Die neue US-Regierung legt bei der Umsetzung ihrer Agenda ein beachtliches Tempo vor. Mit der Unterschrift von Präsident Joe Biden trat am 11. März 2021 bereits der so genannte American Rescue Plan (ARP) in Kraft. Es ist das nunmehr dritte Konjunkturpaket seit Beginn der Corona-Pandemie und hat ein Gesamtvolumen von rund 1.900 Milliarden US-Dollar, was knapp neun Prozent der amerikanischen Wirtschaftsleistung entspricht.
Parallel dazu hat auch die US-Impfkampagne beachtlich an Fahrt aufgenommen. Mehr als 200 Millionen Menschen sind bereits geimpft, über ein Viertel der Bevölkerung hat den kompletten Schutz. Damit hat Biden das selbst gesteckte Ziel übertroffen, wonach in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit 200 Millionen Impfdosen verabreicht werden sollten. Die Experten von Union Investment gehen daher von einer dynamischen Erholung der US-Wirtschaft aus und prognostizieren für 2021 ein Wachstum von 6,4 Prozent.
Frei nach dem Motto „Nach dem Fiskalstimulus ist vor dem Fiskalstimulus“ plant die Biden-Regierung aber bereits den nächsten Streich. Denn unmittelbar nach der Verabschiedung des Konjunkturpakets ist der nächste wichtige Meilenstein von Bidens „Build Back Better“-Agenda ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt: der American Jobs Plan (AJP), der weite Teile der Infrastruktur- und Investitionspläne des neuen US-Präsidenten umfasst. Bidens Botschaft ist klar: Staatsausgaben sind nicht mehr nur Schulden, sondern auch Investitionen. Bislang stößt der Präsident damit am Kapitalmarkt auf Anklang. Der US-Aktienmarkt hat – gemessen am S&P 500-Index – Mitte April ein Rekordhoch erreicht. Und als Folge steigender Inflationserwartungen sind auch die US-Staatsanleiherenditen gestiegen.
Amerikas Fiskal- und Infrastrukturprogramme sind zielgerichtet
Quelle: Union Investment; CARES = Coronavirus Aid, Relief and Economic Security Act; Stand: 16. April 2021. Zielfunktion, Wirkungsweise, Haushaltseffekte, Fiskalmultiplikator.
Langfristig angelegte Maßnahmen
Worum geht es bei den neuen Investitionspaketen? Während der Rescue Plan die US-Wirtschaft rasch auf den Wachstumspfad bringen soll und komplett schuldenfinanziert ist, soll der AJP das Wachstumspotenzial der US-Wirtschaft erhöhen. Der Jobs Plan zielt auf strukturelle Veränderungen. Im Gegensatz zum Rescue Plan ist der AJP nicht “front-loaded“. Die Infrastruktur- und Investitionsausgaben werden sich über den gesamten Planungszeitraum von acht Jahren erstrecken. Und: Ein erheblicher Teil dieses Plans soll gegenfinanziert werden.
Darüber hinaus soll der AJP nicht nur Millionen von neuen Arbeitsplätzen schaffen, sondern die USA auch für den Großmacht-Wettbewerb mit China in Form bringen. Vier Bereiche werden besonders berücksichtigt (vgl. Grafik):
Investitionen in Transportinfrastruktur, also klassische Infrastrukturinvestitionen in Straßen, Brücken und Tunnel, aber auch Ausbau der Elektromobilität
Investitionen in Gebäude sowie Breitband-Infrastruktur, Stromnetze und Wasserversorgung
Investitionen in Forschung und Entwicklung, Verarbeitendes Gewerbe sowie die Ausbildung von qualifizierten Arbeitskräften. Der Aufbau von heimischen (Produktions-) Kapazitäten und Liefernetzwerken im Bereich der Zukunftstechnologien und strategisch wichtiger Güter soll so gefördert werden
Investitionen in den Ausbau der Pflegeinfrastruktur
Neben den direkten Ausgaben in Höhe von 2.250 Milliarden US-Dollar sieht der Plan auch Steuererleichterungen für Investitionen in "Clean Energy " in Höhe von 400 Milliarden US-Dollar vor, also etwa den Ausbau von Solar- und Windkraft.
American Jobs Plan (AJP)
Entwurf der Biden-Regierung
Quelle: Committee for a Responsible Budget, White House, Union Investment; Stand: 20. April 2021.
Gegenfinanzierung durch Steuererhöhungen
Gegenfinanziert werden soll dieses Paket über Änderungen bei der Unternehmensbesteuerung (The Made in America Tax Plan). Zudem sollen multinationale Konzerne stärker besteuert und Steuerschlupflöcher (insbesondere für multinationale Konzerne) gestopft werden.
Das Investitionspaket ist der Hoffnung auf eine positive Wirkung auf das langfristige Wachstumspotenzial der US-Wirtschaft verbunden. Dieses ist seit der Finanzkrise deutlich gesunken und lag im Zehnjahresdurchschnitt zuletzt noch bei knapp 1,7 Prozent. Vor der Finanzkrise lag es deutlich näher an der Drei-Prozent-Marke. Eine Rückkehr in diesen Bereich scheint vor dem Hintergrund der geplanten Investitionen in Infrastruktur und Zukunftstechnologien durchaus realistisch zu sein.
Wie stark der Netto-Wachstumsimpuls des AJP ausfallen wird, hängt dabei von einer Reihe von Faktoren ab. Es zeigt sich aber: Der Fiskalmultiplikator, der angibt, wie viel zusätzliche Wertschöpfung durch einen zusätzlichen Euro bzw. US-Dollar Staatsausgaben geschaffen wird, ist bei Infrastrukturinvestitionen in der Regel höher als jener bei Transferleistungen an Haushalte (wie Stimulus-Schecks). Dies liegt an Zweitrundeneffekten der Investitionsausgaben: Baut der Staat eine Brücke, entstehen neue Arbeitsplätze, was sich wiederum positiv auf den Konsum und damit auch auf die Investitionstätigkeit der Unternehmen auswirkt.
Mehrausgaben für Gesundheit und Familien
Die Biden-Regierung will noch ein weiteres Ausgabenpaket auflegen, das ebenfalls Teil der Infrastrukturoffensive ist, der so genannte American Families Plan. Konkret dürfte es darin vor allem um den Bereich Gesundheit und Kinderbetreuung gehen, wie etwa die Herabsetzung des Anspruchsalters für die Krankenversicherung Medicare. Ähnlich wie beim AJP dürften die Pläne eine Finanzierung über Steuererhöhungen vorsehen, wobei der Fokus auf der Reform der Einkommensteuer oder Mehreinnahmen durch eine Reform der Medikamentenpreise liegt.
Insgesamt dürften die beiden Pläne zusammen zu Ausgaben in Höhe von etwa 4.000 Milliarden US-Dollar führen, denen geplante Mehreinnahmen von 3.000 Milliarden US-Dollar entgegenstehen dürften. Aufgrund fehlender Unterstützung durch republikanische Senatoren dürfte für die parlamentarische Umsetzung wieder nur der Weg über die sogenannte Budget Reconciliation bleiben, was aber möglich ist. Durch dieses Manöver können Einnahmen und Ausgabenpakete auch im Senat mit einer einfachen Mehrheit verabschiedet werden.
Es ist auf dem Weg dorthin mit sehr zähen, zuweilen aussichtslos erscheinenden Verhandlungen zu rechnen. Die bisherigen Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass die Demokraten zwar vielfältige Meinungen an den Verhandlungstisch bringen und äußerst kontrovers diskutieren. Im Gegensatz zu den Republikanern eint sie jedoch am Ende der Wille, Gesetze zu verabschieden.
Die Experten von Union Investment gehen davon aus, dass am Ende des Prozesses vor allem die Ausgabenpläne sowohl in der Höhe als auch in den Grundzügen weitestgehend umsetzt werden. Die zusätzlichen Steuereinnahmen dürften hingegen deutlich geringer ausfallen als in den bisherigen Plänen vorgesehen.
Chancenreiches Umfeld für Erneuerbare-Energie-Aktien
Am Kapitalmarkt haben die Aktien aus einigen Sektoren bereits einen Teil der Erwartungen auf zusätzliche Aufträge eingepreist. So haben Titel aus den Bereichen Industrie und Grundstoffe (Materials) deutlich zugelegt. Darum ist für Investoren eine selektive Herangehensweise sinnvoll, da es im einen oder anderen Fall Korrekturpotenzial geben könnte, falls die Pläne nicht wie vorgesehen umgesetzt werden können.
Chancenreich bleiben Aktien aus dem Bereich nachhaltige Infrastruktur und Elektromobilität sowie aus dem Gesundheitssektor, der nicht nur von einer steigenden Nachfrage aus den Reihen der Babyboomer profitieren könnte, sondern in ausgewählten Bereichen politische Unterstützung durch die Biden-Regierung genießen dürfte.
Zu den Risiken für die Aktienmärkte gehört, dass die Infrastrukturpläne deutlich beschnitten werden oder die Verlängerung der Steuererleichterungen (Tax Credits) im Bereich Erneuerbare Energien geringer ausfallen. Die Steuererhöhungen dürften jedoch eine überschaubare Belastung sein und im Jahr 2022 Schätzungen von Union Investment zufolge rund drei bis vier Prozent der Gewinne des US-Aktienmarktindex S&P 500 ausmachen.
Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
22. April 2021, soweit nicht anders angegeben.