Deutschland profitierte stark von der Einführung des Euro. Damals stiegen die Nettoexporte in die Eurozone immens an. Erst die Eurokrise setzte diesem Boom ab dem Jahr 2009 ein Ende. Doch die deutschen Firmen wussten sich zu helfen. Deutschlands Paradeindustrien, die Maschinenbau-, Auto- und Chemiebranche, verlagerten ihre Absatzmärkte nach Großbritannien, in die USA und nach China. Die Investitionen folgten oft. Der Aufstieg Chinas und die hohe Konsumnachfrage in den USA erfreuten die BMWs und BASFs hierzulande. Doch mit zunehmendem Protektionismus – ob in den USA oder in Großbritannien – und dem zuletzt weiter eskalierenden Handelsstreit kommt die Globalisierung ins Stocken. Deutschland spürt die Wucht des sich abschwächenden Welthandels stärker als andere – und ist so zum ökonomischen Schlusslicht in der Eurozone mutiert.
Kein IT-Eldorado in Europa
Neben dem eingetrübten Welthandel und dem Ende des globalen Investitionsbooms leidet die deutsche Firmenlandschaft auch unter strukturellen Problemen. Der DAX 30-Index zeigt, dass die Stärke der deutschen Wirtschaft vor allem in der exportorientierten Old Economy liegt. Industrie-, Chemie-, Auto- und Finanzbranche machen derzeit fast zwei Drittel des Index aus. In den USA sind es nur knapp 40 Prozent. Dafür ist die New Economy, darunter fallen wachstumsorientierte Zukunftsbranchen wie IT und Biotechnologie, in den USA besser repräsentiert. Der IT-Sektor macht am S&P 500-Index knapp ein Viertel aus, während es beim DAX 30-Index nur 14 Prozent sind. Der schleppende Breitband- und Mobilfunkausbau, das wenig vorhandene Risikokapital und kaum Unterstützung vonseiten der Großbanken sorgen nicht gerade für ein Eldorado für IT-Startups.
Auch die Automobilindustrie hinkt hinterher: Mit Diesel-Gate, neuen Abgasnormen, steigender Bedeutung der E-Mobilität und autonomem Fahren gibt es viele Herausforderungen für die Branche. Darüber hinaus befinden sich die von US-Präsident Trump angedrohten Autozölle noch in der Schwebe – dabei leiden die Autobauer bereits genug unter dem Handelsfiasko.
Zudem sind die deutschen Unternehmen nicht für die vereinbarten Klimaziele gewappnet. Um die Vorgabe zu erfüllen, den CO2-Ausstoß in Deutschland bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent zu reduzieren, sind große Veränderungen notwendig. Diese sind bisher in wenigen Sektoren ausreichend auf den Weg gebracht.
Frankreich als Vorbild
Mit Klimawandel, Digitalisierung und neuen Antriebsformen stehen die deutschen Branchen vor zahlreichen Herausforderungen, denen sie sich dringend stellen müssen. Gerade bei der Digitalisierung geht es oft genug auch um neue Geschäftsmodelle. Umso schmerzlicher, dass die Unternehmen seit Jahren immer mehr sparen statt zu investieren. Sie sollten sich ein Beispiel an Frankreich nehmen. Französische Unternehmen nutzen die Negativzinsen aggressiver. Sie nehmen deutlich mehr Kredite auf, um Investitionen und Übernahmen zu finanzieren. Viele investieren in neue Geschäftsmodelle und moderne Technologien und stellen sich damit zukunftsfähiger auf.
Allerdings kann man den Unternehmen hierzulande nur bedingt Vorwürfe machen. Denn die Innovationsfähigkeit ist grundsätzlich vorhanden. In der Eurokrise haben sie gezeigt, dass sie sehr flexibel sind. Teilweise ist der Umbau der Geschäftsmodelle schon im Gange. Für ihre Innovationsfähigkeit erhalten die DAX 30-Unternehmen daher von uns durchaus gute Noten. Hinderlich ist jedoch das Umfeld hierzulande, das trotz Negativzinsen nicht gerade zu mehr Investitionen einlädt. Wir brauchen in Deutschland und in Europa insgesamt klare, stabile Rahmenbedingungen, damit sich die deutschen Firmen wieder stärker auf die Heimat Europa fokussieren können. Hierzu zählen etwa ein flächendeckender Breitbandausbau, höhere Forschungs- und Bildungsausgaben oder eine moderne Zuwanderungsgesetzgebung. Die globalen Risiken lassen sich nur schwer steuern, viel der europäischen und deutschen Unsicherheit können wir aber sehr wohl reduzieren. Nur indem wir in Europa neue Wachstumschancen schaffen, stellen wir uns unabhängiger vom Rest der Welt auf.
Europa ist gefragt
Die Mitgliedsländer der EU haben es selbst in der Hand, ihr Wachstumspotenzial zu erhöhen. Das beginnt mit deutlich höheren staatlichen Nettoausgaben für Infrastruktur, Bildung, Modernisierung der Bürokratie und Innovationsförderung. Europas Staaten müssen in den Umbau hin zu einer CO2-neutralen Wirtschaft sowie in Digitalisierung investieren und Zukunftstechniken fördern. Die neue europäische Kommission sollte modernere, einheitliche Rahmenbedingungen anstreben und Standards vorgeben – wenn wir mehr IT-Ansiedlungen oder Elektromobilität wollen. Schließlich müssen sich die Euroländer zu einem Regime durchringen, das die Währungsunion strukturell stärkt. Das wird nicht ohne Risikoteilung gehen, setzt aber Wachstumskräfte frei. Die Zeit dafür ist jetzt da: Die Eurozone hat mit einer Verschuldung von 85 Prozent des BIPs den niedrigsten Schuldenstand unter den G3-Staaten. Und die Negativzinsen haben nur dann etwas Gutes, wenn wir investieren.
Die deutsche Wirtschaft ist ganz klar kein Auslaufmodell und wird getragen von einer großen Zahl auch mittelständischer, sehr erfolgreicher Unternehmen. Aber sie hat es unnötig schwer, wenn die Herausforderungen nicht angegangen werden. Vieles muss Deutschland selbst dazu beisteuern, aber wir sollten dabei europäisch denken. Schaffen wir den Schulterschluss in Europa nicht, droht nicht nur Deutschland, sondern auch Europa ein Japanisierungs-Szenario. Finden wir zurück zu einer europäischen Wachstumspolitik, werden die Unternehmen folgen und investieren. Soliden Renditen am Kapitalmarkt steht dann nichts entgegen.
Dr. Jörg Zeuner, Chefvolkswirt, Union Investment