Seit der Pariser Klimakonferenz im Jahr 2015 nimmt der Markt für nachhaltige Finanzanlagen enorm an Fahrt auf. Die Kriterien Environmental, Social und Governance (ESG) liegen im Trend. Kapitalanleger wollen durch ihre Investitionen einen Beitrag zur Finanzierung des Wandels hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft leisten. Seit 2010 sind in der Gemeinschaftswährung über 900 nachhaltige Anleihen wie Green, Social, Sustainability und Sustainability-linked Bonds mit insgesamt rund 600 Milliarden Euro Volumen aufgelegt worden. Tendenz stark steigend. Mit 342 Emissionen wurde über ein Drittel allein im Krisenjahr 2020 platziert. Dabei spielen die vom Branchenverband International Capital Market Association (ICMA) entwickelten Standards für Green und Social Bonds eine große Rolle.
Boom bei Green Bonds und Social Bonds
Der erste Green Bond wurde bereits im Jahr 2007 von der Europäischen Investitionsbank begeben. Doch Ende des Jahres 2015 lag das Gesamtvolumen dieses Marktes erst bei 52 Milliarden Euro. Mittlerweile hat die Europäische Union (EU) einen ambitionierten Fahrplan für den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft vorgelegt, in dem sie explizit auf die Beteiligung der gesamten Finanzwirtschaft pocht. Unternehmen und Staaten stehen unter zunehmenden Druck, Mittel für ökologische und soziale Ziele einzusetzen.
In der Folge hat das Interesse der Anleger ebenfalls weiter zugenommen. So erklärt sich das rasante Wachstum des Markts für Green Bonds. Mit einem Volumen von 508 Milliarden Euro hat sich der Markt in fünf Jahren etwa verzehnfacht. Union Investment rechnet für das Jahr 2021 mit einem weiteren Wachstum des Umlaufvolumens grüner Anleihen von etwa 75 Milliarden Euro.
Grün, blau, nachhaltig
Zu den bereits etablierten Green Bonds gesellen sich seit einigen Monaten weitere Formate für nachhaltige Anleihen. Was sind die Unterschiede?
Green Bonds sind ausschließlich auf einzelne Projekte mit Klima- und Umweltzielen ausgerichtet.
Auch Sustainability Bonds oder Social Bonds sind auf bestimmte Zwecke begrenzt. Sustainability Bonds dienen der Finanzierung einer Kombination aus Umwelt- und Sozialprojekten und richten sich nach den Vorgaben der Vereinten Nationen für 17 Nachhaltige Entwicklungsziele (UN Sustainability Development Goals, SDG).
Ein Social Bond fokussiert auf soziale Themen und kann beispielsweise der Finanzierung von sozialem Wohnraum dienen oder einer finanziell tragbaren Wasserversorgung. Social Bonds mit Bezug zum Thema Wasser werden auch Blue Bonds genannt. Die Nachfrage nach dem ersten Social Bond der EU war 2020 enorm. Wenn die vom Europäischen Rat genehmigten Kredite und Zuschüsse des Corona-Krisenpakets vollständig abgerufen werden, würde die EU sich bis 2026 mit einem Anleihevolumen von bis zu 850 Milliarden Euro zu einem gewichtigen Spieler am Kapitalmarkt entwickeln.
Sustainability-linked Bonds werden seit vergangenem Jahr zur Finanzierung allgemeiner Unternehmenszwecke aufgelegt, sollen aber zum nachhaltigen Umbau des jeweiligen Unternehmens beitragen. Die Höhe des Kupons ist dabei vom Erreichen bestimmter Nachhaltigkeitsziele abhängig.
Für die Investoren stellt sich bei allen dieser neuen Anleihetypen die Herausforderung zu erkennen, ob Projekte oder Unternehmen nachhaltiger oder grüner dargestellt werden als sie sind. Dabei erzielen die freiwilligen Standards des Branchenverbands ICMA für diese Anleihen am Markt eine hohe Akzeptanz und große Wirkung.
Zum Vorreiter bei der Transparenz für grüne oder soziale Anleihen ist Europa geworden. Denn bereits zum Zeitpunkt der Auflage der Anleihen liegen die wichtigen Dokumente vor, die die Einhaltung der Standards belegen. Das erleichtert die Vergleichbarkeit. In Asien oder auch in den Vereinigten Staaten ist dies noch deutlich seltener der Fall. Dennoch werden Anleger nicht umher kommen, die Emissionen und Emittenten sehr genau zu untersuchen, um „Greenwashing“ auszuschließen.
Trotz des rasanten Wachstums ist die Nische noch überschaubar. Im vergangenen Jahr wurden ESG-Anleihen im Volumen von 220 Milliarden Euro in der Gemeinschaftswährung aufgelegt. Im Vergleich dazu betrug das gesamte Emissionsvolumen von Anleihen in der Gemeinschaftswährung im Jahr 2020 insgesamt mehr als 3,5 Billionen Euro.
Global betrachtet liegt Deutschland bei der Anzahl aufgelegter ESG-Anleihen zwar noch zurück, hat aber im vergangenen Jahr zur Aufholjagd angesetzt. 2020 kamen 144 ESG-Emissionen aus Deutschland an den Markt, und damit mehr als aus Japan (143), Korea (140), Schweden (127) und Frankreich (87) sowie den USA (83).
Niedrige Zinsen fördern Ultra-Langläufer
Neben diesem Fokus auf der Mittelverwendung von Anleiheemissionen fällt derzeit am Markt der Trend zu Ultra-Langläufern auf. Die EZB dürfte an ihrer Politik der Negativzinsen festhalten. Als Folge zeigen Staaten und Unternehmen vermehrtes Interesse daran, Mittel über immer längere Zeiträume aufzunehmen. Auf diese Weise wollen sie ihre Finanzierung berechenbarer machen und sich gegen das Risiko mittelfristig steigender Zinsen absichern. Laufzeiten, die früher eher selten waren, kommen nun deutlich häufiger an den Markt.
Die Käuferseite zieht mit. Aufgrund der äußerst expansiven Geldpolitik sind auf Erträge angewiesene Anleger zunehmend bereit, sehr langlaufende Papiere mit leicht positiven Renditen zu kaufen. Vor einigen Jahren hätten sie sie noch links liegen lassen. Diese Nachfrage ruft mehr Emittenten auf den Plan, die sich solch niedrige Zinsen auf lange Zeit sichern wollen.
Das Emissionsvolumen von Staatsanleihen mit Laufzeiten von mehr als 20 Jahren dürfte 2021 in Europa einen Rekordwert erreichen. Frankreich hat bereits am 19. Januar eine 50-jährige Anleihe begeben mit einer Rendite von 0,59 Prozent. In Deutschland sind für die Finanzagentur, dem Schuldenmanager der Bundesrepublik, solche Langläufer ein Tabu. Aber nicht für die Bundesländer. Nordrhein-Westfallen hat bereits 100-jährige Anleihen ausstehen. Auch Staaten wie Österreich oder Mexiko zählen zu den Emittenten 100-jähriger Anleihen. Weltweit sind laut Bloomberg seit der Jahrtausendwende 68 hundertjährige Anleihen in einem Gesamtvolumen von 40 Milliarden Euro aufgelegt worden. Allein im vergangenen Jahr waren es 19 Emissionen mit einem Volumen in Höhe von umgerechnet 9,7 Milliarden Euro.
Für Anleger nehmen Auswahl, aber auch Komplexität zu
Das anhaltende Niedrigzinsumfeld ist für Staaten, Banken und Unternehmen erfreulich. Sie können über immer längere Zeiträume Schulden zurückzahlen und müssen dafür kaum Zinsen bezahlen. Die Anleger sind in der Folge gezwungen, deutlich höhere Risiken einzugehen, um überhaupt noch Kuponzahlungen zu erhalten. Doch für viele ist eine geringe positive Rendite immer noch besser als ein Negativzins der Zentralbank.
Insgesamt nimmt die Vielfalt am Anleihenmarkt deutlich zu. Damit wird auch die Analyse anspruchsvoller. Ob eine Emission aus Klima- oder ESG-Gesichtspunkten die Anforderungen des Investors erfüllt oder nicht, lässt sich nur in der Einzelunternehmensanalyse ermitteln. Sich ausschließlich auf etablierte Standards zu verlassen, reicht nicht aus, um eine Anlageentscheidung abzustützen.
Wie bei klassischen Anleihen dürften auch nachhaltige Anleihen künftig vermehrt mit längeren Laufzeiten aufgelegt werden. Eindeutig nachhaltige Instrumente werden in der Tendenz am Markt stärker nachgefragt. Unternehmen und Staaten, die hier punkten, können günstigere Finanzierungskonditionen durchsetzen.
Christian Kopf, Leiter Portfoliomanagement Renten und Mitglied des Union Investment Committee, Union Investment