Die Hoffnungen wurden tatsächlich erfüllt: Auf dem EU-Gipfel Mitte Juli einigten sich die 27 Mitgliedsstaaten in der schwierigen Corona-Situation auch auf Transferzahlungen zwischen einzelnen EU-Ländern. Damit wird der Zusammenhalt der Währungsunion gestärkt. Das blieb den internationalen Investoren nicht verborgen. Als Folge flossen neue Anlagegelder nach Europa und die politische Risikoprämie im Euro fiel – spiegelbildlich stieg der Kurs der Gemeinschaftswährung. Erstmals kann die EU-Kommission nun über einen europäischen Wiederaufbaufonds (Recovery Fund) Mitgliedsstaaten mit nicht rückzahlbaren Zuschüssen und zusätzlichen Krediten unter die Arme greifen. Das EU-Parlament muss aber noch zustimmen.
Quelle: Refinitiv; Stand: 7. September 2020
Neuer Stabilitätsanker
Doch der Kapitalmarkt feierte die Einigung bereits, denn eine neue Schuldenkrise scheint in Europa damit bis auf weiteres abgewendet. 390 Milliarden Euro an Zuschüssen können an Länder gezahlt werden, die von der Corona-Krise besonders hart getroffen worden sind und am Kapitalmarkt womöglich in Finanzierungsschwierigkeiten geraten könnten – allen voran Italien. Erst nach und nach werden diese neuen Schulden, die über die EU aufgenommen werden, zurückgezahlt – unter anderem finanziert durch neue europäische Steuern.
Die Euro-Stärke zeigt, dass der Abgesang auf die Gemeinschaftswährung verfrüht war. Vor zehn Jahren hatte der Kapitalmarkt den Euro fast abgeschrieben, als der Austritt Griechenlands aus der Währungsunion im Raum stand. Dann gab sich Europa einen Ruck. Für das überschuldete Hellas wurde eine Lösung gefunden und der europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) eingeführt, der in Not geratenen EU-Staaten unter strengen Auflagen unter die Arme greifen kann. Doch abschütteln ließen sich die Sorgen vor einem Kollaps der Währungsunion nicht, das Sicherheitsnetz blieb lückenhaft und schwach. Deshalb ist die grundsätzliche Einigung auf Transferzahlungen ein wichtiger Meilenstein in der Festigung der Union. Es wäre zwar verfrüht, jetzt schon eine allgemeine Entwarnung für den Euro zu geben. Aber unterschätzt werden sollte die Einigung als Stabilitätsanker auch nicht.
Größere Inflationstoleranz der US-Notenbank
Zwei weitere Punkte sprechen darüber hinaus für einen tendenziell robusten Euro. So hat Europa inzwischen die Corona-Pandemie besser in den Griff bekommen als die Vereinigten Staaten. Auch wenn die Lage fragil bleibt, sind damit die Voraussetzungen für eine schnellere wirtschaftliche Gesundung besser als auf der anderen Seite des Atlantiks.
Und zweitens: Die Zinsen sind in Europa schon länger auf einem Tiefstand. Wegen negativer Auswirkungen auf die Banken scheut die EZB aber davor zurück, die Negativzinsen noch weiter zu senken. In den USA hat die Notenbank dagegen erst im Rahmen der Corona-Krise die Zinsen an die Null-Prozent-Marke gesenkt und im Gegensatz zur EZB ein unlimitiertes Lockerungsprogramm (QE) aufgelegt. Die geschrumpfte Zinsdifferenz macht den US-Dollar als Anlagewährung unattraktiver. Hinzu kommt die gestiegene Inflationstoleranz der US-Währungshüter. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Federal Reserve in Kauf nimmt, dass das Teuerungsziel von rund zwei Prozent zeitweise deutlich überschritten wird. Beides spricht tendenziell gegen den Greenback.
Bleibt die Frage, ob der Ausgang der US-Wahl dem US-Dollar eher nützt oder schadet. US-Präsident Donald Trump steht für Steuersenkungen bei Unternehmen, was Gewinnrückflüsse in die USA unterstützt und dem US-Dollar Auftrieb gibt. Andererseits ist Trump unberechenbar, was die US-Währung schwankungsanfällig macht. Unter Joe Biden dagegen dürften die Gewinnrückflüsse wegen Steuererhöhungen abnehmen, was Dollar-negativ wäre. Ein Belastungsfaktor für den Greenback bleibt, unabhängig vom Wahlausgang, die hohe US-Verschuldung. Deshalb spricht in Summe derzeit mehr für einen robusten Euro.
Dr. Jörg Zeuner, Chefökonom bei Union Investment
Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
7. September 2020, soweit nicht anders angegeben.