Donald Trump behauptete einst, der Klimawandel sei eine Erfindung der Chinesen. „Der republikanische Präsident Trump hat den Klimaschutz nicht nur ignoriert, sondern teilweise regelrecht boykottiert“, sagt Pontzen. Beim Demokraten Joe Biden hingegen spricht viel für das Gegenteil. Sein Wahlprogramm ist gerade im Bereich der „grünen Investitionen“ sehr ambitioniert.
Chance für Bidens Programme zum Klimaschutz
In Bidens Wahlprogramm summieren sich die am Klimaschutz orientierten Programme auf zwei Billionen US-Dollar – das ist mehr als doppelt so viel, wie der „European Green Deal“ der EU aktuell vorsieht. Erst durch den Sieg bei den Stichwahlen in Georgia hat der künftige Präsident nun die Chance, auch die entsprechenden Haushaltsmittel bewilligt zu bekommen. Aber: „Die Mehrheiten im Kongress sind extrem knapp. Biden wird viele Kompromisse machen müssen“, gibt Pontzen zu bedenken. Das gilt nicht nur für Verhandlungen mit der Republikanischen Partei, das schließt auch konservative Demokraten ein. So könnte künftig etwa der demokratische Senator Joe Manchin aus West Virginia, wo die Kohleindustrie noch immer eine große Bedeutung hat, bei Abstimmungen zum Zünglein an der Waage werden. Pontzen fügt hinzu: „Zudem wird sich Biden beeilen müssen. Schon bei den US-Zwischenwahlen in zwei Jahren könnten die Mehrheiten der Demokraten wieder weg sein.“
"Mit den Vereinigten Staaten als wichtigem Akteur steigen die Chancen, dass das Drama um die Klimarettung nicht zur Tragödie wird." - Dr. Henrik Pontzen, Leiter ESG
Bis dahin werden die USA zu einem relevanten Protagonisten im Kampf gegen den Klimawandel. „Mit den Vereinigten Staaten als wichtigem Akteur steigen die Chancen, dass das Drama um die Klimarettung nicht zur Tragödie wird“, sagt Pontzen. Denn die USA sind nach China mit einem Anteil von etwa 14 Prozent (2018) der weltweit zweitgrößte Emittent von Kohlendioxid.
Positiver Einfluss auf nachhaltige Finanzanlagen
Durch die politische Entwicklung wird sich auch der Markt für nachhaltige Finanzanlagen stark verändern. Während in Europa ein immer höherer Anteil neuer Gelder im ESG-Bereich investiert wird, hinken US-Anleger bislang hinterher. Ende vergangenen Jahres waren nach Zahlen der Ratingagentur Morningstar weltweit etwa 1400 Milliarden US-Dollar in nachhaltig klassifizierten Fonds investiert. Davon entfielen 85 Prozent auf europäische Anleger und nur 15 Prozent auf die Vereinigten Staaten. Asien und die übrigen Regionen spielen hier derzeit keine Rolle.
„Im Gegensatz zu vielen institutionellen Anlegern in Europa sind zahlreiche US-Pensionsfonds beispielsweise immer noch stark in Öl- und Gaswerten, Energieversorgern und Rüstungsunternehmen investiert“, erläutert Katja Filzek, ESG-Analystin bei Union Investment. Die Trump-Administration hat staatlichen US-Pensionsfonds sogar untersagt, nachhaltig zu investieren. Es ist zu erwarten, dass sich dies unter Joe Biden schnell ändern wird.
In Zukunft können nachhaltig orientierte US-Unternehmen oder solche mit einer überzeugenden Transformationsagenda von diesen Entwicklungen doppelt profitieren: durch Geld aus den staatlichen Investitionsprogrammen der Regierung Biden – dreistellige Milliardenbeträge sind etwa für die Förderung innovativer Umwelttechnologien sowie für emissionsfreie staatliche Fahrzeuge vorgesehen – und durch mehr privates Kapital von ESG-Investoren. Das ist auch für europäische Anleger attraktiv. „Hiesige ESG-Investoren sollten sich deutlich internationaler orientieren“, so Henrik Pontzen.
Analyse zeigt Gewinner und Verlierer am Kapitalmarkt
Experten von Union Investment haben in einer ersten Analyse geprüft, welche Branchen und Unternehmen in den USA zu den Gewinnern zählen könnten und wo Investoren jetzt erhöhte Vorsicht walten lassen sollten. Gute Chancen bieten sich wie in Europa etwa bei Unternehmen aus den Bereichen erneuerbare Energien, innovativen „grünen“ Technologien, Energie- und Kohlenstoffspeichersystemen und bei Biokraftstoffen. Vor Herausforderungen stehen hingegen die Förderer fossiler Brennstoffe, traditionelle Energieversorger, viele Chemieunternehmen und konventionelle Autohersteller. Innerhalb der einzelnen Branchen sind die Unternehmen aber sehr unterschiedlich für den Transformationsprozess aufgestellt – die Analyse muss deshalb ins Detail gehen.
„Aus Investorensicht sind die US-amerikanischen Besonderheiten spannend“, sagt Analystin Filzek. Dazu zählt sie die im Vergleich zu Europa viel wichtigere Öl- und Gasindustrie, Stichwort „Fracking“. Hier wird unter Joe Biden der Druck steigen. Das trifft die Förderunternehmen und Ausrüster wie etwa Pipeline-Hersteller. Aber auch die US-Unternehmen könnten leiden, die von der billigen Energie direkt oder indirekt stark profitiert haben, zum Beispiel in der chemischen Industrie.
Unternehmen, die sich unter Trump Hoffnungen auf die Exploration von Rohstoffen auf staatlichem Grund wie in Nationalparks oder in der Arktis machen konnten, werden kaum noch zum Zuge kommen. Abschreibungen auf dort erworbene Förderrechte dürften sich häufen. „Bei der jüngsten Versteigerung von Förderrechten in Alaska gab es keine relevanten Bewerber mehr“, berichtet Katja Filzek. „Der ‚Biden-Effekt‘ hat wohl schon gewirkt.“
Gewinner der neuen Klimapolitik
Auch bei den potenziellen Gewinnern gibt es in den USA Besonderheiten. Das US-Eisenbahnnetz beispielsweise ist im Vergleich zu Europa veraltet, schlecht ausgebaut und häufig nicht elektrifiziert. Profitieren könnten demnach Lokomotivhersteller und generell Hersteller von Eisenbahn-Infrastruktur. Langfristig zählen auch die Eisenbahngesellschaften selbst zu den möglichen Gewinnern.
Für Pontzen ist das Fazit klar: „Die USA gehen bei der Nachhaltigkeit nicht mehr rückwärts, sondern nehmen Tempo auf in Richtung Zukunft. Für ESG-Investoren wird es sich lohnen, das Tempo mitzugehen und gezielt in nachhaltigen US-Unternehmen anzulegen.“
Lesen Sie hier das Union Investment Research-Paper "Alles auf Null?"