institute weniger Risikovorsorge bilden. Hinzu kommt, dass die schwächelnde Kreditnachfrage allmählich anzieht. Die Banken begeben wieder mehr Unternehmens- und Investitionskredite. Das wird sich schon bald in der Gewinnentwicklung widerspiegeln. Zwar klagen viele Institute weiter über hohe regulatorische Kapitalanforderungen, rückläufige Zinserträge und spärliche Einnahmen aus dem Provisionsgeschäft. Mit rigorosen Kosteneinsparungen versuchen die Häuser aber gegenzusteuern. Neben geringeren Belastungen für die Risikovorsorge und Kostensenkungsprogrammen im Personalbereich wollen Europas Banken in den nächsten Jahren vor allem mit Hilfe der Digitalisierung Kosten sparen.
Sorgenkind Zinsgeschäft
Zudem deutet sich im Zinsgeschäft, von dem die Geschäftsmodelle der europäischen Institute im internationalen Vergleich stark abhängig sind, die Trendwende an: Lange Zeit war die Null- und Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) eine große Belastung. Jetzt mehren sich die Anzeichen, dass die EZB im Herbst die geldpolitische Wende einleitet. Die Zinsen im Euroraum werden, wenn auch nur allmählich, steigen. Das wird sich perspektivisch in höheren Zinsmargen niederschlagen: Beim Gros der Institute kann ein einprozentiger Zinsanstieg über die gesamte Zinsstrukturkurve zu Gewinnsteigerungen von rund zehn Prozent führen.
Weniger Regulierung
Im Schnitt könnten Europas Geldhäuser im laufenden Jahr einen Gewinnzuwachs von 18 Prozent erzielen. Bleibt es bei den guten Wirtschaftsaussichten, winkt den Banken auch 2018 ein Anstieg im zweistelligen Prozentbereich. Hinzu kommt, dass der regulatorische Gegenwind in Europa nach und nach abflaut: Da die Umsetzung der Vorgaben mit zum Teil immensen finanziellen Beanspruchungen einhergeht, setzt sich unter Europas Politikern zunehmend die Überzeugung durch, dass weitere Belastungen dem Sektor und damit auch der Konjunktur schaden könnten. Die Krise im Bankensektor hat ihren Tiefpunkt also durchschritten, die Chancen stehen gut, dass Europas Geldhäuser zukünftig wieder dauerhaft auf einem soliden Fundament stehen. Da sich die Restrukturierungserfolge von Institut zu Institut unterscheiden, bleibt die genaue Titelanalyse und -selektion jedoch entscheidend."
Benjardin Gärtner, Leiter Portfoliomanagement Aktien, Union Investment
Tipp der e-fundresearch.com Redaktion: Weitere Union Investment Experten-Analysen finden Sie auch direkt auf der Unternehmenswebsite