Um es vorwegzunehmen: Das alles ist nicht so ganz falsch. So ganz richtig ist es aber auch nicht. Es hilft, sich die deutsche Automobilbranche als gigantischen Lkw vorzustellen. Der nimmt zwar nur langsam Fahrt auf. Aber rollt er einmal, ist er kaum mehr zu stoppen. Derzeit befinden sich die deutschen Straßengiganten in der Beschleunigungsphase, während den kalifornischen Rennwagen langsam der Sprit ausgeht.
Die deutschen Hersteller starten durch
Es ist in letzter Zeit en vogue geworden, Späße auf Kosten von Tesla zu machen. Teure Elektrofahrzeuge in Kleinserie herzustellen ist nun einmal ein anderes Business als die Produktion bezahlbarer Autos hoher Qualität in großen Stückzahlen. Das weiß mittlerweile Tesla-Chef Elon Musk genauso gut wie seine Kunden, die seit Monaten vergeblich auf ihr Auto warten. Die Karten im Spiel um den Massenmarkt dürften ab Herbst neu gemischt werden, wenn die deutschen Hersteller Volkswagen, BMW und Daimler ihre Modelle ID Neo, iNext, EQC vorstellen. Die Modelloffensive aus Deutschland beobachtet man bei Tesla mit einem gewissen Unbehagen.
Auch die Anzahl der oft gepriesenen chinesischen E-Mobile auf deutschen Straßen ist bislang eher übersichtlich. Damit das so bleibt, planen die deutschen Hersteller mit opulenten Budgets: 40 Milliarden Euro stecken sie laut Verband der Automobilindustrie in den kommenden drei Jahren in die Entwicklung des Segments. Das Angebot soll sich im gleichen Zeitraum auf rund 100 Modelle verdreifachen. Noch einmal 18 Milliarden Euro gehen in den Bereich des autonomen Fahrens. Zum Vergleich: Das Forschungsbudget von Tesla lag 2018 bei 1,4 Milliarden US-Dollar.
Die Initiative baut auf einer ohnehin schon deutlichen Dominanz in Sachen Innovation im Automobilbau auf. Bei einem vom Center for Automotive Management herausgegeben Innovationsranking hängen die drei deutschen Großkonzerne die Konkurrenz ab.
Profitabilität hängt an Nachfrage und Infrastruktur
Nun ist eine erfolgreiche Modelloffensive zwar erfreulich für das Image der Hersteller. Als Investor muss man sich aber die Frage stellen, inwiefern sich die Investitionen auch rechnen. Da lässt sich leider konstatieren: Der Angriff auf den Weltmarkt, der gerade aus München, Wolfsburg und Stuttgart heraus konzertiert wird, ist ein ziemlich teures Unterfangen. Umso mehr, da nicht ersichtlich ist, wann die Konzerne mit ihren E-Mobilen auch tatsächlich Geld verdienen. Als Aktionär ist man durchaus leidgeprüft. Die Automobilhersteller haben in den Depots der Anleger in den vergangenen Jahren mit dem Dieselskandal, Gewinnwarnungen bei BMW und Daimler sowie der gekappten Dividende bei letzterem deutliche Bremsspuren hinterlassen. Da bedarf es einer gewissen Courage, um zuversichtlich zu sein.
Die Frage nach den Stückzahlen wiederum lässt sich erst seriös beantworten, wenn geklärt ist, wie groß die Nachfrage ist. Insbesondere im Bereich der Elektromobilität sind die Hersteller auf Hilfe von außen angewiesen. Bislang ist die Infrastruktur, gelinde gesagt, noch eher dürftig. Bei Elektrotankstellen fehlen sowohl Masse als auch Kapazität, wenn die Produkte von den Käufern angenommen und die erhofften Zulassungszahlen erreicht werden.
Uneinigkeit, ob sich der Wandel für Anleger rentiert
Ungeachtet dessen ist die Frage, wie stark die Verbraucher auf autonome Systeme und Elektromobilität abfahren werden, nicht abschließend geklärt. Selbst wenn die Infrastruktur perfekt ist, ist das Absatzpotenzial nur zu erahnen.
Auch wenn Daimler und Co in den nächsten Jahren den Absatz der Elektroautos auf bis zu 25 Prozent hochschrauben wollen, geht daraus im Umkehrschluss hervor: Der Großteil der Autos wird weiter mit einem Verbrennungsmotor unterwegs sein. Und da haben die deutschen Hersteller seit Jahrzehnten die Nase vorn.
Das ist höchst profitabel. Die zentrale Frage lautet aber: Reicht das Geld, um den kostspieligen Wandel hin zu autonomen Fahren und Elektromobilität zu finanzieren, bis auch diese Sparten sich zumindest selbst tragen? Daran scheiden sich am Aktienmarkt die Geister. Der Blick auf die Kennziffern zeigt, dass die Investoren nicht bereit sind, bei deutschen Automobilaktien höhere Bewertungen in Kauf zu nehmen. Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse sind seit längerem ungewöhnlich niedrig. Um das zu ändern, müssen sich die neuen Modelle von BMW, Daimler und VW erst bewähren – am Markt ebenso wie in der Gewinn- und Verlustrechnung.
Für Investoren bedeutet das: Die deutsche Automobilbranche hat die Aufholjagd gestartet, um im Wettbewerb Flagge zu zeigen. Dass sie mit den so genannten Smart Cars in einigen Jahren ähnliche Gewinne einfahren wird wie in den vergangenen Jahrzehnten bei Verbrennungsmotoren, ist damit nicht gesagt. Daher sollte die Marktfähigkeit der neuen Modelle im Auge behalten werden. Setzt sich Made in Germany hier durch, dürften sich die niedrigen Bewertungen der deutschen Automobilhersteller am Aktienmarkt früher oder später auflösen.
Benjardin Gärtner, Leiter Fondsmanagement Aktien & Mitglied des Union Investment Committee, Union Investment