Die EU-Kommission ist schon lange in der Lage, Anleihen zu begeben, hat diese Möglichkeit aber bis zur Corona-Krise selten genutzt. Sie ist also keine Unbekannte am Kapitalmarkt, aber das Volumen an ausstehenden Anleihen dieser besonderen Emittentin war bis 2020 vergleichsweise überschaubar. Erst 2020 startete die Kommission die Ausgabe von Social Bonds zur Finanzierung des europäischen Arbeitslosenprogramms SURE, wozu inzwischen 53,5 Milliarden Euro aufgenommen wurden. In diesem Jahr sollen weitere SURE-Anleihen im Volumen von 35 Milliarden Euro an den Markt kommen.
Doch bald dreht die Kommission den Finanzierungshahn noch viel stärker auf – und wird damit zu einem gewichtigen Spieler im Markt für europäische Staatsanleihen. Nach dem Plan von EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn sollen ab Juli regelmäßig bis Ende 2026 Emissionen stattfinden. Geplant ist, dass monatlich für maximal 15 bis 20 Milliarden Euro EU-Bonds am Kapitalmarkt emittiert werden, erklärte Hahn Mitte April in Brüssel. Ab 2022 wird ein jährliches Volumen von 150 bis 200 Milliarden Euro angestrebt, so dass bis Ende 2026 insgesamt 807 Milliarden Euro eingesammelt werden.
Dominanter Green-Bond-Emittent
Die Emissionen dienen der Finanzierung des 807 Milliarden Euro schweren Corona-Krisenpakets Next Generation EU (NGEU), das zu 386 Milliarden Euro aus Darlehen, zu 338 Milliarden Euro aus Finanzhilfen und einem NGEU-Beitrag für andere Hilfsprogramme besteht. Die Mittel sollen bis 2058 zurückgezahlt werden und dienen Investitionen, die die Wettbewerbsfähigkeit (Stichwort Innovationen, Digitalisierung) stärken und den grünen Umbau der Wirtschaft beschleunigen sollen.
Finanzierung und Verwendung des EU-Aufbauplan
Quelle: EU Kommission; Stand: April 2021
250 Milliarden von den geplanten 807 Milliarden Euro sollen dabei über Grüne Anleihen eingesammelt werden. Die Kommission hat angekündigt, für die Emission von EU-Green-Bonds ein Rahmenwerk aufzusetzen. Damit würde die EU zu einem dominanten Emittenten im boomenden europäischen Green-Bond-Segment werden. Durch das geplante Emissionsvolumen der EU würde sich das europäische Green-Bond-Volumen (Stand April) mehr als verdoppeln.
Zustimmung zum Aufbauplan als Voraussetzung
Die Kommission gibt damit also schon einmal die Marschrichtung vor, wie sie die Corona-Krisenhilfen über den Kapitalmarkt finanzieren will. Die Ankündigung kommt aber, bevor der Aufbaufonds bereits von allen 27 Mitgliedsländern ratifiziert worden ist. Zeitlich ist das Vorhaben der Kommission deshalb ambitioniert, weil erst nach abgeschlossener Ratifizierung des EU-Wiederaufbauplans (Recovery Fund) durch alle nationalen Parlamente die Kommission auch den Kapitalmarkt anzapfen kann. Mitte April haben jedoch erst siebzehn EU-Länder dem Plan zugestimmt. In zehn Mitgliedsländern, darunter auch Deutschland, steht die Ratifizierung noch aus. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten per Eilantrag untersagt, in der Sache steht der Entscheid zudem noch aus. Bundesrat und Bundestag haben allerdings dem Beitrittsgesetz zum Wiederaufbaufonds schon zugestimmt.
Aufgrund der schleppenden Ratifizierung durch einige Staaten und anhängiger Klagen dürfte es wahrscheinlich zu einer Verzögerung der EU-Neuemissionen kommen. Die Ausgabe der EU-Bonds könnte erst im August/September starten, dann würden im zweiten Halbjahr schätzungsweise neue Anleihen über insgesamt rund 60 Milliarden Euro auf den Markt kommen. Letztlich gehen die Experten von Union Investment davon aus, dass der Aufbauplan von allen EU-Staaten ratifiziert wird und die Kommission mit der Ausgabe ihrer NGEU-Anleihen starten kann und sich keine signifikanten Verzögerungen für die Programmfinanzierung ergeben. Einzelheiten zu den Emissionen wie ein Emissionsplan will die Kommission erst noch vorlegen.
EU-Bills kommen
Für den europäischen Anleihemarkt sind die neuen EU-Bonds ein weiterer Meilenstein. Die Kommission will nicht nur Anleihen mit Laufzeiten von drei bis dreißig Jahren ausgeben, die regelmäßig aufgestockt werden können. Geplant ist erstmalig auch die Emission von Euro-Bills, also von kurzlaufenden Rentenpapieren mit einer Laufzeit von unter einem Jahr, und zwar ab September. Die Kommission behält sich außerdem vor, das ganze Spektrum an Distributionsmöglichkeiten im Markt zu nutzen – entweder ab September über einen Auktionsmechanismus einer Notenbank, der bereits von einem bedeutenden europäischen Staatsanleiheemittenten genutzt wird, oder aber über Bankensyndikate oder Privatplatzierungen.
Gedämpfte Risikoprämien in der Euro-Peripherie
Am Staatsanleihenmarkt dürfte der geplante umfangreiche Auftritt eines neuen „sicheren Hafens EU“ die Risikoprämien verändern. Dieser Effekt war in Teilen bereits mit der Ankündigung des Programms sichtbar. So haben sich die Risikoaufschläge für Staatsanleihen aus der Euro-Peripherie bereits zurückgebildet. Diese Staaten werden voraussichtlich die größten Anteile an den NGEU-Finanzierungen erhalten. Dadurch dürfte sich ihr direkter Finanzierungsbedarf über den Kapitalmarkt etwas verringern, so dass weniger Angebot von dieser Seite an den Markt kommt.
Umgekehrt treten die NGEU-Anleihen aber in Konkurrenz zu deutschen Bundesanleihen, da sie aus Risikogesichtspunkten vergleichbar sind, aber einen etwas höhere Kupon bieten dürften. Insgesamt geht Union Investment aber davon aus, dass durch das anhaltende Niedrigzinsumfeld das Umfeld für den breiten Markteintritt der EU-Kommission günstig ist und der europäische Staatsanleihemarkt das neue Angebot gut verkraften dürfte.
Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
15. April 2021, soweit nicht anders angegeben.