Die Pandemie hat nicht nur in der tatsächlichen Preisentwicklung der Warenkörbe in den USA und Europa Spuren hinterlassen. Sie hat auch die Erwartungen der zukünftigen Inflationsentwicklung am Kapitalmarkt deutlich verändert. Vom Tiefpunkt im Frühjahr 2020 sind die Inflationserwartungen markant angestiegen und liegen nun auf einem Mehrjahreshoch (vgl. Grafik). Gleichzeitig werden aber Zinsanhebungen erst in fernerer Zukunft erwartet. Der Markt rechnet aufgrund belastender Spätfolgen der Corona-Krise nicht mit einer Zinserhöhung der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) vor der zweiten Jahreshälfte 2022.
„Die Inflation wird die Märkte weiter beschäftigen. Ein Grund ist die gestiegene Unsicherheit über den Verlaufspfad der Teuerung.“
Christian Kopf, Leiter Portfoliomanagement Renten
In der Eurozone sind Zinserhöhungen derzeit noch so gut wie ausgeschlossen. Denn die Inflationsprognosen der Europäischen Zentralbank (EZB) liegen noch deutlich unter dem angepeilten Niveau von rund zwei Prozent. Dies gilt auch für die am Markt eingepreisten Inflationserwartungen: Trotz des Anstiegs in den vergangenen Monaten erwartet der Kapitalmarkt über die nächsten fünf Jahre nur eine Jahresteuerungsrate von ca. 1,5 Prozent (Stand 1. Juni 2021).
Auch wenn mit Zinserhöhungen der Zentralbanken zunächst nicht zu rechnen ist, bleibt die Inflationsentwicklung ein Thema. Ein Grund ist die gestiegene Unsicherheit über den Verlaufspfad der Teuerung. Nicht nur, weil etwa die US-Kerninflation, also die Teuerung ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise, im April so stark gestiegen ist wie seit 1996 nicht mehr. Eine Rolle spielt auch die größere Inflationstoleranz der US-Notenbank Federal Reserve seit ihrer Strategieanpassung im Spätsommer 2020.
Ähnliches ist in Europa zu erwarten. Auch im Euroraum steigen die Preise derzeit deutlich. Aber die EZB arbeitet an einer strategischen Überprüfung ihrer geldpolitischen Ziele. Hier dürfte der Markt im Herbst genau hinschauen, ob und gegebenenfalls wie stark die Währungshüter ihr bisheriges Inflationsziel aufzuweichen bereit sind. So könnte sich die EZB auf ein Inflationsziel fixieren, das sich an einem historischen Mittelwert orientiert. Das wäre analog dem Inflationsziel der US-Notenbank, das nun ein „Gedächtnis“ hat. Es würde ein gelegentliches Überschießen der Inflation über die Marke von zwei Prozent erlauben.
Inflationstoleranz trifft auf steigende Teuerungsraten
Daraus ergibt sich ein neues Paar am Kapitalmarkt: Die größere Inflationstoleranz zumindest der US-Notenbank trifft aktuell auch noch auf eine stark steigende Inflation – mit lange nicht mehr gesehenen Raten. Die pandemiebedingten Verzerrungen der Konjunktur- und Inflationsdaten dürften bis zur vollständigen Normalisierung noch etliche Monate anhalten. Damit sollten auch die Inflationsraten noch länger schwankungsanfällig und schwierig zu interpretieren bleiben. Kurz- und mittelfristig erwarten wir eine weiterhin erhöhte Schwankungsbreite bei Anleihekursen.
Bei einer anhaltenden Konjunkturerholung dürften die Notenbanken wie von ihnen angekündigt mit der schrittweisen Rückführung der Anleihekäufe beginnen. In den USA erfolgt dies voraussichtlich spätestens ab dem zweiten Quartal 2022. Wir erwarten darum, dass die Kurse von erstklassigen Staatsanleihen, aber auch von Euro-Peripherieanleihen, weiter fallen und die Renditen anziehen, wenngleich nur moderat. Längerfristig ist eine gleichgerichtete, moderate Aufwärtsbewegung bei den Nominalrenditen und den Realrenditen, also den Renditen am Markt abzüglich der Inflation, zu erwarten.
Es gibt Befürchtungen am Markt, die Inflation könnte womöglich zu lange Fahrt aufnehmen und dann „überschießen“, also stärker steigen, als es die Notenbanken wünschen. Im ungünstigsten Fall, so die Pessimisten, müssten die Notenbanken rasch die Zinsen anheben. Dadurch könnte der Konjunkturzyklus ausgebremst werden. Im Fall der EZB stünde diese vor einem Dilemma. So würde eine Straffung der Geldpolitik zu steigenden Risikoprämien in der Euro-Peripherie führen. Wir gehen derzeit aber davon aus, dass die EZB erst handeln wird, wenn sie einen nachhaltigen Inflationsschub erkennt. Durch kurzfristige Inflationsbewegungen wird sie hindurchschauen, sofern sich keine Lohn-Preis-Spirale abzeichnet. Hinweise darauf sehen wir aktuell nicht.
Erosion des Realwerts im Auge behalten
Langfristige Kapitalanleger wissen: Auch die beste Wirtschaftsprognose ist eben nur eine Prognose. Die durch die hinter uns liegende Pandemie ausgelösten unmittelbaren Verwerfungen und mittelbaren Folgen haben die Unsicherheit hinsichtlich der zukünftigen Inflationsentwicklung erhöht. Viele Investoren werden jedoch mit einem Rückgang der kurzfristig angestiegenen Inflation ebenso gut leben können wie mit einem erneuten Anstieg.
Doch für manche Anleger ist die erhöhte Unsicherheit hinsichtlich des Inflationsausblicks mit wirtschaftlichen Risiken verbunden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn sie langfristige Zahlungsverpflichtungen bedienen müssen, die an die Entwicklung der Löhne und Gehälter und somit mittelbar auch an die Entwicklung der Inflation gebunden sind. Für diese Anleger lohnt sich die Analyse, in welchem Umfang sie Inflationsrisiken tragen wollen.
Derivate als direkte Absicherung gegen Inflationsrisiken
Der Kapitalmarkt erlaubt Investoren eine Absicherung gegen Inflationsrisiken. Indirekt über die Anlage in Immobilien oder andere Substanzwerte, deren Marktwert über einen längeren Zeitraum oftmals an die Inflationsentwicklung gebunden ist. Oder direkt durch den Einsatz von Inflationsswaps, die der bestehenden Vermögensstruktur als Ergänzung beigegeben werden können.
Eine Absicherung gegen mögliche Inflationsrisiken über Derivate macht vor allem für Anlegende Sinn, die langlaufende Verbindlichkeiten in der Zukunft haben, die direkt oder indirekt an die Inflation gekoppelt sind. Hier kann ein Inflationsswap sinnvoll sein.
Inflationsswaps werden nicht gegen die vom Kapitalmarkt bereits eingepreiste Inflationsentwicklung schützen. Denn wenn die Preisentwicklung den erwarteten Pfad einschlägt, werfen sie keine Nettozahlungen ab. Aber die Erosion des Realwerts eines Finanzvermögens aufgrund eines unerwarteten Anstiegs der Teuerungsraten, wie wir ihn in den vergangenen Monaten beobachten mussten, können Inflationsswaps abfedern. Sie zahlen Anlegern in diesem Fall eine Prämie gegenüber der erwarteten Inflation. Allerdings müssen diese auch einen Abschlag hinnehmen, wenn der Preisauftrieb weniger stark ausfällt als beim Abschluss erwartet.
Fazit für Rentenportfolios
Die Corona-Pandemie führt noch einige Monate lang zu Verzerrungen bei Konjunktur- und Inflationszahlen und dürfte zu hohen Ausschlägen in der Inflationsentwicklung führen. Dies dürfte am Anleihenmarkt durch eine höhere Schwankungsbreite der Kurse Spuren hinterlassen. Wir erwarten aber mittelfristig eine wieder abflauender Inflationsdynamik und nur einen moderaten weiteren Renditeanstieg.
Dennoch ist die Unsicherheit bezüglich des weiteren Inflations- und Anleiherenditepfads gestiegen, nicht zuletzt wegen der höheren Inflationstoleranz seitens der US-Notenbank. Dies kann für ein Rentenportfolio, das zur Abdeckung von Verbindlichkeiten dient, unerwünschte Konsequenzen bergen.
Das gegenwärtige Niveau der Inflationserwartungen in der Eurozone liegt noch deutlich unter dem Inflationsziel der EZB. Auch in den USA liegen die mittelfristigen Inflationserwartungen sehr deutlich unter den gegenwärtigen Inflationsraten. Für Anleger, für die ein nachhaltiger Inflationsanstieg mittelbar ein wirtschaftliches Risiko darstellen würde, ist die Zeit somit günstig, eine Immunisierung ihrer Portfolios zu prüfen.
Christian Kopf, Leiter Portfoliomanagement Renten und Mitglied des Union Investment Committee